Zugegebenermaßen, eine reißerische Überschrift. Doch wer Jean Ziegler zuhört, der merkt schnell, dass der Soziologe und Politiker kein Mann der zurückhaltenden Worte ist. Im "Gespräch" mit Jakob Augstein berichtet der langjährige UN-Sonderbotschafter für das Recht auf Nahrung über seine Sicht der Welt. Gespräch in Anführungszeichen, da Ziegler kaum an sich halten kann, jede Frage mit anderen Themen zu verknüpfen, sie in einen größeren Kontext zu setzen und weitere Missstände anzuprangern.
Ziegler brennt für die Sache, will Menschen überzeugen und vor allem Hoffnung geben. Niemand dürfe ohne Hoffnung den Raum verlassen, mahnt Ziegler und zitiert dabei den "großen" Willy Brandt, den er sehr schätzte. Viele Persönlichkeiten hat Ziegler kennengelernt, darunter Che Guevara und Fidel Castro. Doch in seiner alltäglichen Arbeit für die Vereinten Nationen, an Universitäten und in der Politik pflegt er Umgang mit ganz anderen Menschen.
Von "struktureller Gewalt" spricht Ziegler und meint damit, dass der von ihm angesprochene "Dritte Weltkrieg", der pro Jahr fast genau so viel Menschen durch Hunger tötet wie der gesamte Zweite Weltkrieg, im gegenwärtigen Wirtschaftssystem fest verankert ist. Für ihn ist das massenhafte Sterben eine logische Folge der heutigen Ausformung des Kapitalismus. Den Nestlé-Chef Peter Brabeck treffe er hin und wieder beim Skifahren, aber "wir reden nicht viel, fahren halt den selben Hang hinunter". Der sei kein böser Mensch, doch er sei das Oberhaupt einer Firma, die im Bereich Ernährung und Wasser verheerende Dinge anrichte. Sie sei mitverantwortlich für den Tod von Menschen. Brabeck sei zwar Täter, doch mache dieser nicht mehr mit, "dann ist er nach drei Wochen, oder nach drei Monaten weg vom Fenster", sagt Ziegler.
Ihm geht es dennoch darum, die Verantwortlichen zu identifizieren und zu benennen. Viele Prozesse hat er deswegen schon geführt - und verloren. Bei einer Frage aus dem Publikum, ob nicht "wir alle" Täter seien, schüttelt er den Kopf. Seiner Meinung nach entlasse das die Menschen in Schlüsselpositionen aus der Verantwortung. Natürlich solle jeder das tun, was er kann. Wenn Reichtum unterlassene Hilfeleistung sei und es kein richtiges Leben im Falschen gebe, dann sei doch klar, was jeder Einzelne tun könne. Doch er sei nicht moralisch, sagt Ziegler und meint damit wohl, dass er niemanden vorschreiben will, was er oder sie zu tun habe. Doch seine Empörung, die ist moralisch durchdrungen und sie lässt kaum jemanden kalt.
Denn er trägt seine Thesen mit so viel Detailwissen und Kenntnis über größere Zusammenhänge vor, dass man sich ihm kaum entziehen kann. Das komme von der Soziologie, sagt er, "der besten Wissenschaft". Auf die Frage, warum denn der Diskurs immer moralischer werde, gerade in Europa, warum Fortschritt und Rechte des Menschen in der Theorie eng miteinander verknüpft sind, in der Praxis sich jedoch immer weiter entfremden, da antwortet Ziegler mit dem Begriff der "doppelten Geschichte". Er meint damit, dass es eben zwei Ebenen der Entwicklung gebe. Moral im öffentlichen Diskurs sei das eine, doch die konkreten Handlungen der Individuen aus Systemzwängen heraus, sei etwas ganz anderes. Ihn verwundert es nicht, dass niemand mehr in einem ernsthaften Diskurs die Sklaverei verteidigt, sie aber real Hunderttausendfach existiere.
Dies führt zu der Betrachtung von dem Menschen selbst. Wenn die kollektive und öffentliche Auseinandersetzung und die individuellen Handlungen so weit auseinandergehen, welche Gründe hat dies? Ziegler gibt darauf keine abschließende Antwort, doch er bekräftigt seine Kritik am Wirtschaftssystem. Glück und Selbstverwirklichung seien vor allem materiell geprägt und künstlich vorgegeben. Gleichzeitig werde jedem Menschen das Gefühl vermittelt, er sei isoliert und könne am Lauf der Dinge nichts verändern. Eine Art Rückzug ins Private, wie dies in Bezug auf die DDR oftmals beschrieben wurde.
Hier kommt ein wenig zum Vorschein, dass Ziegler kein Mensch des digitalen Zeitalters ist. Denn was ist mit der zunehmenden Vernetzung, Koordinierung und der damit einhergehenden Handlungsfähigkeit? Ziegler vernachlässigt dies. Doch gleichzeitig bleiben seine Beschreibungen weitgehend gültig. Denn wenn er über die Machtkonzentration von transnationalen Unternehmen spricht, dann scheint sich dies im digitalen Zeitalter ja eher noch zu verschärfen. Die Rechnung wäre dann einfach: Wer den größten Server hat, der hat die größte Macht. Und nur weil man in Echtzeit Menschen auf der anderen Seite der Welt kontaktieren kann, heißt dies noch lange nicht, dass man damit etwas verändert. Gerade die Geschwindigkeit von Ereignissen und Nachrichten darüber verschärft offenbar das Ohnmachtsgefühl bei den meisten Menschen.
Dass Regierungen zunehmend handlungsunfähig werden, sie nur noch Weltinnenpolitik (Habermas) betreiben können und Akteuren der Wirtschaft ein stateless global governance vorschwebt, all dies arbeitet Ziegler ebenfalls an diesem Abend ab. Doch eine reine Problemanalyse genügt ihm nicht, immer wieder verweist er auf Ereignisse und Persönlichkeiten, die einen Bruch der Geschichte herbeiführten. Wie dieser aussehen könnte, das lässt er trotz vieler Worte über die Möglichkeiten der Veränderungen und einem notwendigen Aufstands des Gewissens offen. Viel lieber zitiert er aus einem Gedicht, um sein Anliegen zu verdeutlichen:
Ziegler brennt für die Sache, will Menschen überzeugen und vor allem Hoffnung geben. Niemand dürfe ohne Hoffnung den Raum verlassen, mahnt Ziegler und zitiert dabei den "großen" Willy Brandt, den er sehr schätzte. Viele Persönlichkeiten hat Ziegler kennengelernt, darunter Che Guevara und Fidel Castro. Doch in seiner alltäglichen Arbeit für die Vereinten Nationen, an Universitäten und in der Politik pflegt er Umgang mit ganz anderen Menschen.
Von "struktureller Gewalt" spricht Ziegler und meint damit, dass der von ihm angesprochene "Dritte Weltkrieg", der pro Jahr fast genau so viel Menschen durch Hunger tötet wie der gesamte Zweite Weltkrieg, im gegenwärtigen Wirtschaftssystem fest verankert ist. Für ihn ist das massenhafte Sterben eine logische Folge der heutigen Ausformung des Kapitalismus. Den Nestlé-Chef Peter Brabeck treffe er hin und wieder beim Skifahren, aber "wir reden nicht viel, fahren halt den selben Hang hinunter". Der sei kein böser Mensch, doch er sei das Oberhaupt einer Firma, die im Bereich Ernährung und Wasser verheerende Dinge anrichte. Sie sei mitverantwortlich für den Tod von Menschen. Brabeck sei zwar Täter, doch mache dieser nicht mehr mit, "dann ist er nach drei Wochen, oder nach drei Monaten weg vom Fenster", sagt Ziegler.
Jean Ziegler, aufgenommen 2011. Photo Credits: Rama, via Wikimedia
Ihm geht es dennoch darum, die Verantwortlichen zu identifizieren und zu benennen. Viele Prozesse hat er deswegen schon geführt - und verloren. Bei einer Frage aus dem Publikum, ob nicht "wir alle" Täter seien, schüttelt er den Kopf. Seiner Meinung nach entlasse das die Menschen in Schlüsselpositionen aus der Verantwortung. Natürlich solle jeder das tun, was er kann. Wenn Reichtum unterlassene Hilfeleistung sei und es kein richtiges Leben im Falschen gebe, dann sei doch klar, was jeder Einzelne tun könne. Doch er sei nicht moralisch, sagt Ziegler und meint damit wohl, dass er niemanden vorschreiben will, was er oder sie zu tun habe. Doch seine Empörung, die ist moralisch durchdrungen und sie lässt kaum jemanden kalt.
Denn er trägt seine Thesen mit so viel Detailwissen und Kenntnis über größere Zusammenhänge vor, dass man sich ihm kaum entziehen kann. Das komme von der Soziologie, sagt er, "der besten Wissenschaft". Auf die Frage, warum denn der Diskurs immer moralischer werde, gerade in Europa, warum Fortschritt und Rechte des Menschen in der Theorie eng miteinander verknüpft sind, in der Praxis sich jedoch immer weiter entfremden, da antwortet Ziegler mit dem Begriff der "doppelten Geschichte". Er meint damit, dass es eben zwei Ebenen der Entwicklung gebe. Moral im öffentlichen Diskurs sei das eine, doch die konkreten Handlungen der Individuen aus Systemzwängen heraus, sei etwas ganz anderes. Ihn verwundert es nicht, dass niemand mehr in einem ernsthaften Diskurs die Sklaverei verteidigt, sie aber real Hunderttausendfach existiere.
Dies führt zu der Betrachtung von dem Menschen selbst. Wenn die kollektive und öffentliche Auseinandersetzung und die individuellen Handlungen so weit auseinandergehen, welche Gründe hat dies? Ziegler gibt darauf keine abschließende Antwort, doch er bekräftigt seine Kritik am Wirtschaftssystem. Glück und Selbstverwirklichung seien vor allem materiell geprägt und künstlich vorgegeben. Gleichzeitig werde jedem Menschen das Gefühl vermittelt, er sei isoliert und könne am Lauf der Dinge nichts verändern. Eine Art Rückzug ins Private, wie dies in Bezug auf die DDR oftmals beschrieben wurde.
Hier kommt ein wenig zum Vorschein, dass Ziegler kein Mensch des digitalen Zeitalters ist. Denn was ist mit der zunehmenden Vernetzung, Koordinierung und der damit einhergehenden Handlungsfähigkeit? Ziegler vernachlässigt dies. Doch gleichzeitig bleiben seine Beschreibungen weitgehend gültig. Denn wenn er über die Machtkonzentration von transnationalen Unternehmen spricht, dann scheint sich dies im digitalen Zeitalter ja eher noch zu verschärfen. Die Rechnung wäre dann einfach: Wer den größten Server hat, der hat die größte Macht. Und nur weil man in Echtzeit Menschen auf der anderen Seite der Welt kontaktieren kann, heißt dies noch lange nicht, dass man damit etwas verändert. Gerade die Geschwindigkeit von Ereignissen und Nachrichten darüber verschärft offenbar das Ohnmachtsgefühl bei den meisten Menschen.
Dass Regierungen zunehmend handlungsunfähig werden, sie nur noch Weltinnenpolitik (Habermas) betreiben können und Akteuren der Wirtschaft ein stateless global governance vorschwebt, all dies arbeitet Ziegler ebenfalls an diesem Abend ab. Doch eine reine Problemanalyse genügt ihm nicht, immer wieder verweist er auf Ereignisse und Persönlichkeiten, die einen Bruch der Geschichte herbeiführten. Wie dieser aussehen könnte, das lässt er trotz vieler Worte über die Möglichkeiten der Veränderungen und einem notwendigen Aufstands des Gewissens offen. Viel lieber zitiert er aus einem Gedicht, um sein Anliegen zu verdeutlichen:
Wanderer, Deine Fußspuren sind der Weg und sonst nichts.
Wanderer, es gibt keinen Weg.
Der Weg entsteht beim Gehen.
Beim Gehen entsteht der Weg
und wendest Du den Blick zurück,
so siehst Du die Spur,
die niemals wieder begangen wird.
Wanderer, es gibt keinen Weg
sondern nur Kielspuren im Meer.
Antonio Machado
Wanderer, es gibt keinen Weg.
Der Weg entsteht beim Gehen.
Beim Gehen entsteht der Weg
und wendest Du den Blick zurück,
so siehst Du die Spur,
die niemals wieder begangen wird.
Wanderer, es gibt keinen Weg
sondern nur Kielspuren im Meer.
Antonio Machado
Am 9. September 2014 habe ich folgendes auf meinem Blog www.gegen-strassenausbaubeitraege.de veröffentlicht:
AntwortenLöschen"Dreizehn Jahre ist es auf den Tag her, daß die Zwillingstürme und weitere Gebäude in New York einstürzten und Georg W. Bush den Krieg gegen den Terror verkündet hat. Nun würde man offene Türen einrennen, wenn man darlegen wollte, wie sich die Welt in diesen Jahren zu ihrem Nachteil verändert hat, das ist allgegenwärtig. Aber ein Gedanke drängt sich auf. War der Beginn des Krieges gegen den Terror nicht bereits der Beginn eines neuen, jetzt heißen Krieges nach Beendigung des vorangegangenen kalten Kriegs? Den man bei jetziger rückschauender Betrachtung dieser dreizehn Jahre durchaus als erste Phase des Dritten Weltkrieges bezeichnen könnte? Klingt zunächst ungeheuerlich und etwas abwegig. Aber schauen wir uns doch mal an, was alles passiert und mittlerweile zur Normalität geworden ist! Es brennt nahezu an allen Ecken und Enden der Welt, Konflikte werden ohne viel Federlesens mit Waffengewalt ausgetragen und weil von offizieller Seite nicht mehr nach dem Wieso und Warum gefragt wird, sondern nur noch danach, wie wir unsere Interessen am radikalsten durchsetzen können, findet schon längst keine Beschränkung auf ausschließlich friedliche Mittel statt. “Nie wieder Krieg” ist zu einer leeren Worthülse verkommen genau wie der Ruf “Schwerter zu Pflugscharen” der sogenannten friedlichen Revolution in der DDR, die in Wirklichkeit eine Konterrevolution war. Und einer von denen, der damals allerdings in letzter Minute auf diesen Zug aufgesprungen ist, der Bundespfarrer Gauck predigt heute neue Kriegsgelüste und zeigt, daß er es damit wohl noch nie so ernst genommen hat. Bei dem Begriff Weltkrieg müssen wir uns meines Erachtens von den überkommenen Vostellungen lösen, daß kilometerweite Frontlinien die Länder durchziehen, Kriege (im Sinne nackter Gewalt) werden heute natürlich moderner und viel flexibler geführt. Da ist man heute hier und morgen dort, da kämpft heute der eine gegen den anderen und morgen mit ihm, gerade wie es die Interessenlagen und die Auftraggeber verlangen. Wichtig für eine solche Einschätzung scheint mir vielmehr die Frage der Ausdehnungen, der Erfassungsbereiche der Auseinandersetzungen und die sind doch weltweit. Die USA als Hauptkriegstreiber und diejenige Macht, die sich ungehemmt der kriegerischen Mittel bedient, agiert weltweit und hat das ja auch mit dem Titel dieses Krieges gekennzeichnet. Denn der ist nicht mehr begrenzt, weder personell noch territorial noch sonstwie. Alles und jedes wird als Terror bezeichnet, was sich in den Weg stellt oder vielleicht auch nur zufällig dort herumsteht. Wir haben es zuletzt in der Ukraine gesehen, der dortige sogenannte Präsident bezeichnet den Krieg gegen die eigene aufsässige Bevölkerung als Antiterroreinsatz und verschleiert damit natürlich den wahren Charakter seines Vorgehens. Wir haben es also mit einem universellen Handeln gegen alles zu tun, was nicht bereit ist sich der monopolaren Weltordnung der Amis zu unterwerfen bzw. dort sein Süppchen mitzukochen. Und da dieses weltweite Vorgehen gegen alle widerborstigen Kräfte mit allen Mitteln geführt wird, die dazu geeignet sind und die Schwelle zum realen Krieg äußerst niedrig ist, dürfte es ohne weiteres gerechtfertigt sein, bereits heute vom Dritten Weltkrieg zu sprechen. Denn nur mit der richtigen Bezeichnung wird das ganze Ausmaß dieser Gewalt deutlich!"
Herr Ziegler bestätigt das eindrucksvoll und dem ist eigentlich nichts merh hinzufügen!