Mittwoch, 3. Juni 2015

5 Mythen der Migration

Mythos 1: Flüchtlinge und Migranten machen sich auf die Reise, weil sie die Gefahren nicht kennen

Studien zeigen, dass es zumeist nicht an mangelnden Informationen über die Risiken einer solchen Reise liegt, wenn sich Menschen auf den Weg machen. Dies stellt auch ein Argument im Zusammenhang mit der Einrichtung von Informationszentren dar, wie sie auch Innenminister de Maizière unterstützt. Wenn diese EU-Pläne nur dazu dienen mit abschreckenden Beispielen die Menschen von einer Überfahrt abzuhalten, sind die Erfolgsaussichten Migration besser zu regulieren, äußerst gering. Wichtiger wäre die Möglichkeit eines Asyl- und/oder Visaantrages vor Ort, um die Menschen vor dem Ertrinken oder anderen Gefahren zu bewahren. 

Sicherlich, die Abwägung des Einzelnen zwischen Nutzen und Risiko bleibt in solchen Situationen problematisch. Doch die Entscheidung zur Flucht wird nicht nur von der Situation aus dem Herkunftsland bestimmt, sondern hängt auch von den Gegebenheiten in den Transitländern ab. Überfüllte Lager, Gewalt durch staatliche Kräfte, Kriminalität - all dies sind Faktoren, die zur Flucht nach Europa beitragen. Mehr Informationen schaffen hier keine Abhilfe.

Viele Menschen werden die Informationen durch ein Transitland oder der EU ohnehin als tendenziös wahrnehmen und Ihnen nur geringen Glauben schenken. Sie ändern auch nichts an der Tatsache, dass eine Rückkehr nur schwer oder nicht mehr möglich ist.

Mythos 2: Anrainerstaaten und Transitländer können am besten mit der Situation umgehen

Möglichst wenige Menschen sollen in Europa ankommen, so präferieren es die verschiedenen politischen Akteure. Dabei denken die meisten Verantwortlichen hoffentlich nicht daran, die Menschen einfach ertrinken zu lassen, um deren Zahl zu verringern. Mehr Flüchtlinge wollen die politischen Schlüsselakteure aber offenbar nur zähneknirschend oder am besten gar nicht aufnehmen. Dies führt dazu, den Blick auf die Transitländer zu richten und andere Staaten bei der Aufnahme von Flüchtlingen zu unterstützen. Dies ist auch erst einmal sinnvoll, blickt man auf die schwierigen Bedingungen in der Türkei oder im Libanon. Doch erscheint es so, als würden auch hier Grenzsicherung und Schmugglerbekämpfung ins Zentrum gestellt werden. Zudem will man Angekommene schnellstens in andere Länder, wie z.B. Tunesien, abschieben können.

Warum sollten diese Länder ein größeres Interesse an Flüchtlingen haben? Betrachtet man die wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten, ist kaum nachvollziehbar, warum dieses Argument immer wieder kommt. Sicherlich, eine zunächst regionale Zuständigkeit ist vorzuziehen. Doch dies geschieht bei den meisten Krisen automatisch. Doch so schnell wird niemand beispielsweise nach Syrien zurückkehren können. Insofern ist dieser Ansatz einfach das Abwälzen der eigenen Verantwortung auf Andere. Berücksichtigt man dann noch die Menschenrechtslage in manchen Staaten, dann wird dieses Vorgehen vollends problematisch. 

Zudem ist es einfach naiv zu glauben, dass andere Staaten (bzw. deren Gesellschaften) nur ein paar kleine finanzielle Anreize brauchen, damit die Gemeinschaft der europäischen Länder sich der Verantwortung entziehen kann. Wenn man sieht, wie viele Probleme Italien und Griechenland haben, das Recht auf Asyl umzusetzen, wie schwierig die gesellschaftliche Vermittlung ist, warum sollten es Tunesien, Libyen oder gar der Sudan besser können? 


Egal ob wie hier in Pakistan, oder in anderen Staaten. Die Versorgung einer so großen Zahl von Menschen ist für viele Länder eine große Herausforderung. Die Bedingungen in den Cmaps sind dann dementsprechend problematisch. Credits: AJEnglish, via flickr.com


Mythos 3: Migranten sind die Opfer der Menschenschmuggler

Sicher, viele Menschenschmuggler kümmert es nicht, wer sich da auf ihren Booten befindet. Das Bild des guten Fluchthelfers ist naiv und greift zu kurz. Doch zu unterstellen, dass alle Migranten Opfer des Menschenhandels werden, wird der Realität eben auch nicht gerecht. Die Flüchtlinge informieren sich über informelle Netzwerke über die Möglichkeiten der Einreise. Sie sind Konsumenten einer Dienstleistung, auf die sie angewiesen sind. Ohne verlässliche und ortskundige Akteure wäre eine Flucht unmöglich. Schon der Weg durch Libyen ist gefährlich und alleine kaum zu schaffen. Hohe Preise und schlechte Behandlung sind oftmals Teil des Geschäfts, doch auch hier gilt: wer zur Flucht gezwungen wurde und sich auf den Weg gemacht hat, der wäre ohne die "Hilfe" der Schmuggler verloren. Dabei ist es genauso falsch, bei diesen Akteuren nur das Bild des Schmugglers im Kopf zu haben, der hunderte Menschen auf ein Boot pfercht und sie sich dann selbst überlässt. An den Transitrouten geht es auch um die Versorgung, um den Zwischentransport, Arbeitsmöglichkeiten, um die Überfahrt zu finanzieren, die Suche nach Unterkünften, usw. Das bei uns vermittelte Bild ist also auch in diesem Fall nur ein kleiner Ausschnitt der Realität. Es erleichtert aber Beschlüsse, mit denen militärisch gegen Schmuggler vorgegangen werden soll.


Mythos 4: Ein militärisches Vorgehen gegen Schmuggler wird die irreguläre Migration signifikant verringern

Neben der Tatsache, dass ein militärisches Vorgehen immer mit zivilen Opfern verbunden ist, stellt sich die Frage, ob es wirklich zu einer Reduzierung von Migration und dem Schutz der Flüchtlinge beitragen kann. Gerade in einem so informell organisierten Bereich ist es schwer vorstellbar, wie eine multilaterale Operation tatsächliche Erfolge erzielen soll. Sicher es wird öffentlichkeitswirksame Bilder von zerstörten Flüchtlingsbooten geben, Tötungen und Festnahmen von Kriminellen. Die vergangenen 14 Jahre haben jedoch gezeigt, dass sich asymmetrische Konflikte nicht militärisch auflösen lassen. Da sind sich die Anstrengungen gegen Aufständische im Irak, das Vorgehen gegen somalische Piraten oder der Krieg gegen Drogen gleich. Akteure, die nicht gewinnen müssen, können nicht besiegt werden.



Die Frage der "Willkommenskultur" oder der Regularien vor Ort spielen für die meisten Flüchtlinge eine absolut untergeordnete Rolle bei der Auswahl ihres Ziellandes. Credits: Takver, via flickr.com


Mythos 5: Asyl- und Zuwanderungspolitik haben einen maßgeblichen Einfluss auf die Wahl des Ziellandes

Eigentlich bedarf es auch hier wieder keiner allzu großen Kreativität: Menschen, zur Flucht getrieben, aus welchen Gründen auch immer, wägen in einer solchen Situation nur noch eingeschränkt rational ab. Eine Entscheidung für Europa ergibt sich aus den Verheißungen einerseits, aber auch aus verwandtschaftlichen Beziehungen oder der Existenz einer großen Diaspora andererseits. Wie denn dann nun genau die Antragsstellung geregelt wird, welche Leistungen in Anspruch genommen werden können und wie der Zugang zum Arbeitsmarkt reguliert wird, all das spielt nur eine Nebenrolle. 

Interviews mit Migranten zeigen, dass sich die Menschen vor allem langfristige Gedanken machen. Es geht also nicht um die kurzfristigen Folgen ihrer Einreise, sondern darum, ob sie die Hoffnung auf ein besseres Leben haben. Natürlich kann man einwenden, dass strenge Abschiebungsregime und harte Bedingungen für Neuankömmlinge an diesem Bild etwas ändern könnten. Doch auch hier muss man bedenken, dass die Flüchtenden von Orten kommen, in denen solche Probleme gelinde gesagt lächerlich erscheinen. Flüchtlinge machen für sich keinen Unterschied zwischen "legal" und "illegal". Sie mögen den Unterschied zwischen Asyl und regulärer Zuwanderung verstehen, für ihre Entscheidung spielt er jedoch eine absolut untergeordnete Rolle.



Weitere Informationen zu den Argumenten gibt es auf IRIN.

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