Samstag, 14. April 2012

Generation Kunduz - Die alltägliche Angst vor Außerirdischen

Das gewaltige Donnern der Kampfflugzeuge, es ist ein Symbol der Hilflosigkeit. Ohrenbetäubend und regelmäßig lässt es die Menschen zusammenfahren, erinnert sie an den Krieg in ihrem Land, der zwar allgegenwärtig ist, von dem sie sich aber nicht ihren Alltag diktieren lassen wollen. Dieses Donnern leitet den Dokumentarfilm Generation Kunduz – Der Krieg der Anderen des deutschen Regisseurs Martin Gerner ein.

Gedreht wurde er zwischen Frühjahr und Winter 2009 in und um Kunduz, als ein US-amerikanischer Bombenangriff - angefordert von der Bundeswehr - auf zwei liegengebliebene Tanklastzüge wohl mehr als 140 Menschen das Leben kostete. „Ich wollte aber keinen Film über die Aufarbeitung machen“, erzählt Gerner bei der Vorstellung seines Films in Bamberg. Trotzdem kommt ein Vater zu Wort, dessen Kinder und andere Verwandte Opfer des Luftangriffs wurden. Die Trauer und der Versuch des Begreifens schimmern so den Film über durch.


Seit 8 Jahren arbeitet Gerner regelmäßig mehrere Monate im Jahr in Afghanistan, bildet Journalisten aus und versucht die Grundlagen für eine funktionierende Medien- und Journalistiklandschaft zu schaffen. Er betont, dass sein Film vor allem in einer Hinsicht besonders sei, er sei „nicht embedded“ gedreht worden. Gerner bewegte sich mit einheimischen Dolmetschern und Kameramännern in Kunduz und den umliegenden Dörfern, ohne dabei von Soldaten begleitet worden zu sein.

Dies macht seine Bilder zu einem seltenen Einblick in den afghanischen Alltag. Das Getöse der Bundeswehrfahrzeuge, die durch die Innenstadt von Kunduz rasen erlebte Gerner genauso so, wie die Einheimischen. Die springen von der Straße, machen schnell Platz mit ihren Autos, aus Angst vor Schüssen oder Unfällen, wie Hasik, ein junger Mann, der Landwirtschaft studiert und als freiwilliger Wahlbeobachter arbeitet, erzählt.

Gerner schildert die Reaktion von zwei Bundeswehrsoldaten, die bei einer Vorführung des Films im Publikum saßen. „Wenn man eine Kamera sieht, dann ist der Finger leicht am Abzug“, sagten sie und waren fasziniert, dass Gerner ohne Schutz ein Taxi in Kunduz benutzte.


Hier wird deutlich, dass dies ein wichtiger Film ist. Auch wenn die ruhige Erzählweise und die vordergründige Normalität der Protagonisten manchen Zuschauer langweilen könnte. Doch wer weiterdenkt, sich die Zehntausenden von Soldaten und Milliarden von Euro vor Augen hält, die in den Afghanistan-Einsatz "investiert" werden, erkennt, welche groteske Realität der Film entlarvt.

Kein Soldat kann sich in Kunduz ohne weiteres bewegen, die umliegenden Dörfer sind ohnehin Tabu und werden zumeist nur im Rahmen von Kampfeinsätzen betreten. Als Außerirdische bezeichnen die Protagonisten des Films das ausländische Militär, ohne dass sie dabei vergessen, dass es ihnen zum Teil einen Alltag ohne Unterdrückung und Rechtlosigkeit ermöglicht.

Die junge Journalistin Nazanin arbeitet bei einem Frauenradio, recherchiert Beiträge und erfüllt Musikwünsche. Trotz aller Widerstände, trotzdem sie ihre blaue Burka überstreift, wenn sie das Haus verlässt, sie nimmt als Frau an einem Leben teil, welches ihr unter den Taliban verwehrt geblieben wäre. Oder Ghulam, der 19-jährige Dandy erzählt bei der Anprobe einer glänzenden Anzugjacke von der Schwierigkeit sich so zu geben, wie er sich wirklich fühle. Doch am Schluss verwirklicht er seinen Wunsch einen Film zu drehen, auch wenn die Reaktionen nicht so ausfallen, wie erhofft.


Die sind nicht nur von religiösen Vorbehalten geprägt, im Gegenteil. Vor allem die afghanische Tradition spielt für das Leben der jungen Menschen die wichtigste Rolle. Diese Unterscheidung hält Martin Gerner für außerordentlich wichtig: „Es mischen sich Religion und Tradition“, sagt er und erzählt von den Unterschieden zwischen Stadt und Land, zwischen progressiven Kräften und den Menschen, die in den Traditionen des Stammeswesens und der Geschlechterrollen verhaftet bleiben.

Gerner gibt einen Blick in die Hinterhöfe frei, schaut auf die Straßen, in denen er den zehnjährigen Schuhputzer Mirwais traf und bei seiner Arbeit und in die Schule begleitete. Einen Jungen, der bemerkenswerte Sätze sagt, wie: „Wenn ein Flugzeug abstürzt sterben vier Amerikaner und 10 bis 15 unserer Leute. Meine Landsleute.“ Kein Hass schwingt hier mit, keine Verwunderung, es ist nur eine Feststellung, wie der Krieg funktioniert, der manchmal nur über die Köpfe hinwegdonnert, manchmal mit einer gewaltigen Explosion nur noch verkohlte Leiber zurück lässt, wie am 4. September 2009.


Manch ein Zuschauer mag dies ebenfalls zu unspektakulär finden. Doch sind solche Einblicke die Grundlage für jegliche Diskussionen über Afghanistan, liefern sie die Basis um sich eine Meinung bilden zu können, wenn der Bundestag über eine Verlängerung des Afghanistaneinsatzes entscheidet. Denn ohne den Versuch des Verstehens, ohne ein Gefühl für das normale, alltägliche Afghanistan zu entwickeln, liefern alle Verlustzahlen, Videos von Anschlägen und Berichte über Wahlfälschungen bloß ein verzerrtes Bild.   

Gerner konnte sich mit eigenen Augen ein Bild machen, auch wenn deutlich wird, dass er keine einfachen Antworten gefunden hat. Manche Dinge sind jedoch offensichtlich: „Die Ausbildung der Armee und der Polizei dauert sechs bis acht Wochen. Solche Zahlen sprechen nicht für Qualität“, sagt er und wer mag ihm da widersprechen. Auch dass das Militär die meisten Gelder an zivile Institutionen vergebe, könne nicht funktionieren. Zivilgesellschaftlicher Aufbau in militärischer Verantwortung, dieser Widerspruch ist nur schwer aufzulösen.

So wie der Film, weiß auch Gerner von großen Unterschieden zu berichten, vergleicht man das Heute mit der Zeit, als noch die Taliban herrschten. Der Ausbilder sagt: „In der Journalistik hat sich viel getan.“ Die Statistik von Reporter ohne Grenzen gibt ihm Recht, Afghanistan steht an 150. Stelle, knapp vor Pakistan und Irak, deutlich vor Ägypten, Sudan und Syrien.

Der Film enthält sich solcher Wertungen und immer schimmert die Fragilität der Versuche durch, einen normalen Alltag zu bestreiten. „Ich habe versucht die Angst zu spiegeln, sie kommt nämlich von beiden Seiten“, sagt Gerner. Es gebe zu wenig Polizei, um wirkliche Sicherheit vor den Taliban zu garantieren, die Regierung sei zu korrupt und das Vorgehen des ausländischen Militärs oftmals zu brutal oder rücksichtslos.

All dies hat man schon in zahlreichen Analysen des Konflikts gelesen, doch es ballt sich eindrucksvoll zusammen, wenn der Student Hasik folgenden Satz sagt: „Wenn ein Bruder getötet wurde, dann wird man natürlich Talib.“ Ansonsten durchschaue aber auch nicht jeder Einheimische, wer für was kämpfe. Oftmals subsumieren sich ethnische Konflikte, Stammesfehden und organisierte Kriminalität unter dem Label der Taliban.

Generation Kunduz ist ein Film, der einen zwiespältigen Blick auf Afghanistan wirft und den Zuschauer mit eben diesem Gefühl zurücklässt. Das Aufbrechen alter Konfliktmuster, der Mut und der Wille junger Leute ein anderes Leben als die Generationen vor ihnen zu führen mischen sich mit der Resignation ob der alltäglichen Gewalt, der Angst vor einer ungewissen Zukunft.

Am Schluss fällt ein Satz, der einfängt, was dies für die Menschen bedeutet: „In Afghanistan kann man heute niemand erkennen, niemand gibt sich so, wie er ist.“ Im Krieg reißen nicht nur Bomben und Kugeln tiefe Wunden. Das Dröhnen der Kampfjets erinnert die Afghanen jeden Tag daran.



Generation Kunduz - Das Leben der Anderen läuft seit März im Kino und ist seitdem auf Tour durch ausgewählte Städte. Alle Bilder des Artikels stammen von der offiziellen Website des Films und sind (c) Martin Gerner, den offiziellen Trailer gibt es dort ebenfalls zu sehen.

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