Donnerstag, 16. Juni 2016

Halbzeitgedanken: Nachhaltige Ignoranz

Eine Fußball-EM ist ja auch immer eine ganz gute Standortbestimmung, was die Welt der Werbung angeht. Sicherlich kein Super-Bowl und auch keine Spielwiese für Experimente. Es wird einfach mehr Geld als sonst in die Hand genommen, um recht simple massenkompatible Botschaften zu senden, die bei möglichst vielen Zuschauern und Zuschauerinnen Wirkung erzielen. 

Weniger Bier als sonst also in den Fußballwerbepausen, auch weniger Baumärkte. Die Autos bleiben. Nicht weiter bemerkenswert auf den ersten Blick. Auf jeden Fall nicht aufgrund von Geschlechterfragen relevant. Das würde in die Irre führen. Vielmehr geht es um eine Sache, die eigentlich den meisten Menschen einleuchtet, wenn man über Nachhaltigkeit spricht: Erzeugung und Gebrauch von Autos in einem bestimmten Maße sind problematisch. Simple as that.

Das heißt nicht, dass sofort alle Autos beschlagnahmt werden sollen. Aber wenn man die Werbung eines Unternehmens betrachtet, das in der Halbzeit im ZDF wirbt, ist offensichtlich, dass hier eine Botschaft vermittelt wird, die nicht hilfreich ist:


Diese stößt aber keiner Mehrheit auf. Sie ist eine, von der man ausgeht, dass sie eine positive und effektive (fast möchte man sagen nachhaltige) Werbewirkung entwickelt. Wirkung bei all den Millionen vor den Bildschirmen, die sich sicherlich heterogener zusammensetzen als an einem normalen Fußballsamstag.

Weißt Du noch, welche Autos Du mal haben wolltest?

Und? Hattest Du schon alle?

Autos sind toll.

Worauf wartest Du also?

Der aktuelle, kurze Spot bei der Übertragung England - Wales ist noch passender:

Was machst Du, wenn Dein Auto nicht zu Deinem Leben passt?

Änderst Du Dein Leben? Oder Dein Auto?

WELCHER IST DEIN NÄCHSTER?

Was soll man da noch sagen. Abgesehen davon, dass die Sätze aus der Feder eines Pornodrehbuchschreibers stammen könnten ("Hattest Du schon alle?") Was hilft es da, dass es vor einiger Zeit Diskussionen um die NextPhone-Option bei Vodafone gab. Die dazu führten, dass sich das Unternehmen rechtfertigen musste und diesen Tarif erst einmal einstellte

Botschaften laufen marktwirtschaftlichem Konsens zuwider

Es kommen andere, die darauf setzen, dass der Markt (und damit auch die Konsumenten) erfolgreich verdrängen und verschleiern, welche Logik eigentlich hinter diesen Botschaften steckt und wie weit diese über einen möglichen gesellschaftlich gewollten marktwirtschaftlichen Konsens hinausgehen. Es sind Unternehmen, die aufgrund von Marktbeobachtungen Angebote entwickeln, die diese Entwicklung auslösen oder verstärken. Oder beides. 


Screenshot t-mobile.de, 16.06.2016

T-Mobile zum Beispiel. Oder das Tochterunternehmen Congstar. Die arbeiten am Unternehmensstandort übrigens co2-neutral. Nun soll das nicht zynisch klingen, aber aufgrund der allgemeinen Bedingungen bei der Erzeugung von Smartphones fällt es eben auf. Und weil ein solches Verkaufsmodell niemals durch ein Jobticket für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, grünen Strom und Umweltpapier aufgewogen werden kann. 

"Ein Auto wie ein Freund"

Genau das ist auch im ZDF-Zusammenhang problematisch. Der mobile.de-Spot steht ja nicht alleine. Hyundai als offizieller Partner ist für die feierliche Stimmung verantwortlich - #realfansfirst - dann bringt Toyota die gute Laune. "Ein Auto wie ein Freund" mit einem weiteren Konsensakteur - den Tatort-Kommissaren aus Münster. Amazon Prime mit der Lieferung am nächsten Tag (Heute bestellt. Morgen ein Held) und Kia ist auch noch irgendwie dabei. Das ist sozusagen der Nachschub und alle "grünen" Strategien bringen nichts, wenn das Oberziel der Gewinnmaximierung bestehen bleibt.  

Nun kann man sagen, das war schon immer so. Doch der Unterschied ist: Jetzt weiß man es doch besser. Heute kennt (und sieht) man die Folgen. Jetzt ist es doch eine politische Frage. Eine Frage, die bereits beantwortet wurde. Zum Beispiel in Paris mit der Verabschiedung der globalen Nachhaltigkeitsziele. Und noch viel wichtiger: Die aufgrund eines gesellschaftlichen Konsens´ beantwortet wurde.

Die SDGs wollen und müssen mehr sein als bloße Handlungsempfehlungen. Sie sind das Produkt der Ansprüche und Einsichten der Bürgerinnen und Bürger. Aber offensichtlich nicht das der Konsumentinnen und Konsumenten. 

Ist einzelnen Unternehmen dann also auch nichts vorzuwerfen? Sie bedienen eben den Markt, ein bisschen gestalten sie ihn, aber es ist doch das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage, den Rest macht die unsichtbare Hand. Das wäre zu einfach. Denn die hat in diesem Fall folgende Form: Ein aktives Agieren der Unternehmen auf dem Markt, die dort eine Nachhaltigkeit vorspiegeln, wo keine ist. Vodafone hat nicht unrecht, wenn sie argumentieren, dass eine kontrollierte Rückgabe und Weiterverwertung von Smartphones Sinn macht. Die meisten Kundinnen und Kunden wissen das zu schätzen. Vielleicht wäre es sogar unter perfekten Laborbedingungen (Nachhaltige faire Ressourcengewinnung, Produktion, Vertriebswege und Entsorgung) möglich einen Zyklus zu schaffen, der diese Argumentation stützt. Doch der ist in der Realität nicht aufzufinden und es gibt keinerlei Maßnahmen oder die Entwicklung von Instrumenten, die eine solch tiefgreifende Veränderung nahe legen. 

Was bleibt?

Was bleibt nun, außer ein paar Gedanken zu Werbung in der Halbzeitpause? Thematisch passend lässt sich hier, nein, muss der Bogen gespannt werden, zu der Frage, was das eigentlich anrichtet. Welche Auswirkungen das hat, dass man ohne schlechtes Gewissen, nein schlimmer, ohne jedes Bewusstsein diese Bild - und Sprachfetzen in sich aufnimmt? Wofür stehen sie?

Die fehlende Empörung und das Unbewusste machen jede Meldung in den Nachrichten, die sich in der Halbzeit an die Nation richten, bitter. Es wird über Innenpolitik, die aufgrund von Flucht- und Migrationsbewegungen agiert, berichtet. Über Flucht und Migration an sich und über Krieg und Maßnahmen gegen den Terror. Fast in einem Atemzug.

Man muss hier festhalten, dass zwar oft "Fluchtursachen" gesagt wird, aber meist "Konfliktursachen" gemeint sind. Die Menschen aus Syrien flüchten vor einem Konflikt. Die Menschen aus Afghanistan, dem Irak. Menschen aus dem Kosovo aus einer Region, die durch Krieg geprägt wurde. Dieser hat jedoch auch Ursachen und es ist keinesfalls ein infiniter Regress, eine verwirrende Unendlichkeit der Betrachtungsebenen, zu befürchten, wenn man sich diesen annimmt. 

Konflikte und Kriege sind es, die Menschen zu Millionen in die Flucht treiben. Regionen, die von Krieg und Konflikt geprägt waren, bieten den Nährboden für politische Unterdrückung, wirtschaftliche Brachen und Perspektivlosigkeit. Sie sind in der überwiegenden Mehrzahl das Ergebnis von Asymmetrien. Vielleicht passt das Wort "Ungerechtigkeit".


Von welthungerhilfe.de

Hier den Zusammenhang zwischen fehlender Nachhaltigkeit (die umfassend zu verstehen ist, siehe Grafik) und dem Nährboden für diese beiden miteinander verwobenen Komplexe - Konflikt und Migration - zu verneinen*, wird dazu führen, dass unser aktueller Lebensstil immer neue, immer härtere Abschottungsmaßnahmen braucht, damit wir ihn aufrechterhalten können.

Wenn Fluchtursachen gesagt wird und Konfliktursachen gemeint sind, dann setzt das einen grundlegend anderen Ansatz der Problembearbeitung bei den VERursachern voraus. Das co2-neutrale Büro reicht eben nicht mehr. Hilfe wirkt nur kurz- und mittelfristig. Langfristig nur, wenn auch wir uns ändern.

Eine Verneinung der Verantwortung aufgrund unseres Konsums und Lebensstils zementiert die globale Ungerechtigkeit. Sie verschärft und verhärtet Problemlagen, an denen wir alle ein Interesse habe, dass sie gelöst werden. Dafür muss es aber mindestens ein Auto weniger und ein Smartphone mit längerer Nutzung sein. Mindestens.

Verzicht. Kein Wort, das sich gut in Halbzeitpausen einer Fußball-EM macht. Aber eins, das hinter all der aktuellen Empörung, der Angst und der Intoleranz stehen sollte. Dann darf man sich auch mal sorgen. Ohne dieses handelt es sich um Heuchelei und Menschenverachtung. 


 
* Die Tatsache, dass viele Menschen, die nicht aufgrund eines "heißen" Konflikts migrieren, eher privilegiert sind, bedeutet nicht, dass nicht auch dort strukturelle Konflikte die Gesellschaft belasten. Solche, sich aus der Asymmetrie der globalen Verhältnisse ergeben ("Ausbeutung" ist ein böses Wort) und die sich sehr unterschiedlich auswirken können.

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