Sonntag, 31. Dezember 2017

Krieg der Welten 2018

Warum zum Jahresende ein Post einer ARTE-Dokumentation über das von Orson Welles inszenierte und von H.G. Wells geschriebene Hörspiel "Krieg der Welten", welches 1938 im Radio ausgestrahlt wurde?

Kurz gesagt: Weil die Reaktionen, die der Film sammelt und darstellt, uns auch noch heute Einiges zu sagen haben. Die adaptierte Geschichte mit dem Originaltitel "The War of the Worlds" beschreibt eine Invasion vom Mars im ländlichen New Jersey. Welles inszenierte sie als Radiohörspiel in Form einer fiktiven Reportage, welche der amerikanische Radiosender CBS am Abend vor Halloween am 30. Oktober 1938 ausstrahlte. Dazu wurde der ursprüngliche Handlungsort von England nach Grover’s Mill verlegt und die Geschichte entsprechend angepasst. Berichte über eine Massenpanik sind defintiv übertrieben, dennoch glaubte ein Drittel der fast drei Millionen Zuhörer an einen Angriff von Außerirdischen. 
 

Das Ereignis wird im kommenden Jahr 80 Jahre alt - und dennoch zeigen sich Muster, die wir auch heute noch beobachten können.

Die damals neue Form und massenhafte Verbreitung des Mediums gestaltete die Gesellschaft bis zu einem gewissen Grad um. Geschwindigkeit, Reichweite, Themen - die ZuhörerInnen wurden mit fremden Ereignissen in ungewohnter Machart konfrontiert. Viele Menschen fühlten sich davon überfordert. Es kam zu Gegenreaktionen in Form totaler Ablehnung und vernichtender Kritik, aber auch zu Euphorie und der umfassenden Einbindung des Mediums in den eigenen Alltag. Gilt dies für das Radio, hat das Internet unsere Gesellschaft deutlich tiefgreifender verändert.

"Die Amerikaner waren auf Krise gepolt", denn keine zehn Jahre vorher hatte die Wirtschaftskrise Millionen von Existenzen vernichtet. Im Verlauf des wirtschaftlichen Zusammenbruchs, aber auch danach, wurde das Radio zum Krisenmedium. Eine Unterbrechung des Programms, heute würde man Eilmeldung sagen, führte zu Sondersendungen, heute würde man Liveblog sagen, die Expertinnen und Experten, Augenzeugen und politische u.ä. Akteure zu Wort kommen ließen.

Auch heute ist der annährende Zusammenbruch unseres Finanzsystems erst zehn Jahre her. Die Eindrücke von dieser sind zwar kaum noch Thema in der Öffentlichkeit, aber auch sie hat, verbunden mit der Geschwindigkeit von Globalisierungselementen, dazu geführt, dass die Angst vor dem Abstieg stets greifbar ist. Der Aufstieg Chinas, die Endlichkeit von Rohstoffen, Kosten des Klimawandels und der Energiewende, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, steigende Mieten - die Liste ist lang und vielfältig.

Eigene Erwartungen und Wahrnehmungen als Einfallstor
 
Die Invasion wurde 1938 geglaubt, weil sie in die eigenen Erwartungen und Wahrnehmungen der Welt passte. Auch heute geht es oftmals weniger um den Wahrheitsgehalt, sondern um das Abgleichen mit dem eigenen Realitätsrahmen.

Hinzu kommt, dass die mediale Auswahl und Aufbereitung (die auf dem Interesse des Pubilkums beruht) damasl wie heute negative Nachrichten bevorzugt. "Mord und Totschlag", Krieg und Leid, Staatsversagen und Elitenfehlverhalten verkaufen sich besser als gelungene Gesetzesvorhaben und Glücksseligkeit, auch wenn es eine Grenze gibt, welche die Aufmerksamkeitsspanne und das schwindende Interesse der Öffentlichkeit - je geringer die eigene (potentielle) Betroffenheit ist, desto uninteressanter für die Meisten - berücksichtigt. "Das Ganze war richtig spannend", stellte man schon vor 80 Jahren fest, und meinte damit das Gefühl wirklich dabei, stets auf der Höhe der Zeit zu sein. Auch daran hat sich im Internetzeitalter wenig geändert.

"Und ständig war im Hintergrund dumpf die Kriegstrommel geschlagen worden" heißt es in der Doku, bei der Frage, warum das Hörspiel - welches zu Beginn eindeutig als ein solches angekündigt wurde und der Programmplatz eben einem solchen vorbehalten war - bei vielen Menschen auf fruchtbaren Boden fiel. Es ist leicht, Parallelen ins Heute zu ziehen. Besonders dumpf sind die Trommeltöne dabei nicht, der Krieg gegen den Terrorismus wird heute sowohl an der Heimatfront als auch in entfernten Teilen der Welt geführt. Ein stetig wachsendes Gefühl der Unsicherheit, welches von der Politik mit verschärften Gesetzen und Freiheitseinschränkungen beantwortet wird, hat den Krieg zur Normalität werden lassen, auch wenn wir ihn nicht so nennen. Es sind Anti-Terror-Maßnahmen, es ist der eher undefinierte Kampf gegen DEN Extremismus oder die konkrete logistische Unterstützung für Verbündete. In der Summe bleibt bei vielen Menschen der Eindruck einer ungeordneten, gefährlichen und sich in Aufruhr befindlichen Welt zurück.

Zeit böser Vorahnungen
 
Auch die AmerikanerInnen damals, wollten eigentlich mit den Konflikten in Europa nichts zu tun haben, spürten aber, dass sie leicht hineingezogen werden könnten. Über diesen Punkt sind wir heute schon hinaus und dennoch gilt das Gleiche wie im Oktober Ende der 1940er-Jahre: "Es war eine Zeit nicht nur voller Ängste, sondern auch mit bösen Vorahnungen, was uns die Zukunft bringen mochte."

Der eindrücklichste Moment des Hörspiels ist, wenn der Reporter vor Ort verstummt und sich Stille im Äther breit macht. Eine Sekunde, zwei, drei - Welles zog die Pause unerbittlich in die Länge. Diese Pause würde auch heute ihre Wirkung nicht verfehlen. Das hektische Klicken auf den Aktualisierungsbutton, die ausbleibenden Updates im Twitterstream - die Stille zerreißt uns auch heute. Denn mit ihr zerbricht auch die Illusion der Kontrolle, die der stetige Nachrichtenfluss aufbaut. Die Ereignisse verunsichern uns und bestätigen zugleich unsere Ängste. Sie legen angesichts ihrer Vielfalt und -zahl die Unmöglichkeit der Kontrolle nahe und vermitteln doch die Sicherheit, dass wenn sie nur gehört, gelesen, gesehen werden, sich in die gewohnten Strukturen einfügen lassen.

Ein aktueller ZEIT-Artikel von Nils Markwardt beschäftigt sich mit dem Ausmaß und der Wahrnehmung von "Krisen" in der Öffentlichkeit und deren gesellschaftlicher Funktion. Er schreibt: "Denn wenn im letzten Jahr, ach was, im letzten Jahrzehnt etwas konstant Konjunktur hatte, dann waren es eben: die Krisen. Dafür reicht schon ein flüchtiger Blick in die Nachrichten oder der Gang in eine Buchhandlung: Ob Finanz-, Wirtschafts-, Euro-, Schulden-, Klima-, Flüchtlings- oder Staatskrise, ob Renten-, Bildungs- oder Wohnungskrise, ob die Krise des Westens, der Männlichkeit, des Glaubens, der Sexualität oder der Demokratie – Krisen sind nicht nur überall, sondern vor allem auch permanent."

Er arbeitet die Besonderheiten der aktuellen Krisenhaftigkeit bzw. die Wahrnehmung darüber überzeugend heraus. Doch so sehr sich die Mechanismen auch entwickelt und eine andere Gestalt angenommen haben, wichtige Aspekte kann man aus der Aufführung von "Krieg der Welten" weiter lernen. Zehn Schauspieler und ein 27-köpfiges Orchester reichten damals, um Tausende in (existenzielle) Angst und Schrecken zu versetzen. Heute bedarf es einer Pressekonferenz ("Antworten würde die Bevölkerung verunsichern"), einer Gruppe von HackerInnen oder Trolle, die Falschmeldungen streuen ("Fall Lisa"). Beides löste keine Panik aus, doch einmal war es auch nur eine unglückliche Formulierung, das andere Mal der Versuch klandestin und subversiv den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu schwächen. Der Versuch der künstlich erzeugten Massenpanik steht hier (soweit bekannt) noch aus.

Anfälligkeit für Fake News kein neues Phänomen
 
Die Anfälligkeit für falsche Nachrichten oder extreme Interpretationen war also schon vor 80 Jahren festzustellen. Die naheliegende Annahme, dass mehr Informationen, eine größere Vielfalt von Informationsquellen oder eine besser mediale Bildung diese Anfälligkeit gesenkt haben, scheint nicht ohne weiteres zuzutreffen. Natürlich unterscheiden sich die heutigen Krisen schon aufgrund ihrer potentiellen Möglichwerdung. Wir lassen uns weniger von Invasion vom Mars erschrecken, stattdessen von der Flüchtlingswelle oder der Terror-Gefahr. Doch sind sie sich gleich, wenn es um den tatsächlichen Gefährdungsgrad geht. Welles sagte damals am Ende des Hörspiels:
Auf Wiederhören, und denken Sie an diese schreckliche Lektion: Der grinsende, glimmende runde Eindringling in ihrem Wohnzimmer ist ein Kürbis, und wenn es klingelt und niemand ist da, war das kein Marsianer - es ist Halloween.
Heute könnte man schreiben:
Das wars für heute mit unserem Liveblog - vergessen Sie nie: Der grinsende, glimmende runde Eindringling auf ihren Bildschirmen ist ein Emoji, und wenn es klingelt und niemand ist da, war das kein IS-Kämpfer, kein Russe und kein Flüchtling - es ist 2018.
Nach all den Fragen rund um die Aufmerksamkeitsökonomie, die Zweifel und Ängste einer Gesellschaft und von Fake News, bleibt die Hoffnung, dass trotz allem genug Zeit zum Nachdenken bleibt. Es scheint der einzige Schutz zu sein. Und es ist ja nicht so, dass sich dies nicht lohnen würde. Ein wenig mehr Ruhe, ein wenig mehr Objektivität, ein wenig mehr Raum zur Diskussion und die Dauerkrise könnte an Bedeutung verlieren. Markwardt dazu:  
Und es ist ja eben auch nicht so, dass es für aktuelle Krisen nicht genug Lösungsvorschläge gäbe. Wie eine wirklich geschlechtergerechte Gesellschaft aussieht, wie Reichtum sozialer verteilt oder die Wirtschaft nachhaltiger organisiert werden kann, das alles wird seit Jahren und Jahrzehnten fortlaufend diskutiert. Würde man die Krisengeräusche für einen Moment herunterdimmen, könnte man sich diese Vorschläge sogar auch anhören.

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