"In der Obama-Ära hat das Töten ein neues Merkmal bekommen, nennen wir es die "Verdrohnisierung". Es gibt keinen Kombattantenstatus, kein erklärtes Kriegsziel, keine Verhandlungsoption, und es werden keine Gefangenen gemacht. Es wird schlicht getötet, und wer zur falschen Zeit am falschen Ort ist, stirbt mit.
[...]
Auch
um unserer selbst willen sollten wir deshalb am Ende einer
US-Präsidentschaft, die mit dem Friedensnobelpreis begann, einen Moment
innehalten und eine überaus schlichte Frage zu beantworten suchen: Wie
halten es die USA, die Nato, der Westen mit dem Töten? Und welche Rechte
hatten jene, die getötet wurden?"
Das sind Fragen, auf die Charlotte Wiedemann in ihrem Artikel "Postfaktische Opfer" eine Antwort sucht. Wir
haben uns daran gewöhnt, dass Menschen per Drohne getötet werden. Nur
unter Einhaltung höchster Standards, was die Auswahl der "Ziele" angeht,
wie Offizielle, darunter auch der scheidende US-Präsident Barack Obama,
stets versichern. Der Gewöhnungseffekt lässt sich auch damit legitimieren,
dass Drohnen eben eine logische Folge technologischer Entwicklung sind.
Gebaut und eingesetzt wird eben, was machbar ist.
Doch stimmt das wirklich? Und steckt dahinter nicht eine gefährliche Logik?
Charlotte
Wiedemann schreibt in ihrem Artikel über "postfaktische Opfer". Sie
meint damit, dass die Toten sich im Durcheinander der allgegenwärtigen
Kommunikation verlieren. Sind die Bilder nun echt? Handelt es sich um
Propaganda? Und was steckt überhaupt dahinter - handelte es sich am Ende
nicht doch um verkleidete Kämpfer? Um menschliche Schutzschilde, deren
Tod zwar bedauerlich, aber im konkreten Fall unvermeidlich war? Wiedemann
konstatiert knapp: "Zu viele tote Kinder heutzutage im Netz."
Sie zeigt in ihrem Artikel unsere eigene Verlogenheit, die Heuchelei des "Westens" auf. Und klagt die Aufweichung von Menschenrechten in der Amtszeit eines US-Präsidenten, der als Vertrauensvorschuss den Friedensnobelpreis erhielt, an.
Zwei Gedanken will ich an dieser Stelle noch hinzufügen. Zum einen den Aspekt der (wahrgenommenen) Pfadabhängigkeit. Drohnen sind mittlerweile normaler Bestandteil der Armee weltweit. 19 Staaten verfügen über bewaffnete Drohnen, es werden bald deutlich mehr sein. Im Zuge der Revolution in Military Affairs handelt es sich um eine ganz normale Entwicklung.
Doch gerade die aktuellen Technologien stellen durch ihre potentielle Reichweite und Durchdringungsstärke grundsätzliche Fragen. Die Schwelle zur Manipulation des Menschen oder der Umwelt überschreiten Grenzen, die bisher festgefügt schienen und als Orientierungspunkt für das Menschsein an sich dienten. Auch moralisch gab und gibt es keine Debatte, was geschieht, wenn autonome Waffensysteme Entscheidungen treffen. Aus diesem Grund sollte die angesprochene Entwicklung ernst genommen und nicht im Rahmen "So ist eben technologischer Fortschritt" abgetan werden.
Wenn die Darpa über die Manipulation von Insekten zum Schutz von Pflanzen schreibt, darf man nicht vergessen, dass die Behörde sich um militärisch relevante Forschung kümmert, also die Entwicklung von Drohnen, Robotern oder der Tarnkappentechnik. Quelle: Screenshot von darpa.mil |
Der andere Aspekt ist das Motiv der Überforderung. Propaganda nimmt zu, das mag sein, Glaubwürdigkeit muss bezweifelt werden. Doch wenn wir beim von Wiedemann benutzten Term "postfaktisch" bleiben wollen, dann geht es nicht nur um die Entmenschlichung durch die Form der Darstellung und die Existenz von Fakes. Es geht darum, dass eine echte Konfrontation mit den Geschehnissen - obwohl sie möglich wäre - vermieden wird. Überspitzt kann man sagen: Die Bilder der toten Kinder kann man nur als Propagandainstrument abtun, denn würde man sich gedanklich mit Hilfe der verfügbaren Bilder an den Schauplatz eines Angriffs im Jemen, in Afghanistan oder Syrien versetzen, dann... Ja, was bliebe dann? Außer das Gefühl im Ringen zwischen Anspruch und Wirklichkeit zerquetscht zu werden.
Man kann diese Bilder nicht hinnehmen, nicht einfach mit ihnen umgehen. Man kann sie zurückdrängen, anzweifeln, abheften unter dem Label "Fake" und mit dem Gefühl versehen, dass sie instrumentalisiert werden und keine eigene Wahrheit vermitteln, da sie natürlich nichts über die Hintergründe und den Verlauf eines Konflikts aussagen. All das mag nachvollziehbar sein, stellt aber letztlich einen Abwehrmechanismus dar, um mit der Ära der "Verdrohnisierung" zurecht zu kommen.
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