Montag, 26. Dezember 2016

"2016 is a bitch": Wenn prominente Todesfälle unsere kollektive Wahrnehmung bestimmen

"2016 - fick Dich hart" - "2016 - Du Arsch" - "Wann ist 2016 endlich vorbei?" - "Was wenn 2016 nur die Vorband für 2017 ist?"

So oder so ähnlich kann man sich gerade durch Timelines und Kommentarspalten klicken. Der Tod von George Michael ist dabei natürlich nun besonders passend, stiller Jubel in mancher Redaktion über die Möglichkeit der "Last Christmas"-Wortspiele. 

Abgesehen davon, dass sich JedeR selbst ein Bild davon machen kann, dass tatsächlich jedes Jahr prominente Personen sterben (https://gestorben.am), stellt sich die Frage, ob diese Fixierung auf Einzelpersonen angesichts tausender Toter im Mittelmeer, Zehntausender in Syrien oder dem Jemen nicht etwas zynisch anmutet.

Nun funktioniert eine Mediengesellschaft eben immer auch im Rahmen dieser Mechanismen. Berühmte und schillernde Persönlichkeiten erregen mehr Aufmerksamkeit als normale Menschen. Das ist normal (aber kein Automatismus und Naturgesetz) und kein Grund das öffentliche Betrauern dieser Personen zu kritisieren.

Unpassend ist es am Ende aber diese Aufsummierung von angeblich besonders tragischen Todesfällen in den Kontext eines massenhaften Sterbens und einer "Bilanz des Todes" zu stellen. Denn nur weil David Bowie und Leonard Cohen das Zeitliche gesegnet haben, heißt das nicht, dass 2016 DAS tragische Jahr war. Viele Menschen wurden in Krisen- und Konfliktgebieten getötet, doch erst die prominente Unterstützung machen sie zu tragischen Opfern eines Schreckensjahres.

In Syrien sind bisher vermutlich etwa 500.000 Menschen durch direkte oder indirekte Wirkungen des Krieges gestorben. Möglicherweise 2011 mehr als in diesem Jahr. Oder in Somalia. Mitte Dezember wurden 30 Menschen bei einem Anschlag getötet. Niemand zählt mehr wirklich, wie viele Menschenleben der Konflikt in den zerfallen staatlichen Strukturen gekostet hat. Nach dieser Logik könnte 2014 besonders tragisch sein, blickt man auf die Opferzahlen im Irak. Garniert mit Udo Jürgens, Robin Williams, und Joe Cocker - 2014 worst year ever!

Das mag pedantisch und hypermoralisch erscheinen. Und Trauer lässt sich nicht verordnen. Jedoch drängt es zu einem solchen Zwischenruf, wenn die öffentlich zur Schau gestellte Trauer eine solch künstliche Dynamik erhält. Eine Dynamik, die sich nur an der Qualität einer Story, die sich eben besonders gut erzählen lässt, misst. Dafür passt es dann auch ganz gut, dass in diesem Jahr vermutlich so viele Menschen im Mittelmeer ertrunken sind, wie noch nie. Doch erst durch die Flankierung dieser Tausenden Toten durch berühmte Persönlichkeiten wird das Massensterben im kollektiven Gedächtnis verankert. Das erscheint dann mindestens etwas scheinheilig.

Ein wenig weiter gefasst, kann man sich in dem Zusammenhang folgenden Spruch ins Gedächtnis rufen: "No one is free when others are oppressed." Das bedeutet letztlich, dass wir uns jeden Tag aufs Neue bewusst machen müssen, in was für einer Welt wir leben. Das kann dabei helfen, das was man hat mehr schätzen zu können. Oder auf der anderen Seite etwas dafür zu tun, dass andere Menschen nicht einfach als Kollateralschäden unserer Alltagswirklichkeit akzeptiert werden.

Das wäre dann fast ein wenig weihnachtlich. Und auch passend zum Gedenken an George Michael. Der hat schließlich mal gesagt: "There's no comfort in the truth, pain is all you'll find."

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