Samstag, 28. Januar 2017

Auf einen Kaffee in die Filterblase

Hasskommentare und Filterblasen zu beklagen, ist ja so was von 2016 möchte man meinen. Offenbar ist es aber einfach ein Zustand, an den man sich gewöhnen sollte. Warum, das hat zum Beispiel Evgeny Morozov aufgeschrieben, Mario Sixtus sieht das ein wenig anders, hat aber auch gute Argumente.

Um das Ganze nicht zu theoretisch werden zu lassen und nachzusehen, worüber man denn da redet, reicht es die ausgetretenen Twitterpfade zu verlassen und sich einfach fallen zu lassen. In einen Teil der virtuellen Welt, der meinungsstark und hochpolitisch ist, dabei aber von Menschen bevölkert wird, die sich selbst als unpolitisch und ihre Meinung als gesellschaftlichen Minimalkonsens ansehen. Und die eine Art der Debatte prägen, die - hmm, sagen wir, die manchmal ratlos macht.

Da ist der "kleine Bürger", der eben mal per Tweet deutlich machen will, dass er mit "alldem" nicht einverstanden ist. Da sind Journalisten und Journalistinnen, die dafür retweetfähiges Material liefern und das auf eine Art und Weise, die kaum druckfähig wäre. Aber auch Politiker und Politikerinnen mögen da nicht zurückstehen, schließlich winken Reichweite und Aufmerksamkeit.

Also einen Kaffee eingeschenkt und auf in die Blase. Oder erst einmal hinaus, schließlich geben UNHCR, pri.org oder AdK-Berlin die eigene Richtung vor. Spoiler: Die Kommentarsektionen bei SPON oder ZEIT sind das reinste Vergnügen dagegen. Denn Meinungsstärke heißt hier zumeist: offensive Polemik, Vernachlässigung von Fakten und rücksichtslose Pflege des eigenen Weltbilds.

Katrin Albsteiger (CSU) ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages und eine der vier stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Jungen Union. Als Reaktion auf ein Video der Grünen, dass eine Aussage Seehofers aufgreift und in eine Reihe mit der AfD stellt (definitiv zugespitzt und sicherlich auch kein Beitrag, der politischen Dialog unterstützt), postete Albsteiger ein Bild:



Quelle: Screenshot Twitter

#Linksliegenlassen, ein cooler Hashtag dazu und fertig ist der Content, der bereit ist seine virtuelle Reise anzutreten. Und die ist eine wilde Fahrt. Denn von solchen Posts ist es nur ein Katzensprung zu den "konservativen" Kommentatoren, die teils bei renommierten Medien angestellt sind. Doch bleiben wir noch in der Politik. Hier ein Beispiel, welche fatalen Signale es aussendet, wenn Akteure aus der Bundespolitik in solcher Form agieren. Die Basis macht natürlich gerne mit, hier z.B. ein Herr aus NRW, der sich selbst als "a young german politician, active in the International Commission on Foreign Affairs, Security and Europe. @JU_NRW", bezeichnet:


Quelle: Screenshot Twitter

Es ist schlicht erfunden. Macht ja nichts, unterstreicht den Punkt und passt halt so schön. Kosbab sieht sich sicherlich selbst in der Mitte gut aufgehoben, ein bisschen Polemik muss ja wohl drin sein (die Unterzeile unter "Die Europa-Rede" reißt es auch nicht mehr raus).

Neben dem Posten eigener Artikel und Scharmützel mit "Gutmenschen" tummeln sich viele Journalisten ebenfalls nah an der Basis. Da kommen dann Tweets dabei heraus, wie dieser der WELT-Journalistin Birgit Kelle.


Quelle: Screenshot Twitter

Dass der Erwerb einer Bahncard in Italien recht schwierig werden könnte, geschenkt. Würde man Kelle, die sich ansonsten eher mit "GenderGaga" auseinandersetzt, dafür kritisieren wollen, dass die Aussage angesichts der Schicksale vieler Menschen, die ihre Heimat verlassen haben, zynisch und menschenverachtend ist, könnte sie sich locker darauf zurückziehen, dass es a) eine Tatsache ist, dass man "früher" zu Fuß gehen musste und b) die Bahncard ja nur stellvertretend für die Tatsache der Verfügbarkeit einer Zugverbindung steht. Also völlig neutral, ein Fakt und unproblematisch. Ob das Wörtchen "wenigstens" wertend ist und einen eher daran denken lässt, dass eine Urheberin eines solches Tweets nichts dagegen hätte, dass die natürliche Barriere für so manchen Geflüchteten unüberwindbar wäre (und wer es versucht, ist eben nach dieser Logik selbst schuld, wenn Kälte oder Lawinen der Flucht ein Ende machen), bleibt offen.

Bemerkenswert ist, dass es von Frau Albsteiger und Frau Kelle wirklich nicht weit ist zum Volkszorn, der alternative Fakten für eine logische Begriffsbildung und abweichende Meinungen als Beweis für die eigene bedrohte Existenz hält. Das Ganze sieht nach deren Meinung ungefähr so aus:


Quelle: Screenshot Twitter

Was auffällt sind die vielen Hinweise darauf keiner politischen Richtung anzugehören. #Nichtlinks #Nichtrechts. Oder: #GegenNazis #GegenNaziphobie - man sieht sich als Verfechter universaler Werte, die Demokratie ist da weit vorne. Die wird auf die Tatsache, dass das Volk entscheidet, reduziert. Artikel 1 bis 19 des Grundgesetzes werden dagegen recht frei interpretiert.

Mit dieser Wahrnehmung unpolitisch zu sein, wird man selbst zur Mitte, macht sich zur Mehrheit, schiebt andere an den politischen Rand und sieht seinen Wertekatalog als stellvertretend für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. GEZ soll natürlich nicht gezahlt werden, da #Zwangsgebühr, schließlich „alimentiert“ man so „Vaterlandsverrräter“ wie Jan Böhmermann.

Nicht, dass hier ein falscher Eindruck entsteht: wir bewegen uns hier immer noch im Mainstream. Doch der Grad zwischen angeblichen liberalen oder konservativen Ansichten (Attribute, die in den sozialen Medien völlig entkernt und neu intepretiert werden) und Reaktionären ist eben schmal.

Bewohner und Bewohnerinnen dieser Ecke des Social Media-Universums wollen keine Dogmen und beklagen im nächsten Halbsatz die fehlende Meinungsfreiheit. Den Widerspruch zwischen dem Dogma „Es gibt keine Meinungsfreiheit“ und der Tatsache, dass ihre eigenen Worte hundert,-tausend-, oder millionenfach verstärkt in die Welt (und am Ende ins All, was wiederum ein tröstlicher Gedanke ist) geblasen werden, sehen sie nicht.

„Heimatverbunden“ ist man natürlich schon ganz gern, wer liebt nicht die grünen Auen und die goldenen Weizenfelder, die sich leicht im Wind wiegen. #KeineReligion klingt immer gut, so aufgeklärt, aber am Ende kann man da nicht so ganz konsequent sein, schließlich lassen sich mit christlichen Grundwerten ganz geschickt ausgrenzende und von Vorurteilen getriebene Meinungen bemänteln.

#Hellwach muss man sein heutzutage, denn wenn man nicht aufpasst, dann ist die Demokratie wenn man aufwacht keine mehr. Sucht man aber nach der sachlichen Auseinandersetzung, zum Beispiel zum Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit, der Frage, wie wirtschaftliche Prozesse reguliert oder welche außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen getroffen werden - man kann lange suchen.

#NoGenderQueer ist ein fester Kampfbegriff, genau so wie #FuckTerrorism die Schuldigen fest im Blick hat. Da wird dann der „ISlam“ gerne so geschrieben, wahrscheinlich aber nur ein Zufall.

Und zack, schon ist man beim Profil des Leiters des Onlineauftritts der Jungen Freiheit angekommen. Wie wenig Klicks dafür nötig sind, ist das Erschreckende. Und das Gegenargument für die, die ihre neutrale Haltung und Faktenliebe hervorheben, dabei aber nicht verstehen, dass Selektion eine Form der Wertung ist. Dies mag es im gesamten politischen Spektrum geben, doch nur hier drohen diese Wertungen hart erkämpfte und essentielle Grundlagen des Zusammenlebens aufzuweichen. Hier weichen sachliche Diskussionen dem Aufruf "es im Herbst denen da oben zu zeigen", was völlig in Ordnung ist, wenn es bedeutet zur Wahl gehen zu wollen. Es sollte aber auch das Eingeständnis beinhalten, dass man seine Stimme wahrscheinlich einer Kraft gibt, die nicht die Absicht hat zu gestalten, sondern zu spalten. Angesichts der vielen Herausforderungen unserer Zeit eine bedenkliche Haltung.

Der Kaffee ist leer, zurück in die eigene Filterblase, wo es so schön warm und gemütlich ist. Das gehört natürlich auch zur Wahrheit. Aber wenn sich alle mal einen Kaffee lang Zeit nehmen würden beim anderen vorbei zu schauen, wäre die ganze Sache vielleicht weniger bedrückend.

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