Dienstag, 10. April 2012

Welche Zukunft hat Mali? - Die Realität des Staates Azawad, die Frage nach einer schnellen Machtübergabe und das Schreckgespenst Al-Qaida

Nach dem Militärputsch und der faktischen Autonomie weiter Teile des Landes in Gestalt des ausgerufenen Staates Azawad stellt sich die Frage nach der Zukunft von Mali. In diesem Zusammenhang sagte der Journalist Antoine Glaser Anfang April in einem ARTE-Interview:

Innerhalb von drei Tagen haben die Tuareg-Rebellen Kidal, Gao und Timbuktu besetzt. Wie lässt sich der fluchtartige Rückzug der malischen Armee erklären?
Mali ist ein Land, das immer schon sehr schwer zu regieren war. Es steht seit jeher unter dem Einfluss Libyens einerseits und Algeriens andererseits. Der Sturz von Oberst Gaddafi hat eine Schockwelle ausgelöst, die man völlig unterschätzt hat. Hunderte Malier gehörten Gaddafis Armee an. Nach seinem Sturz sind sie mit schweren Waffen in den Norden des Landes zurückgekehrt. Die meisten von ihnen sind Tuareg, denen es unter Gaddafi sehr gut ging. Diesen Rückkehrern gegenüber war die malische Armee völlig unterlegen – waffenmäßig wie auch von der Truppenstärke her. Sie sah sich mit kriegserprobten Kämpfern konfrontiert, die obendrein noch derselben Kultur [der Nord-Malier, Anm. d. Red.] angehören und dieselbe Sprache sprechen. Weder der gestürzte Staatschef Amadou Toumani Touré noch die Militärjunta waren in der Lage, den Norden zurückzuerobern, zumal die wichtigsten Tuareg-Chefs, die der Armee angehörten, desertiert sind.

[...]

Steht dem Land Ihrer Meinung nach eine Spaltung bevor?
Die Spaltung des Landes ist leider jetzt schon besiegelt. Die malische Armee befindet sich in Auflösung, die Tuareg-Soldaten sind desertiert, und der Zusammenhalt der Armee war sowieso recht schwach. Der Staatsstreich in Mali begann mit Meutereien unter den Offizieren. Die Teilung des Landes ist also Realität, und die Nachbarstaaten – Elfenbeinküste, Niger und Burkina Faso – befürchten jetzt bereits, dass sich der Konflikt über das ganze Sahel-Gebiet ausbreitet, das dann zu einer Art „Grauzone“ würde, da die Tuareg über mehrere Länder verteilt sind – über Algerien, einen Teil von Burkina Faso und Niger. Es besteht also die Gefahr einer regionalen Destabilisierung. Und viele Dörfer in dieser Region lebten ja vom Tourismus. Wenn die Touristen jetzt fernbleiben und auch Hilfsorganisationen das Land verlassen, wird die Region wirtschaftlich und sozial gesehen völlig aus dem Gleichgewicht geraten.


Die Aussichten für das Land mit seinen etwa 15 Millionen Einwohnern sind also schwierig einzuschätzen, die komplizierte Zukunft ist dabei aber deutlich auszumachen. Was wird nun geschehen? Die MNLA-Rebellen (National Movement for the Liberation of Azawad) haben nach jahrzehntelangem Konflikt ihren unabhängigen Staat ausgerufen, auch wenn dieser international nicht anerkannt wird.

Die Frage ist, ob eine Übergabe an eine zivile Regierung erfolgen wird und dies überhaupt von den Nachbarn und anderen regionalen Akteuren erwünscht ist, oder Sicherheitsinteressen die Oberhand gewinnen. Malis Präsident Toumain Touré ist wie vereinbart zurückgetreten, der Weg für eine Machtübergabe wäre also frei. Vergleiche zum militärischen Führer von Guinea, Dadis Camara, dringen aber ins Gedächtnis. Er kam Ende 2008 an die Spitze des Landes und ist dort entgegen aller Versprechen noch heute. Diskussion auf Russia Today:



Zudem stellt sich die Frage, welche Reaktion eine neue Regierung zeigen wird, zivil oder nicht. Der BBC-Experte Paul Melly zeigt kaum Optimismus: Die Regierung hat die Kontrolle über alle Schlüsselpositionen, wie Gao, Timbuktu und Kidal verloren. Die 2.000 Soldaten der ECOWAS (Economic Community Of West African States) werden dies kaum ändern können, wie auch Glaser befürchtet, in einem Land doppelt so groß wie Frankreich. Zudem sind die Truppen kaum für den Krieg in der Wüste ausgebildet und bewaffnet. So sind Verhandlungen die einzige Option.

Doch die Lage ist eben nicht ganz so einfach, auch andere Gruppierungen sind in die Kämpfe involviert. Zum Beispiel die Ansar Dine, eine radikal-islamische Gruppe ohne säkulare Wurzeln bei den Tuareg. Zudem droht das Schreckgespenst der Al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQIM). Diese Parteien haben eine gänzlich andere Agenda.

Hinzu kommen soziale Realitäten. Der Großteil der Bevölkerung in Gao, Timbuktu und Niafounke sind schwarze Afrikaner, hauptsächlich Songhai und Peul, welche sich vor langer Zeit im Nigertal niederließen. Sie haben kein Interesse an einem unabhängigen Staat Azawad. All dies sind Grundlagen für eine Vertiefung des Konflikts. Auch der vermehrte Wassermangel und der großflächige Aufkauf von fruchtbarem Land werden eventuelle Konflikte kaum entschärfen.

Oben hieß es Schreckgespenst AQIM, denn trotz aller anderslautenden Meldungen ist nicht wirklich klar inwiefern Al-Qaida in dem regionalen Konflikt eine Rolle spielt. Ein IRIN-Bericht hinterfragt kritisch die allgemeine Rezeption der Gruppe: Denn die Rolle von AQIM wurde in militärischer, kommerzieller, religiöser und organisationstheoretischer Hinsicht zwar intensiv untersucht. Doch direkte Informationen sind kaum zu bekommen, vor allem freigelassene Geiseln, wacklige Youtube-Videos und Sicherheitskreise dienen der These, dass in der unregulierten Region eine radikalislamistische Gefahr lauert.

Skeptiker sagen, dass die Gefahr durch die USA und Frankreich überhöht würde, um eigene strategische Interessen durchzusetzen. Länder, wie Algerien und Mauretanien zeigen sich zudem gerne als Anti-Terrorkämpfer an vorderster Front. Ein Artikel bezeichnet die Al-Qaida-Filiale im Maghreb als "small shop with a very big sign". Mit ihr würden Schlagzeilen und Einnahmen durch Entführungen generiert, doch sonst gebe es kaum weitere Aktivitäten.

Die International Crisis Group (ICG) schrieb 2005 in einem Bericht: "Fundamentalist Islam has been present in the Sahel for over 60 years without being linked to anti-Western violence." Dies solle man bei einem eventuellen Vorgehen berücksichtigen, denn "a misconceived and heavy-handed approach could tip the scale the wrong way."

Die Wurzeln des Konflikts in Mali reichen also weit zurück, die Vielfältigkeit und Interdependenz der involvierten Interessen sind groß. Keine guten Aussichten für eine schnelle Verhandlungslösung, auf die auch in Europa gehofft wird. 

1 Kommentar:

  1. Schlimme Aussichten für eines der ärmsten Länder der Welt und es ist anzunehmen, dass Millionen von Menschen von diesen Krisenkonflikt betroffen sein werden. Die "Aussprechung der Unabhängigkeit Azawads", wird einen riesigen Flüchtlingsstrom hervorrufen, es sei denn, dass eine Bewältigung des Problems friedlich von statten gehen wird, doch dies ist nicht zu erwarten. Eigentlich wollte der Hauptmann "Amadou Sanogo" durch seinen Militärputsch einen zukünftigen Konflikt vermeiden, doch ist dieser Konflikt ironischerweise erst so in seinem vollen Ausmaß zu Stande gekommen. Ich denke nicht, dass er sich das für sein eigenes Land gewünscht hat.

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