Montag, 13. Juni 2016

Kommentar: Fußball, errette uns!

Zehn Minuten war das Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen die Ukraine alt, als der Kommentator Gerd Gottlob auf die Auseinandersetzungen zwischen Spielern von Dynamo Kiew und Schachtar Donezk einging. Ein wenig später zitierte er den ukrainischen Trainer, es sei Aufgabe den Menschen daheim "Freude zu bereiten", das habe man auch bei der Hymne gesehen, was das für eine nationale Aufgabe ist, hier eine gute Rolle zu spielen.

Sebastian Fischer schrieb in der Süddeutschen Zeitung Fußball in seinem Kommentar "Fußball als Symbol - aber wofür?" unter anderem "Angst vor Terror, Europa vor der Zerreißprobe. Selten waren Bilder einer EM für einen geeinten Kontinent so wichtig."

Man muss sich mal klar machen, was das heißt. Der Fußball soll versöhnen und einen, soll ablenken, Freude und Hoffnung vermitteln. Dazu soll es natürlich friedlich und freundlich sein, aber die eigene Nation muss auch Erfolg haben. Denn Freude wird im Sport vor allem durchs Gewinnen vermittelt. Ungeschickt dabei ist, dass eben nicht alle gewinnen können.

Es genügt ein Blick in die deutsche Gruppe, um sich klar zu machen wie widersinnig es ist, ein Fußballturnier so zu politisieren und mit Nationalgefühlen aufzuladen. Und wie weit Traum und Realität auseinander liegen. 

EM-Gruppe C: Polen, die Ukraine, Nordirland und Deutschland

In Polen demonstrierten vergangenes Wochenende zehntausende Menschen gegen ihre Regierung, welche die Presse- und Meinungsfreiheit beschneidet und auf Distanz zu den europäischen Insitutionen geht. Die Zuwanderungsdebatte wird dort äußerst hitzig geführt, im Osten droht nach Auffassung vieler der russische Nachbar. Da würde es natürlich helfen, wenn die Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft ein sog. "Sommermärchen" schreiben würde. 

In Nordirland kosteten "The Troubles" in knapp drei Jahrzehnten mehr als 3.600 Menschen das Leben, 50.000 wurden verletzt. Auch wenn seit 1998 offiziell Frieden eingekehrt ist, herrscht immer noch starke Segregeation zwischen Katholiken und Protestanten und werden weiterhin Gewalttaten verübt. Ende des vergangenen Jahres wurde ein ehemalies IRA-Mitglied ermordet und die Spannungen zeigten sich wieder deutlich an der Oberfläche. Auch hier täte es nach Auffassung von Beobachtern gut, wenn die Nationalmannschaft als einendes Element konfessionelle Grenzen überwindet.  

Die Ukraine bleibt weiter faktisch zweigeteilt und es wird weiter gekämpft. Die Kampfhandlungen zwischen von Russland unterstützten Milizen, regulären russischen und ukrainischen Truppen sowie Freiwilligenmilizen konnten auch durch den Waffenstillstand im Dezember vergangenen Jahres nicht komplett beendet werden. statt. Fast 10.000 Menschen wurden seit 2014 getötet."Fußball ist Politik" und "Nur der Fußball eint unser Land" sind Sätze, die nun zur EM vermehrt fallen.

Und Deutschland? Die "Flüchtlingskrise" spaltet, es ist eine zunehmende Polarisierung zu beobachten, wenn viele Bürgerinnen und Bürger nach politischen "Alternativen" suchen, "Mainstream"-Medien nicht mehr trauen und sich im öffentlichen Diskurs als unterdrückte Minderheit betrachten, die sich ständig von der Moralkeule linksgrüner Meinungsübermacht an den Rand gedrängt fühlen. Da tut es der geschundenen Volksseele natürlich gut wenn Deutsche Deutschen zujubeln können. Beim Nationalheiligtum Nationalmannschaft können (und müssen) sich dann mittlerweile auch wieder konservativste Kräfte progressiv zeigen, wenn einem Boateng zugestanden wird für Deutschland zu spielen und man auch mal ein Auge zudrückt, wenn Shkodran ein Tor macht, denn schließlich sorgt ja Schweini für das standesgemäße 2:0. Alles in Ordnung also, allein es braucht nur mehr davon.

Verlieren ist verboten, das gilt für alle nationalen Einigungsversuche, für das Vorhaben die Flüchtlingssituation, den Terror und vielleicht sogar den Klimawandel, wenn nicht zu lösen oder zu besiegen, dann doch vergessen zu machen.

National und offen, Reinheit des Sports und politischer Akteur - die Widersprüche beim Fußball lassen sich ganz einfach wegjubeln. Nur verlieren sollte man nicht. Quelle: Klaus Hausmann, via pixabay.com

Fußball als Retter

Nicht nur dass obigen Sätze vom Fußball als Retter wahnsinnig überstrapaziert sind, sie verschärfen eben auch noch das ganze Drumherum und laden Dinge mit nationaler Bedeutung und politischen Positionen auf, die diesen nicht gerecht werden können. Und auch nicht sollen. Denn während an der einen Stelle nationale Aufgaben beschworen und Krisen durch sportliche Erfolge gefälligst vergessen gemacht werden sollen, schlagen sich draußen Anhänger der Nation die Köpfe ein. 

Da titelt dann der Kicker "Daniel-Nivel-Stiftung will Feindbilder abbauen", als sei das Ganze ein neues Phänomen und die Stiftung nicht vor 16 Jahren als Reaktion auf Randale von der WM 1998 gegründet worden. Der französische Innenminister geht am Abend kurz auf die aktuellen Ausschreitungen ein, verpasst es aber dann doch sie tatsächlich zu verurteilen, da er es nicht schafft über Sicherheit ohne den Kampf gegen den Terrorismus zu reden. Wir sind von Außen bedroht, da muss man eben Prioritäten setzen.

Erregt wird die nach Einigkeit dürstende Nation von dem Aufruf der Grünen Jugend zum Fahnenverzicht ("Grüne Jugend fordert Fußballfans auf, dte. Fahne einzurollen, würde Nationalismus befördern. Verlangten wir das von anderen, wärs Rassismus." - Julia Klöckner; "Besser Patriot als ein Idiot" - Andreas Scheuer; "wie peinlich ist denn das. jetzt häng ich mir wieder ne deutschland flagge über den strandkorb. jawohl." - Johannes Kahrs). Dass der neue gesunde friedliche deutsche Patriotismus zur Zeit etwas überladen werden könnte, das anzusprechen, ist also Tabu. Niemand soll das Schöne und Reine des Sports gefährden, auch wenn es durch die vielen Bedeutungszuschreibungen ohnehin erdrückt wird. Ein Widerspruch den man nicht auflösen braucht. Sondern einfach wegjubeln kann. Fußball, errette uns - mit Schweiß und Schweini.

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