Donnerstag, 25. November 2010

Westjordanland: Die Mauer steht nicht nur in den Köpfen


Gaffen statt Handeln: Vor 21 Jahren brachten die Menschen in der DDR mit ihrem Protest die Berliner Mauer zu Fall. Während hierzulande das Bild der friedlichen Revolution in den Köpfen vieler schon verblasst ist, ist im Westjordanland der Widerstand gegen die israelische Sperranlage Alltag. Die Unterstützung ausländischer Aktivisten endet aber zumeist mit der Abreise.

Der Hustenreiz übermannt die Ersten, die sich ohne Gasmaske an die Spitze des Demonstrationszuges gewagt haben. Aus den Olivenhainen und von der Straße steigt das Tränengas auf, immer neue Kanister schwirren pfeifend durch die Luft und schlagen inmitten der Demonstranten auf. Auf der Straße brennt ein großer Traktorreifen, während aus einem Lautsprecher ein palästinensisches Widerstandslied erklingt.

Jeden Freitag spielen sich in dem kleinen Dorf Bil´in, zwölf Kilometer westlich von Ramallah im Westjordanland gelegen, die gleichen Szenen ab. Es ist mittlerweile ein Symbol des Widerstands geworden und zieht zahlreiche Medienvertreter und ausländische Aktivisten an, die gegen den Sperrzaun der Israelis demonstrieren wollen. Studenten, Backpacker, oder Praktikanten - fast so viele Ausländer, wie einheimische Demonstranten stehen den israelischen Soldaten gegenüber. Damit bescheren sie den Taxifahrern und dem nahen Supermarkt in dem 1700-Einwohner-Dorf einen Umsatz, wie sonst nur an Feiertagen, wenn es die Menschen aus dem boomenden Ramallah zu ihren Verwandten aufs Dorf zieht. Doch darüber hinaus bleibt die Wirkung ihrer Besuche oftmals bescheiden.

An diesem Nachmittag schaffen es einheimische Jugendliche ein Stück Stacheldraht vom Sperrzaun zu entfernen, wie eine Trophäe schleifen sie es zurück ins Dorf. Gedeckt werden sie dabei von ihren Mitstreitern, die im Schutz der Olivenbäume Steine in Richtung der israelischen Soldaten werfen. Die geraten dadurch zwar kaum in Gefahr, doch sie reagieren, wie es ihnen eingetrichtert wurde: schnell und kompromisslos. Als sie ihre Posten verlassen und in Richtung der Kundgebung vorrücken, ergreifen die meisten die Flucht. Unter ihnen ist auch Julie, 26 Jahre alt aus Frankreich. Sie arbeitet für eine lokale NGO und wollte die „Gewalt der Israelis einmal mit eigenen Augen sehen“, wie sie sagt. Aufregung liegt in ihrer Stimme, die Hitze, das Tränengas und das martialische Auftreten der Soldaten treibt das Adrenalin in die Höhe.

Das scheint dann auch für viele Ausländer der Grund zu sein Freitags nach Bil´in zum sogenannten „Sicherheitszaun“, wie ihn israelische Offizielle nennen, oder die „Mauer der Rassentrennung“, wie sie zumeist im Arabischen betitelt wird, zu reisen. Denn die meisten kommen nicht wieder, geschweige denn versuchen sie in ihren Heimatländern auf die Sperranlage und deren Auswirkungen aufmerksam zu machen. Dabei gäbe es Gründe genug. Seit 2003 trennt sie Teile des Westjordanlands von israelischem Gebiet, schneidet dabei aber tief in palästinensisches Land und orientiert sich nur teilweise an der „grünen Linie“, welche 1949 zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten festgelegt wurde. In Bil´in verloren so die Bauern 60 Prozent ihres Bodens, für viele bedeutete es der Verlust ihrer Lebensgrundlage. Als illegal stufte sie der Internationale Gerichtshof in einem Gutachten ein, selbst der israelische Gerichtshof forderte Korrekturen des Verlaufs. Nachdem 2007 aber in unmittelbarer Nähe eine israelische Siedlung genehmigt wurde, ist diese Hoffnung auch vorbei. In anderen Dörfern sind die Auswirkungen noch dramatischer. Wird die Anlage in Al-Walaja, ein kleiner Ort nahe Jerusalem, fertig gestellt, werden die Bewohner nahezu ihr gesamtes Land verlieren.Solche Beispiele gibt es zuhauf.

Doch Bil´in zieht die größte Aufmerksamkeit auf sich. In dem Dokumentarfilm „Bil´in Habibti“ begleitete 2006 ein Filmemacher Aktivisten bei ihren Aktionen, seitdem warten Freitags in Ramallah die Taxifahrer auf Schaulustige, die es zu den Demonstrationen zieht. Nach dem Ende der zweiten Intifada hat die Zahl von Studierenden und Praktikanten aus aller Welt in den Palästinensischen Gebieten stetig zugenommen. Während der Gaza-Streifen für Ausländer kaum zugänglich ist, stellt eine Reise ins Westjordanland kein Problem dar. Leuchtturmprojekte, wie das „Cinema Jenin“, das Goethe-Institut, internationale Stiftungen oder lokale Nichtregierungsorganisationen bieten das Gefühl in einem komplizierten Konflikt eine konstruktive Rolle spielen zu können. Doch genauso, wie sich in der alltäglichen Arbeit schnell Ernüchterung einstellt, weil es in dieser Region keine schnellen Erfolge gibt, hinterlässt auch die Demonstration einen schalen Beigeschmack und Ratlosigkeit. Zu sehr sind die Protesttouristen auf den Geruch des Tränengases aus, zu schnell verschwinden Empörung und Wut nach der Abreise.

Dabei hofften die Organisatoren gerade im November auf eine größere Öffentlichkeit. Denn die Tage nach dem 9. November werden im Westjordanland als „Anti-Apartheid-Wall“-Woche begangen – in Anlehnung an den deutschen Mauerfall 1989. Dawood Hamoudi ist einer der Mitorganisatoren der Kampagne „StopTheWall“, einer Basisbewegung gegen die israelischen Baubemühungen. Einige seiner Mitstreiter sitzen wegen ihrer Aktivitäten im Gefängnis. Trotzdem: „Ohne Alternative“, findet er die wöchentlichen Proteste, sie seien das Zeichen, dass die Bevölkerung unter der israelischen Besatzung leide und sie bekämpfe. Viel Hoffnung auf Veränderung liegt nicht in seiner Stimme.

Da ist zum einen der anhaltende Stillstand auf politischer Ebene. In den Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern wird vor allem um den Baustopp der israelischen Siedlungen gestritten. Entscheidende Fragen zu Jerusalem und einem Rückkehrrecht für Flüchtlinge wurden schon vor langer Zeit ausgeklammert. Zum anderen sind es die Proteste selbst, die das Dilemma der Aktivisten verdeutlichen. Denn wer die Demonstrationen und die gezielten Provokationen aus nächster Nähe verfolgt stellt eines fest: Es ist ein Spiel, Steine und Tränengaskanister sind Teil eines einstudierten Stücks. Die Palästinenser demonstrieren ihre Unnachgiebigkeit, die israelischen Soldaten bekommen eine Begründung für ihr hartes Vorgehen geliefert. Die Demonstranten wollen die sofort einsetzende Gewalt der übermächtigen Soldaten enttarnen, die israelische Seite bekommt aus ihrer Sicht Argumente für die Notwendigkeit ihrer Anlage. Der Protest als PR-Aktion? Oder doch ein wichtiges Symbol gegen die Unterdrückung?

Nahe dem Zaun ruft ein Jugendlicher seinem flüchtenden Freund zu: „Denk an die Leute in Gaza, was machen die?“ Im Gaza-Streifen ist der bewaffnete Widerstand weiterhin Alltag, genauso die Luftangriffe und sogenannte Präventivschläge der israelischen Armee. Die Menschen dort sind Vorbild für die Protestbewegung, gleichzeitig ist ihr Leiden doch so weit entfernt vom Alltag des Westjordanlands. Hinter vorgehaltener Hand sprechen manche gar von einer „Fünf-Sterne-Besatzung“. Gleichzeitig dominieren die Auswirkungen der israelischen Hoheit über mehr als 80 Prozent der Westbank auch hier das alltägliche Leben der Menschen.  

Die israelischen Soldaten rücken nach einer halben Stunde unerbittlich vor und setzen Gummigeschosse ein. Als einer etwas von scharfer Munition ruft, rennen alle ins Dorf zurück. Ohnehin stehen viele der Aktivisten schon mit rot geschwollenen Augen hustend am Straßenrand. Im Supermarkt, nur wenige Hundert Meter entfernt, sitzen drei Jugendliche unter der dröhnenden Klimaanlage. Was sie von den Ausländern halten, die jeden Freitag in ihr Dorf kommen? Sie lachen. Ob es nützlich sei? „Es ist besser, dass überhaupt jemand kommt“, sagt einer. Doch das Gefühl bleibt, nicht Teil der Lösung sein zu können, weil man das Problem kaum durchdringt.

Denn auch auf der anderen Seite des Zauns stehen keine Kampfmaschinen. Manche der israelischen Soldaten, die bei dreißig Grad ihre Waffen in den Anschlag bringen sind kaum älter als ihre wütenden und und frustrierten Gegenüber. Doch sie wachsen mit Statistiken auf, welche die Erfolge der Sperranlage rühmen. Um mehr als 90 Prozent sei die Zahl der Anschläge in Israel seit dem Bau zurückgegangen, gibt das Verteidigungsministerium an. Bewaffnete Gruppen selbst hätten dies zugegeben, heißt es auf der eigens eingerichteten Website.

Vor allem zu Beginn des Baus war der öffentliche Aufschrei in aller Welt allerdings groß. Nachdem die Proteste aber abgeebt sind, bleibt es bei bloßen symbolischen Akten. Die Deutsche Bank etwa verkündete im Mai diesen Jahres öffentlichkeitswirksam, ihren Anteil von zwei Prozent an der Firma „Elbit Systems“ zu verkaufen, da diese Überwachungstechnik für den Zaun und die Mauer liefere. Gleichzeitig verdient sie prächtig mit der Finanzierung von Firmen, die Streumunition herstellen. Der Druck auf politische Entscheidungsträger ist abgesehen vom Einsatz einiger kleinerer Organisationen also viel zu gering, um zumindest den Verlauf der Mauer und die Einsprüche der palästinensischen Betroffenen auf die Tagesordnung der Politik zu setzen.

Was für die hohe Politik gilt, zeigt sich dann auch beim Engagement der ausländischen Aktivisten. Bei allem Interesse vor Ort, zu wenige tragen die vielen Widersprüche des Konfliktes nach Hause. Das äußerte sich auch während der Aktionswoche. Gerade in Deutschland, dessen Geschichte als Inspiration der Aktivisten dient. Im Gegensatz zu Australien, England, oder Österreich konnten die Organisatoren von StopTheWall“ dort keine einzige Solidaritätsveranstaltung ankündigen.


Palästinensische Website stopthewall mit Informationen und einer Übersicht von Aktionen gegen die Sperranlage

2 Kommentare:

  1. Quelle?

    Und - was können diese Aktivisten dafür, daß sie in der BRD unter fast Vollzensur stehen?

    Siehe etwa die nakba-Ausstellung in Freiburg - von einem Amtsgericht (!) gegen den Stadt durchgesetzt (aus formalen, nicht inhaltlichen Gründen) - die dazu geführt hat, dass in den Räumen der Stadt Freiburg keinerlei politisch strittigen Dinge mehr gezeigt werden sollen!

    Warum sollte die politische und gesellschaftliche Regression vor stop-the-wall halt machen? Dazu in einem Land, dessen Vorsteherin in der Knesset ihre rückhaltlose Unterstützung für einen ethnisch reinen - jüdischen - Staat formuliert hat?

    bds

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  2. Thx fuer den Kommentar.
    Quelle: selbstgeschrieben.
    Deine Kritik ist durchaus berechtigt, sollte aber nicht darueber hinwegtaeuschen, dass im universitaeren oder kommunalen Umfeld durchaus Raum fuer Protest oder eine Thematisierung der Abriegelung waere.
    Diese waere dringend notwendig, auch weil immer mehr sinnlos eingesetztes Geld in die PG fliesst und die Politik glaubt, sich dadurch vom Beziehen wirklicher Verhandlungspositionen, die sowohl Israel, als auch die Palaestinensische Autonomiebehoerde veraergern wuerden, freikaufen zu koennen. Doch blosse finanzielle Unterstuetzung als politisches Engagement zu verkaufen geht an der Realitaet vorbei.

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