Sonntag, 5. Juni 2016

Kommentar zur Abschottungspolitik nach australischem Vorbild: Von den Schlimmsten lernen

Die Vorschläge des österreichischen Außenministers Sebastian Kurz passen in die Zeit. Abschottungspolitik wird nun also offiziell mit humanitären Motiven begründet. 

Screenshot von tagesschau.de

Bessere Abschreckung halte Menschen von der Überfahrt ab, dementsprechend würden weniger Geflüchtete ertrinken. Die schnelle Festsetzung und Internierung auf Inseln (Frage: Was soll daran neu sein?) mache eine schnelle Abschiebung möglich, niemand gelange aufs europäische Festland. Man meint das gegenseitige Schulterklopfen unter den Anhängern eines solchen Vorschlags fast hören zu können. Vorbild: Australien.
UN finds Australia’s treatment of asylum seekers violates the Convention Against Torture

Australia's immigration policies violating international law, Amnesty International says


Amnesty: Australien bezahlte Flüchtlingsschlepper


Australia's indefinite detention of refugees illegal, UN rules
 

Australische Politik ohne Moral 
Das sind nur einige der Schlagzeilen, welche die Folgen der australischen Politik beschreiben. Manche beziehen sich auf die direkten Abfang- und Abschiebemaßnahmen, manche auf mittelbare Folgen der unzureichend kontrollierten Internierung und Weiterbehandlung der Menschen außerhalb Australiens. Welch eine Bankrotterklärung also, dass ausgerechnet das Industrieland, das derzeit am meisten für seine Asylpolitik kritisiert wird zum Vorbild genommen werden soll. 

Sollten wir uns nächstes Mal beim Umgang mit angeblichen Verratstatbeständen à la netzpolitik.org dann an der Türkei orientieren? An Ägypten? Oder einfach frei unter den 20 Ländern mit der am geringsten ausgeprägten Pressefreiheit auswählen? Wenn wir über den Justizvollzug nachdenken, nehmen wir uns da künftig die USA zum Vorbild? Oder Saudi-Arabien? Wenn es um die Gestaltung von Wahlen und Amtszeiten geht, fragen wir nächstes Mal in Ruanda oder Simbabwe nach?

Der Wunsch zahlreicher europäischer Politikerinnen und Politiker - Australische Anzeigenkampagne: „Keine Chance - Ihr werdet Australien nicht zu eurer Heimat machen."

Der Vorschlag von Kurz (Natürlich, das System sei nicht eins zu eins kopierbar, was der Kritik den Wind aus den Segeln nehmen soll. Doch die Stoßrichtung und deren Folgen lassen sich damit nur mit Mühe verschleiern) spiegelt die allgemeine Hilflosigkeit in der Debatte um Flucht und Migration wider. Die Hilflosigkeit einer Politik, die sich nicht mehr traut, den Bürgerinnen und Bürgern die Wahrheit über die tatsächlichen globalen Verhältnisse zu sagen und vor Schreckt erstarrt, ob der Erfolge von Parteien, die einfach und monokausale (DER Islam! DIE Flüchtlinge!) Antworten geben. Denn die Wahrheit ist, dass wir mit schuldig an Flucht und Vertreibungen sind. Dabei geht es nicht einmal um die oft zitierten Waffenexporte, sondern um die grundlegende Asymmetrie zwischen Nord und Süd. 

Die Politik müsste den Mut haben zu sagen, dass wir uns über die eigene Lebensführung Gedanken machen (und sie ändern) müssen, wenn wir den Herausforderungen der Zukunft begegnen wollen. Und dann der Neiddebatte und den Abstiegsängsten aktiv mit einer Politik begegnen, die danach fragt, wie Wohlstand künftig verteilt sein soll und welche Ungleichheit eine Gesellschaft auf Dauer aushalten kann (oder will). Bei den Antworten wird man sehen, dass die Frage, wie viele Flüchtlinge ein Land oder ganz Europa aufnehmen kann, an Bedeutung verliert. Wem die Antworten nicht gefallen, der kann ja immer noch in Australien sein Glück versuchen.

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