Dienstag, 19. Januar 2010

Nun wird im Jemen wieder still gestorben - Saudische Luftangriffe und jemenitische Militäroffensive gehen weiter ohne Aussicht auf Dialog zwischen verfeindeten Parteien


War es eine Woche? Zwei? Zeitvertreib und Panikmache zu Weihnachten? Da stand nicht nur der Jemen im allgemeinen Fokus der Weltöffentlichkeit, sondern auch die vielen Konfliktherde in dem Land am Golf von Aden. Doch seit Beginn des Jahres hat sich dies schon wieder stark abgeschwächt, nun ist noch die Rede von Anti-Terror-Operationen und einer möglichen Unterstützung des Jemen gegen Al-Qaida. Dass diese Bedrohung, deren Gefährdungsgrad nur schwer auszumachen ist, mit den beiden Konflikten im Norden und im Süden zusammenhängt scheint schon wieder vergessen. Noch mehr: Jemens Präsident Ali Abdullah Saleh fühlt sich nun stark und wichtig genug Forderungen nach einem Dialog nicht zu beachten. Stattdessen meldet die staatliche Nachrichtenagentur SABA heute zuversichtlich:
"The state never deals with gangs, we have a constitution and enforced laws; hence it is normal that the state places conditions including that any dialog should be under national principles. The government had put a timetable to end the insurgency, and now about 60 percent of the project has been completed."
Worte des stellvertrendenen Innenministers Sadiq Ameen Abu Ras, der gleichzeitig eine mögliche schwere Verwundung des Führers der Houthi-Rebellen bestätigte, nachdem aber schon vom Tod von Abdul-Malik al-Houthi die Rede war. Auch ist die Verkündung keine Neuheit. Bereits vor einem Monat wurde die schwere Verwundung und die angebliche Schwächung der Rebellen gemeldet. Saudi-Arabien gab erst vergangene Woche bekannt, hunderte von Kämpfern getötet und das gesamte Grenzgebiet gesäubert zu haben. Aktuelle Aufnahmen belegen das Gegenteil.

Was geht also wirklich im Land vor? Was genau ist die Taktik der jemenitischen Regierung und des Verbündeten Saudi-Arabien? Für den größten Ölexporteur der Welt dürfte der Konflikt sehr unangenehm sein. Andererseits hat das Königreich keine Verhandlungsbereitschaft signalisiert, trotz Angebote von Houthi-Seite. Die saudische Sorge ist, dass eine zunehmende Destabilisierung Platz für Al-Qaida schafft, das mit Mühe aus dem Wüstenstaat vertrieben wurde und dessen Zelle sich nun mit der im Jemen vereinigt hat. Dass der Kampf gegen die Houthi-Rebellen und die unkritische Unterstützung Salehs aber genau dieses Problem zementiert ist den Verantwortlichen wohl nur unzureichend bewusst. Und zu den Absichten Salehs schreibt auch der britische Guardian:
For a wily character like Saleh (and you don't rule a country like Yemen for 32 years without being extremely wily) this is exactly the wrong message to send. He now knows two things. First, that the international community's main reason for taking an interest in Yemen – and perhaps the only reason – is its fear of al-Qaida and, second, that if he is seen to be putting up a fight against al-Qaida the aid money will come rolling in. But there's a snag here. An unscrupulous psychiatrist who charges patients for therapy by the hour can make more money by prolonging their treatment, and it's much the same with Saleh and al-Qaida. The longer it takes to defeat al-Qaida, the better the aid prospects.
Die doch recht deutlichen Forderungen von Außenminister Guido Westerwelle sind damit schon nach Stunden verpufft. Nachdruck? Drohungen? Fehlanzeige. So konstatiert auch die Zeitung "Neues Deutschland", dass die Appelle ungehört verhallt seien. Den Menschen im Jemen wird damit ein deutliches Zeichen gesendet. Kampf gegen den Terror, ja. Beachtung von politischen Rechten, nein. Ein Land als bloße Zielscheibe. Zwar verkündete das US-Außenministerium über die neueste Offensive, die vergangene Woche startete, besorgt zu sein und die Unterstützung der jemenitischen Regierung an Forderungen gebunden sei, doch folgten darauf keine konkreten Verpflichtungen, wie die Einrichtung eines nationalen Dialogs, von dem viele Beobachter glauben, er sei die einzige Chance für das zerrissene Land. Desweiteren schürt die Zentralregierung bewusst den Glauben an einen überregionalen Stellvertreterkonflikt, für den bisher handfeste Beweise fehlen.

Wie ist also die Lage im Jemen? Eine unabhängige Berichterstattung gibt es nicht. SABA, die staatliche Nachrichtenagentur auf der einen, iranische Medien auf der anderen Seite bestimmen die Nachrichten. Laut Press TV wurden Anfang der Woche mehrere Menschen bei saudischen Luftangriffen getötet. Am Samstag verkündeten die Rebellen einen saudischen Helikopter abgeschossen zu haben. Fakt ist: die Luftangriffe gehen weiter, die Armee des Jemen greift weiter mit schweren Waffen Houthi-Stellungen, an die oft in der Nähe von Dörfern liegen. Viele zivile Tote sind die logische Folge. Hier aktuelle Bilder aus dem Jemen, allerdings vom iranischen Press TV, das in diesem Konflikt klar Stellung bezogen hat. Trotzdem: es wird gekämpft und das mit Opfern auf beiden Seiten. Seit Mitte September wurden damit  nach seriösen Quellen mehr als 1.500 Menschen getötet, die tatsächliche Zahl dürfte noch weitaus höher liegen.



Heute debattiert auch das EU-Parlament über die aktuelle Lage im Jemen. Man darf gespannt sein, ob die Diskussionen über bloße Terror-Szenarien hinausgehen, oder mit dem Schreckgespenst Al-Qaida alle Versuche des politischen Fortschritts im Keim erstickt werden. Antrag der Sozialdemokratischen Fraktion vom 13.01.10:
[Das Europäische Parlament] betont, dass es keine militärische Lösung für die Konflikte und Spannungen im nördlichen und südlichen Jemen gibt; fordert alle Parteien zu einem sofortigen Waffenstillstand und zur Aufnahme eines politischen Dialogs auf, damit eine umfassende Verhandlungslösung für den Konflikt im Norden des Landes gefunden werden kann und weitere Gewalttätigkeiten im Süden vermieden werden.
Die anderen Fraktionen haben ähnliche Anträge eingereicht. Ausgang? Ungewiss.

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