Mittwoch, 1. Juni 2016

Bekämpfung von Fluchtursachen: Ein schmutziges offenes Geheimnis

Das Wort "Fluchtursachen" ist eines, das mittlerweile sowohl als Ausrede wie auch zur fundierten Problemeinschätzung benutzt wird. Die Bundesregierung schreibt zum Beispiel: 

Wir Deutschen wissen aufgrund unserer Vergangenheit, welches Leid hinter jedem einzelnen Flüchtlingsschicksal steckt. Aber wir können die Not von Bürgerkriegen und anderen humanitären Katastrophen nicht hier in Deutschland lösen. Umso wichtiger ist es, die Hilfe vor Ort zu verstärken und den Menschen in ihrer Heimat bessere Lebensperspektiven zu geben.

Das ist eigentlich deutlich. Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagte Anfang Mai bei einem Besuch im Niger, man müsse Fluchtursachen frühzeitig bekämpfen. Nun stellt sich die Frage, was die angesprochenen Fluchtursachen denn sind. Natürlich handelt es sich vornehmlich um Fragen der langfristigen sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung und die problematische Sicherheitslage in den Staaten, aus denen Menschen flüchten. Dinge also, die man zum Beispiel über eine veränderte Handelspolitik steuern kann. Probleme, die sich zum Beispiel mit der Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele adressieren lassen. Entwicklungen, denen künftig im Zuge einer Stärkung ziviler Mechanismen zur Konfliktbearbeitung begegnet werden könnte (Wer an dieser Stelle reflexartig "Gutmenschentum" ruft, sollte sich fragen, welche Erfolge mit Interventionen, der Lieferung von Waffen und Unterstützung bewaffneter Gruppen bisher im internationalen Kontext erreicht wurden. Hier geht es nicht um den Kampf gegen den IS - dessen Erstarken wäre ohne die derzeitige regionale Instabilität kaum möglich gewesen).

Aktuell scheinen besonders viele Menschen als Reaktion auf Krisen, also Konflikte, Natur- oder Umweltkatastrophen zu flüchten. Viele Menschen, die aus Syrien in eines der Nachbarländer flüchteten, oder Menschen in Ost- und Zentralafrika, die Zuflucht und Schutz in der Region suchten, haben sich dann nach einer Weile Richtung Europa aufgemacht. Warum? Folgende Grafik gibt einen Hinweis:


Quelle: http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/gho_funding%20status_16.5.16.pdf

Was sieht man hier? Schlicht das Versagen der internationalen Gemeinschaft. Jahr für Jahr werden Summen auf Konferenzen beschlossen und es wird nachdrücklich für eine frühzeitige und nachhaltige Hilfe geworben. Doch letztlich werden die Zusagen nicht eingehalten. Knapp 20 Prozent (je nach Statistik auch etwas mehr) von insgesamt benötigten 20,8 Milliarden US-Dollar wurden zum Beispiel bisher im Jahr 2016 bereitgestellt. 


Selbst in Syrien, das medial rauf und runter diskutiert wird, fehlen mehr als 75 Prozent der veranschlagten Mittel zur Flüchtlingsversorgung (natürlich ist die Versorgung vor Ort auch aufgrund der bewaffneten Auseinandersetzungen problematisch - doch der Fakt der fehlenden Mittel bleibt). Die Nahrungsmittelkrise in Äthiopien ist massiv unterfinanziert, die Zentralafrikanische Republik erhielt bisher zwei Prozent der veranschlagten 532 Millionen US-Dollar.

Nun ist das Jahr noch lang mag man einwenden. Doch ist eine solches Argument vermutlich unbegründet. Hier die Situation für Afghanistan 2015:


Quelle: https://ftsbeta.unocha.org/appeals/1070/summary

Natürlich flossen immerhin etwa 430 Millionen US-Dollar ins Land. Doch es darf nicht verwundern, dass eine Unterfinanzierung von Hilfsmaßnahmen in dieser Größenordnung suboptimale Ergebnisse nach sich zieht. Projekte, die langfristig Wirkung entfalten sollen, bleiben so in der Entwicklung stecken, oft bleibt es bei Leuchtturmprojekten, die nicht in der Breite wirken. Damit ist nicht gesagt, dass eine hundertprozentige Finanzierung alle Probleme auf einen Schlag löst und alle Fluchtursachen beseitigt. Wenn man aber bereits bei der Nothilfe hinter den Erwartungen (und auch den eigenen öffentlich kommunizierten Vorgaben) zurück bleibt, dann sollten die aktuellen Verhältnisse nicht verwundern. 2014 waren es in Afghanistan übrigens 76,6 Prozent, 2013 73,5 Prozent und 2012 nur 49,9 Prozent

Die Berichte über die Verhältnisse in Flüchtlingslagern im Libanon, Jordanien oder Pakistan machen die schwierige Lage vor Ort klar. Ein dauerhafter Aufenthalt unter solchen Bedingungen gepaart mit einer fehlenden Rückkehrperspektive machen eine Weiterreise erwart- und nachvollziehbar. Auch in der Türkei, wo in den Lagern gute Bedingungen herrschen, gibt es Probleme. Es gibt schlicht nicht genügend Plätze.

Aus Burundi flüchten zur Zeit Tausende vor paramilitärischen Verbänden. Neben der fehlenden sicherheitspolitischen Aufmerksamkeit, fehlen auch hier zwei Drittel notwendiger Mittel im Land selbst. Schon jetzt wird es schwierig Geflüchtete in der Region zu versorgen:

„Ich sah bei niemandem die Perspektive oder auch nur den Wunsch, nach Burundi zurückzukehren“, meinte David Miliband – einst Spitzenpolitiker der britischen Labour Party, heute Vorsitzender des International Rescue Committee – nach einem Besuch im tansanischen Flüchtlingscamp Nyarugusu, das zu einer Slumsiedlung mit mehr als 150.000 Bewohnern angewachsen ist. „Alles deutet auf dauerhafte Vertreibungen hin. Wir müssen uns auf eine lange Krise einstellen.“

Bevor also überhaupt von den großen politischen Fragen geredet wird (die ihre Berechtigung haben, zum Beispiel wenn es um die Ausgestaltung globaler Handelsbeziehungen geht), müssten zunächst kurzfristige, aber nicht weniger wichtige Vorgaben erfüllt werden. In der vergangenen wurden solche Fragen auf dem UN-Nothilfegipfel in Istanbul diskutiert. Die Ergebnisse waren sicherlich kein Durchbruch. 

Natürlich geht es auch um viel Geld, doch allein für 2016 und 2017 werden die "Kosten" zur Flüchtlingsversorgung in Deutschland auf 50 Milliarden Euro geschätzt. Zur Erinnerung hier geht es um 18,6 Milliarden Euro weltweit. Wer dann daraus eine Neiddebatte stricken will, dem sei die aktuelle Kolumne von Stefan Gärtner ans Herz gelegt:

Daß vom Faschismus schweigen muß, wer vom Kapitalismus nicht reden will, ist als Weisheit so aktuell wie vergessen, denn wäre sie es nicht, würde ja mal jemand fragen, warum das Hand in Hand geht: daß die Reichen reicher und die Armen ärmer und die Faschisten, von Trump bis Orbán, von Paris bis Wien, immer mehr werden. Sicher, da fühlen sich Leute „abgehängt“, aber von wem?

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