Montag, 28. Dezember 2009

Der Jemen zerrieben zwischen Terrorkampf, Separatisten und einem repressiven Regime


In den vergangenen Tagen wurde viel gesprochen und geschrieben über Terrorzellen im Jemen. Es bestünde die Gefahr, dass von dort aus zahlreiche weitere Terrorakte geplant würden. Schon vor dem vereitelten Anschlag auf ein Passagierflugzeug, bombardierten die USA und der Jemen mit US-Unterstützung mutmaßliche Al-Qaida-Lager. Doch ist das Problem nicht neu. Schon vor knapp zehn Jahren geriet das Land in den Fokus der Öffentlichkeit, als ein Anschlag auf das Kriegsschiff USS Cole im Hafen von Aden verübt wurde - 17 Besatzungsmitglieder wurden getötet. Doch getan sich seitdem wenig. Das repressive Regime, dass maximal als "partly free" gilt, kann oder will keine Strategie entwickeln, um einem drohenden Einnisten von Al-Qaida entgegenzuwirken.

Wenn man dem Freedom-House-Index kritisch gegenübersteht: die Organisation "Reporter ohne Grenzen" listet das Land bei der Pressefreiheit auf Platz 167 von 175 nur einen Platz vor China. Politisch herrscht also Stillstand, zumindest wenn man unter einem politischen Prozess den gewaltlosen, gleichen und offenen Argumentationsaustausch betrachtet.

Unbestritten geht von der engen Verbindung bestimmter Clans zu Al-Qaida, oder anderen islamischen Extremisten eine Gefahr aus. Doch bedarf es langfristiger Strategien, die politisch und nicht militärisch verankert werden müssen, um dies zu ändern. Die Zentralregierung in Sana´a ist eher damit beschäftigt die eigenen Macht zu sichern und darf sich dabei der Hilfe der USA sicher sein.

Der amerikanische Politikwissenschaftler Mark N. Katz schrieb schon 2003:



Und in einer aktuellen Einschätzung vom November diesen Jahres schreibt er:
Al Qaeda does not appear strong enough to come to power in Yemen, but it may be satisfied with a chronic state of conflict there that provides it with maximum freedom to launch attacks against Saudi Arabia and other countries.
Eine Experteneinschätzung vom Juli von einer Tagung von "Carnegie Endowment"  zur Al-Qaida-Bedrohung lautete so:
It is clear, at least to me, that al-Qaeda in Yemen is stronger now than it has ever been in the past. The organization is attracting more recruits than ever before, and is growing increasingly more skilled at utilizing these members. This is not to say that Yemen is in danger of falling to al-Qaeda or anything of that nature. Instead, as Yemen grows weaker and as government power recedes further and further back into urban areas, this opens up a great deal of space in which al-Qaeda can operate.

Zum "Terrorkampf" auch die neueste Inside Story von Al-Jazeera:




Hanspeter Mattes vom Institut für Nahost-Studien schrieb 2008 zu Erklärungsfaktoren für ein Demokratiedefizit in islamischen Ländern:
1. Innergesellschaftliche Faktoren: Hierzu zählen die in allen arabischen Staaten – wenngleich in unterschiedlicher Weise ausgeprägten – Faktoren Tribalismus (z. B. besonders im Jemen, in Jordanien, Libyen, weniger in Tunesien) und Klientelismus, die die Absicherung des Einzelnen garantieren; der Stamm oder die Großfamilie fungieren als soziale Sicherungseinrichtung und zum Staat besteht ein austariertes Wechselverhältnis zwischen staatlicher Fürsorge (in Form von Posten oder sonstigen Privilegien) und Loyalität.


2. Religiöse und kulturell-zivilisatorische Faktoren: Insbesondere Elhadj (2008) weist auf die „Gehorsamswelten“ hin, in denen der arabische Bürger sozialisiert wird und die religiös durch Scharia und Fatwas gestützt werden. So hat der Sohn/die Tochter dem Vater zu gehorchen, das Stammesmitglied dem Stammesführer, die Ehefrau dem Vormund/Ehemann, der Gläubige dem Imam, der Bürger der Regierung/dem Herrscher. Ergebnis ist die Unterordnung des Einzelnen unter Autorität, die Kultivierung gesellschaftlicher Anpassung und letztendlich die Angst vor Wandel, von dem man nicht weiß, was er bringt.


3. Sozioökonomische Faktoren: Diese Faktoren spielen in mehrfacher Weise eine Rolle, ohne dass diese hier alle ausführlich abgehandelt werden können. Zwei Beispiele seien genannt: Zum einen kann geringe Schulbildung die Akzeptanz der gesellschaftlich dominierenden Gehorsamswelten begünstigen, zum anderen vermögen jene Staaten, die durch Erdölexport, Phosphatabbau oder Kommerzialisierung ihrer geostrategischen Lage über hohe Renteneinnahmen verfügen, leichter Loyalität zu erkaufen, indem sie eine entsprechende staatliche Beschäftigungspolitik betreiben, die Sozialsysteme und Grundnahrungsmittel subventionieren oder durch eine lukrative Perspektiven eröffnende Privatisierungspolitik die Wirtschaftsschicht noch stärker an die politische Führung (und ihr politisches Überleben) binden.


4. Politische Ordnungsfaktoren: Der in allen Staaten vorherrschende Neopatrimonialismus oder die historisch nachgewiesenen patriarchalischen Entscheidungsstrukturen durchdringen nicht nur den Staatsapparat, also Regierung, Parlament und Administration, sondern auch die politischen Parteien und die – soweit vorhanden – zivilgesellschaftlichen Vereinigungen. Die durchgängig starke Personalisierung der Entscheidungsstrukturen hat zur Ausprägung des Begriffs Zaimismus geführt. Er beschreibt ein politisches System, in dessen Zentrum ein politischer Führer steht, der autokratisch agiert und selbst keinerlei politischen Kontrolle unterworfen ist, allerdings zum politischen Überleben das Prinzip der „sozialen Gerechtigkeit“ (al-adala alijtima’iya) nicht aus den Augen verlieren darf.


5. Internationale Umfeldfaktoren: Hierzu zählen mehrere Teilfaktoren, darunter an erster Stelle größere Konflikte (u. a. der israelisch-palästinensische Konflikt, Irakkonflikt, der Sommerkrieg im Libanon 2006), die, wie auch der anhaltende Krieg gegen den Terrorismus, das politische Umfeld belasten. Unter den arabischen Politikern herrscht die einer Ausrede gleichkommende Auffassung, dass interne Reformen ernsthaft erst dann in Angriff genommen werden können, wenn außenpolitisch die Bedrohung beseitigt und die Konflikte gelöst sind. Ein zweiter wichtiger Teilfaktor ist die Tatsache, dass sowohl die USA als auch die EU-Staaten prinzipiell an politischer Stabilität in den arabischen Staaten und an der Sicherung der Ölimporte interessiert sind und von daher eher bereit sind, mit den gegenwärtigen Staatsführungen zusammenzuarbeiten als darauf zu bestehen, dass Reformprozesse mit ungewissem Ausgang eingeleitet werden.


Alle Faktoren zusammen bedingen in jedem einzelnen arabischen Staat eine Kräfte- und Wirkungskonstellation, sodass bisher jeder Versuch einer politischen Transformation, um die politische Mitbestimmung zu stärken und die Staatsführung politisch zu kontrollieren, zum Scheitern verurteilt war. Der Rückschlag in Mauretanien im August 2008 kann deshalb nicht wirklich erstaunen, denn lokale Politiker waren sich selbst über die ungünstigen Voraussetzungen einig, zusammengefasst in den an Parlamentspräsident Ould Boulkheir gerichteten Worten: „We’re in the Arab world, man. Forget democracy.“
Es zeigt sich also, dass monokausale Erklärungsfaktoren auch im Jemen keinen Platz finden. Daher kann die kurzsichtige Politik der begrenzten Luftschläge unter Inkaufnahme von vielen zivilen Opfern seitens der US-Regierung nur erstaunen. Auch die angebliche Verbindung zwischen Houthi-Rebellen und dem Iran muss immer wieder aufs Neue relativiert werden. Doch schwirrt sie vielleicht auch in den Köpfen im Pentagon umher.
Dazu aber eine Einschätzung des Jemen-Experten Gregory D. Johnsen:
To describe the conflict, the Houthis have used some of these religious idioms, particularly the loaded term khuruj, which in the Zaidi context refers to an uprising against an unjust ruler. But the roots of the rebellion are not exclusively religious: this is more a case of theology put in the service of politics.
Salih [Präsident des Jemen]  has long favoured a divide-and-rule approach to governing, playing different factions off one another. In Saada, the government has long supported Wahhabi-like Salafi groups – and encouraged the Saudis to fund them – as a counter to the more entrenched Zaidi power base in the region. Throughout the 1990s the two sides clashed repeatedly, as Salafis destroyed Zaidi tombs and attempted to convert Zaidi youth. The Zaidis responded by publishing a series of theological texts designed to shore up local support; at the same time they formed a youth organisation that combined religious teaching with military training.
Und auch eine Arbeit aus dem Jahre 2008 der beiden Politikwissenschaftler Longley/al-Iryani zeigt, dass das Regime nicht bereit ist politischen Fortschritt zuzulassen. Denn auch im südlichen Jemen kämpfen die Menschen für mehr Rechte. Aber:
Since the spring of 2007, a series of protests have gripped Southern Yemen. The intensity of the recent protests, their grassroots origins, and their connection with similar grievances and potential instability in the North make the situation particularly dangerous for the Salih regime. The regime has three main policy options for solving the growing crisis: increased repression, a combination of co-option and divide and rule tactics, or an aggressive package of political and economic reform that has as its cornerstone meaningful decentralization. Of the three options, decentralization is the most likely to preserve unity, encourage economic development, and strengthen Salih’s grip on power in the long term. Unfortunately, fear, greed, and old habits will likely guide the President’s decision, and he will choose a combination of targeted repression, co-option, and divide and rule tactics. This choice will aggravate the conflict and most likely result in a prolonged period of instability in the South, which may destabilize a tenuous political balance in the North.
Es besteht also die Chance, auf politischem Wege Veränderungen durchzusetzen und die Sicherheitslage zu verbessern. Doch werden so kurzfristige Erfolge ausbleiben und es könnte damit der Verlust einer doch recht treuen Regierung in einer instablien Region einhergehen. Doch nur mit glaubhaften politischen Schritten könnte der gesamte Jemen befriedet werden. Größere politische Teilhabe und wirtschaftliche Gleichheit sind Voraussetzungen hierfür. Im Norden scheint der Kampf der Houthi-Rebellen mit Hilfe entsprechender Verhandlungen mittelfristig zu beenden sein. Und auch im Süden könnte eine größere Dezentralisierung zur Beruhigung der Lage beitragen. Eine Verkleinerung des Machtvakuums würde dann auch mit einem verkleinerten Aktionsraum für Terroristen gleichzusetzen sein.

Wahrscheinlicher ist aber doch, dass auch in den nächsten Tagen Berichte über Luftschläge die Nachrichten über den Jemen bestimmen werden.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen