Samstag, 26. Juni 2010

Die Kandahar-Offensive verzögert sich weiter und hat doch im Stillen längst begonnen


Von der Operation Muschtarak ist kaum noch etwas zu hören, doch offenbar ist das Gebiet um Marjah kaum in dem versprochenen Zustand, also von den Taliban befreit. Auch die Operation in Kandahar, die schon angelaufen ist und bald militärisch umgesetzt werden sollte, verzögert sich offiziell immer weiter.  Trotzdem nimmt die Gewalt dort weiter zu. Mitte Juni sagte der geschasste Befehlshaber McChrystal, dass die lokalen Oberhäupter noch nicht vom Sinn und dem Erfolg der Operation überzeugt seien. Gleichzeitig laufen aber natürlich an vielen Stellen Militäroperationen. Die FTD schreibt in einem Artikel vom 20. Juni zur Lage in Kandahar über die schleppenden Vorbereitungen und die vielen Konflikte, die im Schatten des offiziellen Krieges toben:
Auf den Dächern der Wagen hocken Soldaten hinter Stahl und Panzerglas in rotierenden Ausgucken. Die Rohre der Maschinengewehre schwenken über wartende Autos am Fahrbahnrand. Die Lastwagen bringen die Ausrüstung zum Bau neuer Stützpunkte in die Umgebung der Stadt Kandahar. Die Lager sollen einen "Ring der Stabilität" bilden, der im Rahmen der seit Monaten vorbereiteten Operation "Omid" (Hoffnung) die radikalislamischen Talibanmilizen zähmen soll. "Man kann eine Stadt wie Kandahar nicht militärisch erobern", erklärt der deutsche Brigadegeneral Josef Blotz, Sprecher der internationalen Sicherheitskräfte Isaf. Stattdessen sollen afghanische Polizisten und Soldaten verstärkt Präsenz zeigen, während die ausländischen Truppen die Umgebung sichern. Die Offensive soll den Taliban ihre Hochburg Kandahar nehmen und so die Wende im Krieg zugunsten der Nato-Truppen und der Regierung in Kabul bringen.

"Bisher spüren wir noch nichts von einer Operation", sagt allerdings der Bauer Mohammed Sarwar, "aber wir sehen immer mehr ausländische Soldaten und Talibankämpfer." Der 41-Jährige ist aus dem 20 Kilometer entfernten Dorf Paschmul nach Kandahar gekommen. Treffen mit ausländischen Besuchern sind gefährlich für ihn. Die Taliban haben das verboten. Sie veröffentlichten sogar eine "Mordliste" mit den Namen von 180 Stammesfunktionären der Umgebung.
"Jeder hat Angst, mit Ausländern gesehen zu werden", sagt Sarwar, "aber wir müssen doch erzählen, wie es bei uns wirklich zugeht." Er findet überwiegend gute Worte für die Taliban. "Wie dürfen kein Telefon benutzen, wo die sind", sagt er, "aber sie haben nichts gegen unsere Fernseher." Am wichtigsten ist dem Vater von fünf Kindern ein anderer Punkt: "Wo die Taliban sind, gibt es keine Kriminalität."
Die FAZ schreibt in einer aktuellen Reportage über die Opfer der Menschen und die enttäuschten Hoffnungen:
Ein Besuch im Mirwais-Krankenhaus von Kandahar verrät viel über den Krieg, der draußen tobt. Darüber, mit welchen Mitteln er geführt wird. In welchen Distrikten er am heftigsten wütet. Und welche Kosten er fordert. Auf der Intensivstation liegen die Opfer von Autobomben, verirrten Kugeln, Luftangriffen und Selbstmordattentaten. Rund 70 Prozent der Patienten, die hier operiert werden, haben Kriegsverletzungen erlitten.
Im Aufenthaltsraum der Ärzte hängen Bilder von Schweizer Bergdörfern. Ein Poster zeigt das Frankfurter Mainufer. Der stellvertretende Krankenhauschef, Doktor Sidiq, lacht. Es ist das gleiche nervöse, fast hysterische Kichern, mit dem so viele Männer in Kandahar auf die Frage nach ihren Ängsten antworten. Wie er damit umgehe, dass jeden Tag mehr Kriegsversehrte eingeliefert würden und dass das Morden inzwischen selbst vor der Innenstadt nicht mehr haltmache? „Wissen Sie“, sagt der Kinderarzt und grinst, „wir sind Muslime. Wir glauben an Gott.“ Nach 30 Jahren Krieg sei das Sterben für ihn „normal“ geworden. Natürlich stimmt das nicht.

Im Februar gab die Nato-Schutztruppe Isaf Pläne für eine massive Operation in Kandahar bekannt, die die Taliban aus ihrer wichtigsten Hochburg vertreiben soll. Seither ist die „Operation“ - zumindest rhetorisch - zu einem „Prozess“ herabgestuft worden. Vor einer Woche erklärte der Kommandeur der Isaf-Truppen, der amerikanische General McChrystal, dass die Offensive länger brauchen werde als ursprünglich gedacht. Von Verzögerungen war die Rede. Ein Blick in die Patientenakten des Mirwais-Krankenhauses zeigt: Die Operationen sind längst angelaufen, und auch die Aufständischen haben ihre militärischen Aktivitäten ausgeweitet.

 ISW

Auch die Situation in der benachbarten Provinz Helmand wurde durch die vergangene Offensive kaum verändert. Nun sollen auch hier im Norden weitere Truppen einmarschieren. In einem Hintergrundpapier  des Institute for the Study of War vom Juni heißt es:
Northern Helmand may be the next focal point of U. S. and British efforts in the province, just four months after U.S. Marines launched the massive Operation Moshtarak in Marjah in central Helmand.1 This effort, which would be significantly smaller in size and scope than Marjah, would concentrate on the troublesome districts of Kajaki and Sangin in northeastern Helmand.

Currently, over 600 British Royal Marines are responsible for Sangin and Kajaki, concentrating on the Sangin bazaar area and the Kajaki dam, with assistance from a small number of U.S. Marines and Afghan National Police. Yet, now that Regional Command South has been split into Regional Command Southwest (Helmand and Nimruz) and Regional Command South (Kandahar, Uruzgan, Daykundi and Zabul), U.S. Marine Corps Major General Richard Mills has assumed responsibility for all NATO forces in the Southwest, including approximately 10,000 British forces in Helmand province.3 U.S. Marines may now be responsible for much of the northern Helmand, including Musa Qala in the northwest of the province and now, Sangin and Kajaki.
Both provinces have always had a strong Taliban presence, serving as hubs for the northern Helmand narcotics network and home to large contingents of enemy fighters, IED manufacturing compounds, and weapons storage caches.4 Sangin and Kajaki initially became hotspots for the Taliban after they were driven from Musa Qala in December 2007. Since then, the Taliban have expanded their presence and run mobile courts and effective shadow governance structures in the districts, offering popular and effective services for the population.5 Taliban elements operate relatively undisturbed in the dense agricultural expanse that surrounds both banks of the Helmand River to the south and north of Sangin. Afghan, U.S., and coalition forces in the area have been able to conduct only limited patrolling beyond the district centers and the area surrounding the Kajaki dam, which provides power for much of Helmand and portions of Kandahar. The enemy’s presence in northeastern Helmand has increased significantly following February’s Operation Moshtarak in Marjah, an area that had served as the main safe-haven for the enemy in Helmand.6 Now that U.S. and Afghan forces are operating in large numbers in southern and central Helmand, many enemy fighters have relocated to the north to avoid unnecessary contact. Although this was not unforeseen, the extent of the enemy’s operations in the northeast and the negative effects that presence has on security efforts in Kandahar was perhaps underestimated.
Auch die kaum beachtete Grenzprovinz zu Helmand, Uruzgan, bietet kaum in besseres Bild. Eine Reportage von france24 vom 17. Juni bietet einen Einblick in diese Region:


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