Dienstag, 29. November 2016

Kampf gegen Terror und Drogen: Die Sucht nach Strafe

20 Jahre Gefängnis für die "Unterstützung des Terrorismus" und für den Plan, ein Mitglied der Streitkräfte und Polizisten umzubringen. Ist das angemessen? Und was bringen solche Strafen überhaupt?


Screenshot New York Times


Es mag besonders in Deutschland lebenden Menschen auffallen, wie drakonisch und konsequent in den USA Menschen verurteilt werden.

Gleichzeitig gibt es viele Menschen geben, die immer wieder die Straflosigkeit von Rasern, Sexualstraftätern oder Einbrecherbanden beklagen (was nach Einschätzung der meisten Expert*innen und Akteur*innen aus der Praxis Quatsch ist). Die auf die Frage der Angemessenheit nur eine Antwort kennen: “Auf jeden Fall. So einer sollte gar nicht mehr raus dürfen!”

Doch man sollte sich in diesem Zusammenhang einmal vor Augen führen, was ein Freiheitsentzug in solchen Dimensionen bedeutet. Es geht ja nicht um Rache, sondern um den Schutz der Gesellschaft. Dieser leidet, wenn lange Strafen Resozialisierung unmöglich machen, oder die Ressourcen für den Ausbau von Gefängnissen aufgewendet werden, anstatt für die Betreuung von Gefangenen bzw. Entlassenen.

Gerade die Verhältnisse in den US-amerikanischen Gefängnissen müssen dabei mitgedacht werden. Doch auch hier in Deutschland gilt: Wer bei einer Verurteilung von einigen Jahren für schwere Delikte ruft: “Viel zu weiche Strafen!”, der verkennt nicht nur den grundsätzlichen Effekt von Strafen, sondern auch ihr konkretes Erleben.

Zum einen gilt: Strafe findet ihre Legitimation in der Zweckhaftigkeit für die Zukunft. Was so sperrig daher kommt, heißt nichts anderes, als dass eine Gefängnisstrafe für mehr Sicherheit aller sorgen soll. Die gibt es aber nur, wenn zum Beispiel die Rückfallquote gering ist.

Zum anderen belastet Freiheitsentzug einen Menschen auf vielfältige Art und Weise. Eine Person in Freiheit kann sich dies wohl nicht einmal ansatzweise vorstellen. Die fehlende Freiheit geht dabei ja nicht nur mit dem vollständigen Verlust an Autonomie und Selbstbestimmtheit einher. Die Hilflosigkeit wird auch dadurch verstärkt, dass “Draußen” das Leben einfach weitergeht. Ohne Rücksicht. Allein das Gefühl, Dinge zu verpassen, kann für sich schon eine große Belastung darstellen. In dem Werk “Psychologie der Haft” von 1955 schreibt Hans von Hentig über die Wirkung des Freiheitsentzugs:
Von allen Formen der Umwelt ist die Haft die unnatürlichste. Tiere oder Menschen, die sich in einer Grube gefangen haben, würden Qualen erleiden, schließlich den Unbilden der Natur, dem Hunger, dem Durst erliegen. Der Staat, der strafen will, bürdet dem Gefangenen künstliche Isolierung auf. Um aber der Absonderung Dauer geben zu können, mildert er die Wirkungen, die im regelmäßigen Lauf der Dinge den Tod und das Ende der Einschließung herbeiführen würden. Er schützt den Gefangenen gegen Hitze und Kälte. Er schützt ihn gegen seine Feinde, hält ihn sogar im Kriege am Leben, wenn alle anderen den Zwecken des Staates dienen müssen. Er bewahrt ihn vor Krankheit, Selbstmord, den eigenen lebenverkürzenden Neigungen. Er gibt ihm eine Ruhestätte, zu essen und zu trinken. Auf einen engen Raum zusammengedrängt, werden die physiologischen Funktionen so weit in Gang gehalten, daß die verhängte Absonderung lange, oft sehr lange Zeit durchgeführt werden kann. [...] Die einfachen und großen Motive des freien Lebens verlieren angesichts der Freiheit von Hunger, von Sorge für sich selbst, von Sorge für andere, Sorge für die Zukunft ihre Geltung.
Am Schluss greift lange Haft nach dieser Beobachtung nach längerer Zeit das Menschsein an sich an, oder stellt es in Frage.

Es ist darum bemerkenswert, dass in den USA vor allem im Bereich der Drogenkriminalität immer noch auf die Grundsätze der mandatory minimums oder des three-strikes law zurückgegriffen wird. Je nach Anwendung kann z.B. das dritte Vergehen mit einer Mindeststrafe von 25 Jahren belegt werden. Dabei spielt es oftmals keine Rolle, wie lange die anderen beiden Vergehen zurückliegen. 


Screenshot famm.org
Das führt dazu, dass die durchschnittliche Haftstrafe in Bundesgefängnissen der USA bei unglaublichen 9,5 Jahren liegt. Ohne, dass dies zum Schutz der Gesellschaft beiträgt, oder ein echtes Anliegen derselben erfüllt. Sogar Jugendliche werden dabei zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Zum Vergleich: In Deutschland liegt die durchschnittliche Haftdauer bei ca. sieben Monaten. Lebenslange Haft bedeutet im Schnitt etwa 20 Jahre.

Zurück zum Fall vom Anfang. Genauso wie Drogenvergehen ideologisch aufgeladen und damit soziale und gesellschaftliche Probleme (scheinbar) adressiert wurden, so ist der Kampf gegen den Terrorismus, der seit kurzem rhetorisch kein Krieg mehr ist, ein Ideologischer.

Genauso wenig, wie der war on drugs gewonnen werden kann, kann DER Terrorismus (den es nicht gibt) militärisch oder durch die Strafverfolgungsbehörden besiegt werden (es lassen sich hier möglicherweise Analogien zum strapazierten Begriff der Fluchtursachen ziehen, die eben nur mittel- bis langfristig und mit einer globalen kohärenten Strategie, die soziale und wirtschaftliche Verwerfungen im Blick hat, beseitigt werden können). Vor allem schützen harte Strafen nicht vor neuem Terror.

So wird hier die Strafe zum Selbstzweck, zur Rache und zum Ausdruck der Hilflosigkeit einer Gesellschaft vor einem Phänomen, dem man kollektiv entgegen treten muss, das aber nicht auf einer individuellen Ebene mit drakonischen Strafen beseitigt werden kann. Das alles ist nicht neu und gilt keinesfalls nur für die USA, sondern überall dort, wo nach härteren Strafen gerufen wird, ohne sich mit Auswirkungen derselben und den Ursachen der Vergehen zu beschäftigen.

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