Samstag, 14. Januar 2017

Flagge zeigen in Zeiten des Terrors

Unser Mitgefühl kommt heute aus dem Beamer — über das angestrahlte Brandenburger Tor als Mittel der Politik und Ausdruck unserer Wahrnehmung der Welt

Die Lektüre von Online-Kommentarspalten ist kaum zu empfehlen. Zu viele Trolle, zu viele Pächter der absoluten Wahrheit, zu wenig Raum (obwohl theoretisch unendlich vorhanden) für eine sachliche Auseinandersetzung.

In die Kategorie “Sachliche Auseinandersetzung nur schwer möglich” fällt auch die Frage, wann das Brandenburger Tor warum und wie angestrahlt wird. Vor einigen Tagen wurde die israelische Flagge auf das Berliner Wahrzeichen projiziert, kurz zuvor leuchtete es in den türkischen Farben, kurz vor Weihnachten in Schwarz-Rot-Gold, gemeinsam mit der Fahne Berlins. Die belgische, die französische und die Regenbogenflagge waren ebenfalls schon zu sehen.


Quelle: Von GillyBerlin - https://www.flickr.com/photos/gillyberlin/25691973390/, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=47694860

Die Reaktionen sind dabei stets gemischt. Gerade die israelische Flagge hatte eine große Symbolkraft, angesichts der Tatsache, dass vor acht Jahrzehnten noch Hakenkreuzfahnen von dem Säulenbau wehten. Aus diesem Grund wurde dieses Zeichen der Solidarität in einen größeren Kontext eingebettet. So euphorisch diese Geste begrüßt wurde, so harsch waren manche Reaktionen, die fragten, wann denn die "Flagge Palästinas" aufleuchten würde. Schließlich gebe es in den besetzten Gebieten tagtäglich Anlässe um Solidarität zu zeigen.





Diese Auseinandersetzung zeigt ein Dilemma auf. Natürlich lässt sich einigermaßen nachvollziehbar argumentieren, dass die gezielte Tötung der vier jungen israelischen Soldaten nicht gleichzusetzen ist mit Auseinandersetzungen in den besetzten Gebieten, wenn es darum geht Aktionen als Terrorismus zu definieren.

Klar ist aber auch, dass offenbar in einem äußert komplexen und diffizilen Gebiet ad-hoc Wertungen vorgenommen werden. Es ist am Ende schlicht eine politische Entscheidung, die in der Berliner Senatskanzlei getroffen wird.

Überraschenderweise ist das Thema in der Parlamentsdokumentation des Abgeordnetenhauses noch nicht zu finden und war noch nicht Gegenstand einer kleinen Anfrage oder ähnlichem. Überraschend daher, da es sich gut eignet öffentlichkeitswirksam ausgeschlachtet  zu werden und mit vereinfachenden Botschaften Kritik an der vermeintlichen Willkürlichkeit bzw. der tatsächlichen Wertung von Ereignissen seitens der Regierung zu üben.

Wann wird also angestrahlt? Der rbb-Landeskorrespondent Jan Menzel sagte im Juni vergangenen Jahres: "Da legt man schon eine hohe Latte an." Doch was bedeutet das genau? An die Zahl der Opfer, die perfide Qualität der Attacke, die Region in der Welt? Zynisch: an den Wert der Menschenleben?

Denn auch wenn die Emotionen um das Anstrahlen des Brandenburger Tors mit der Israel-Flagge eher die tiefen Gräben des Nahostkonflikts, aber auch manch tiefsitzendes antisemitisches Ressentiment zeigen, so lässt sich die Auseinandersetzung natürlich verallgemeinern.

Wo bleibt die syrische Flagge? In der vergangenen Woche wurden 43 Menschen im Norden Syriens getötet, wenige Tage zuvor 15 in Dschabla, einer Stadt an der Küste naha Latakia.

Wo bleibt die irakische Flagge? Vergangenes Wochenende wurden 18 Menschen Opfer zweier Anschläge.

Wo bleibt die Flagge Somalias? Mitte Dezember wurden 30 Menschen bei einem Anschlag in der Hauptstadt Mogadischu getötet, etwa 50 verletzt.

Wo bleibt die afghanische Flagge? Vor wenigen Tagen starben mehr als 50 Menschen bei zwei Anschlägen in Kabul und Afghanistan.

Wo ist die Flagge Pakistans? Im November wurden bei einem Anschlag mehr als 50 Menschen getötet. Auch wenn die Zahl der Anschläge gesunken ist, so sind sie doch ein monatliches Ereignis.

Vielleicht ist genau das ein wichtiger Punkt. In bestimmten Regionen haben wir uns bereits daran gewöhnt. Terroranschläge sind dort Teil des Alltags. Konflikte, die das Machtvakuum schaffen, auf das Terrorgruppen angewiesen sind, um auch als militärischer Akteur agieren zu können, sind fast schon selbstverständlich vorhanden und tiefsitzend. Die Attacken werden so eher als Kriegshandlung wahrgenommen, denn als feiger und krimineller Akt. Doch in ihrer Qualität unterscheiden sie sich erst einmal nicht von Brüssel, Nizza oder Berlin.

Diese Orte sind uns natürlich näher als Quetta, Kabul, Bagdad oder Mogadischu. Menschen funktionieren so, kann also kein Vorwurf sein. Doch vergegenwärtigen sollte man sich diese Tatsache schon. So wie nicht "wir", das heißt der reiche Norden, die Hauptlast der Flüchtlingsbewegungen tragen, so zahlen auch nicht wir den "Blutzoll" des globalen Terrorismus.

Wichtig ist in dem Zusammenhang auch die Frage: Wer zieht wo die Grenze? Istanbul verdient unsere Solidarität, doch an der türkischen Außengrenze endet sie? Und könnte die Entwicklung in der Türkei hin zu einer Autokratie dazu führen, dass uns das Land fremder wird und auf politische Gesten der Solidarität verzichtet wird? Ja noch mehr, dass irgendwann implizit ein leises "Selbst schuld" mitschwingen könnte, wenn die widersprüchliche Politik bei der Bekämpfung des IS und die Abwendung von einer Entspannungspolitik mit den Kurden zu noch mehr Gewalt führt? Oder bleibt Istanbul als Partnerstadt Berlins von solchen Überlegungen ausgenommen?

Keine einfachen Fragen und sicherlich bei den ersten Aktionen nicht wirklich bedacht. Es ist ja eigentlich niedlich, wie naiv eine solche Entscheidung anfangs gefällt wurde. Nämlich im Glauben daran, ein herausgehobenes und besonderes Zeichen des Mitgefühls zu senden. Um irgendwann festzustellen, dass man den Beamer gar nicht mehr ausschalten bräuchte. Das gilt nicht nur in Berlin, sondern auf der ganzen Welt, wo Gebäude solidarisch leuchten.

Darüber hinaus kann man natürlich auch grundsätzlich in Frage stellen, ob eine solche Geste nicht eine ähnliche Tiefe aufweist wie das Unterzeichnen einer Online-Petition. Gut gemeint, aber letztendlich nutzlos.



Was bleibt also von solchen Aktionen? Letztlich reflektieren sie unsere Weltsicht, unsere Einteilung der Welt und unsere Wahrnehmung von Bedrohungen. Sie sind Ausdruck unserer Ängste und des Gefühls "Das könnte auch hier passieren." Auch deswegen würde man wohl kaum zivile Opfer im Jemen, im Sudan, in Libyen, in Myanmar oder der Ukraine würdigen, zu weit weg erscheinen (und sind es letztlich ja auch) uns Bombardements, Verfolgung und Massaker.

Gäbe man dadurch diese Geste auch nicht der Beliebigkeit preis? Eine Flagge, die täglich auf Halbmast steht? Oder wäre ein Brandenburger Tor das jeden Tag aufs Neue leuchtet eine Mahnung an uns hinzuschauen und uns klar zu machen, wie privilegiert wir eigentlich tatsächlich sind?

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