Alexander Kitterer: Die Ermittlungen gegen Heckler&Koch wegen des möglichen illegalen Exports von G36-Gewehren wurden von der Staatsanwaltschaft Stuttgart nach drei Jahren in der vergangenen Woche eingestellt. Es habe keine Ansatzpunkte für weitere Ermittlungen gegeben, da unter anderem „keine strafbare Person identifiziert“ werden konnte. Wie bewerten Sie diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft?
Jürgen Grässlin: Fakt ist, dass in Libyen im Krieg G36-Gewehre aus Oberndorf [Sitz von H&K, Anmerkung des Interviewers] auftauchten, die sowohl von den Schergen Gaddafis als auch von den Rebellen benutzt wurden. Mit diesen Sturmgewehren haben sich Kriegsgegner gegenseitig be- und erschossen. Die Herstellerfirma Heckler&Koch hatte angegeben, Hunderte G36-Gewehre nach Ägypten exportiert zu haben. Von dort aus hat es offenbar einen illegalen Weiterexport nach Libyen gegeben. Dies zeigt einmal mehr: Die Endverbleibskontrolle von Kriegswaffen funktioniert in Deutschland nicht. Unangekündigte Vor-Ort-Kontrollen des zuständigen Bundeswirtschaftsministeriums bzw. des Bundesausfuhramtes BAFA finden nicht statt. Schlimmer noch: Selbst wenn die Enduser Certificates – wie in diesem Fall seitens der ägyptischen Seite geschehen – gebrochen wurden, gab und gibt es keinerlei Sanktionen der Bundesregierung gegenüber dem Empfängerland Ägypten. Der Fall zeigt pars pro toto, dass Endverbleib de facto weder existiert noch etwaige Verletzungen sanktioniert werden. Das Ergebnis ist fatal: Oftmals verbleiben deutsche Kriegswaffen nicht im eigentlichen Bestimmungsland, sondern sie tauchen in Krisen- und Kriegsgebieten auf. Staatsanwaltschaften nehmen dies hin, wie auch dieser Fall dokumentiert.
Im Fall Mexiko, bei dem möglicherweise nicht nur illegal Tausende Sturmgewehre exportiert, sondern auch die Baupläne verkauft wurden, soll es aber zu einer Anklage kommen. Was erwarten Sie sich von diesem Verfahren?
Nach intensiven Gesprächen mit einem Informanten habe ich im April 2010 bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart Strafanzeige gegen Heckler&Koch gestellt und diese im Februar 2014 um eine zweite Strafanzeige erweitert. Klar ist, dass widerrechtlich rund 4500 G36-Sturmgewehre in vier Unruheprovinzen Mexikos landeten. Im zweiten Fall besteht der Verdacht illegaler Technologietransfers mit der Folge, dass in Mexiko Zehntausende von Sturmgewehren in Eigenregie für die dortigen Streitkräfte gefertigt werden konnten. Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg hat zwar länger als erwartet für den Abschlussbericht benötigt, dafür aber intensiv und erfolgreich recherchiert. Soweit mir bekannt ist, wird geht es um die Verletzung des Außenwirtschafts- und Kriegswaffenkontrollgesetzes. Holger Rothbauer [Tübinger Rechtsanwalt und rechtlicher Vertreter Jürgen Grässlins] und ich erwarten für Anfang 2015 die Anklageerhebung. Ich habe vierzehn Personen namentlich angezeigt, gegen mehr als 20 Verdächtige wird mittlerweile ermittelt. Denn nach meiner Anzeige gab es zwei Razzien in der Oberndorfer Firmenzentrale von H&K und in Wohnungen von Verdächtigen – daraufhin wurde der Personenkreis also noch ausgeweitet.
Die Firma Sig Sauer sieht sich ähnlichen Vorwürfen ausgesetzt. Ende Juli wurde gar das Haus des Miteigentümers Michael Lüke [der L&O Holding] von Ermittlungsbeamten durchsucht. Es geht um die mögliche illegale Lieferung von Kleinwaffen nach Kolumbien und Kasachstan. Wie schätzen Sie diesen Vorgang ein?
Sowohl die Firma Sig Sauer in Eckernförde als auch Carl Walther in Ulm stehen zurzeit im Verdacht, am widerrechtlichen Transfer Abertausender von Pistolen in das Bürgerkriegsland Kolumbien verwickelt zu sein. Gegen Carl Walther haben wir seitens des Sprecherkreises der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ am 17. Februar und gegen Sig Sauer am 22. Juli diesen Jahres deshalb Strafanzeige gestellt.
Auffällig ist, dass jetzt alle drei führenden deutschen Kleinwaffenhersteller im Verdacht stehen, widerrechtlich Waffen in lateinamerikanische Länder geliefert zu haben, in denen bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen. Der Bedarf an hochpräzise schießenden und treffenden Waffen „Made in Germany“ ist augenscheinlich hoch. Dass deutsche Unternehmen nicht davor zurückschrecken, Gewehre bzw. Pistolen zu liefern, spricht Bände über die fehlenden moralischen und ethischen Wertvorstellungen in der Rüstungsindustrie. Offenbar geht es um hier um dreierlei: Profit und Profit und Profit – und um nichts anderes. Schließlich ist weithin bekannt, dass mit Gewehren und Pistolen 73 Prozent aller Kriegsopfer erschossen werden.
Halten Sie die Konsequenzen, ein Ausfuhrstopp nach Kolumbien, für zielführend?
Realiter besteht seitens der Bundesrepublik Deutschland ein Ausfuhrstopp gegenüber Kolumbien – dort tobt der längstwährende Bürgerkrieg der Welt. Zu Recht wurde Sig Sauer seitens der Ausfuhrbehörden mittlerweile mit einem Exportverbot belegt. Genau das sollte meiner Meinung nach auch gegenüber Carl Walther und Heckler & Koch verhängt werden, solange die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren laufen. Ansonsten geht das Rüstungsexportgeschäft ungehemmt weiter.
In den vergangenen Wochen wurde die Anschaffung von Drohnen für die Bundeswehr diskutiert, letztlich ging es auch um Drohnen, die bewaffnet werden können. Wie bewerten sie den Stand der öffentlichen Diskussion? Wie sehen sie den Einfluss der Industrie auf die Debatte?
Hierbei geht es nicht nur um Einflussnahme, es geht um knallharten Lobbyismus. Die deutsche Rüstungsindustrie hegt ein massives Interesse an der Beschaffung von – zukünftig zu bauenden – europäischen Kampfdrohnen für die Bundeswehr. Doch Vorsicht: Militärische Drohnen führen zu einer fortschreitenden Entmenschlichung des Krieges. Vom Schreibtisch aus gesteuert, können Bewegungen von Fahrzeugkonvois oder Menschen erkannt werden. Doch wie soll man unterscheiden, ob es sich zum Beispiel um einen Tross von Taliban, also um Kombattanten, oder Flüchtlinge, beispielsweise in Tücher gehüllte Frauen mit darunter versteckten Kindern, handelt? Nicht mal ein Soldat auf dem Schlachtfeld kann durch das Zielfernrohr seines G36 entscheiden, was sich unter einer Burka befindet. Verbirgt die Mutter ein Kind oder doch Handgranaten? Wie will man das aus großer Höhe mit einer Drohne zweifelsfrei entscheiden? Die US-Armee musste bereits desaströse Erfahrungen machen. Die Zahl sogenannter „Kollateralschäden“, ich meine zerfetzte Zivilistinnen und Zivilisten, ist immens hoch. Drohnen sind selbst aus militärischer Sicht kontraproduktiv. Völkerrecht wird vielfach gebrochen, auf Generationen hinaus Hass bei den Betroffenen geschürt.
Kein Wunder also, dass die Mehrheiten in Deutschland klar sind, sowohl beim Waffenhandel als auch bei militärischen Drohnen. Eine repräsentative Emnid-Umfrage vom Herbst 2011 hat das Ergebnis erbracht, dass 78% der deutschen Bevölkerung für einen völligen Stopp des Waffenhandels sind. Bei Kampfdrohnen sprechen sich zwischen 65% und 75% in Umfragen gegen die Beschaffung aus. Ich sehe mich insofern als einer der Sprachrohre der Mehrheit. Aber gleichzeitig steht zu befürchten, dass die Rüstungsindustrie Wege wählt, um erneut Einfluss auf die Politik zu nehmen. In diesem Sinne besteht die Gefahr, dass dennoch Kampfdrohnen beschafft werden und der Waffenhandel mit menschenrechtsverletzenden und kriegsführenden Staaten ungebrochen weiter geht. Um diese zu verhindern, haben wir die Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ mit weit mehr als hundert Mitgliedsorganisationen gegründet.
Vielen Dank für das Gespräch [Interview per Telefon].
Jürgen Grässlin: Fakt ist, dass in Libyen im Krieg G36-Gewehre aus Oberndorf [Sitz von H&K, Anmerkung des Interviewers] auftauchten, die sowohl von den Schergen Gaddafis als auch von den Rebellen benutzt wurden. Mit diesen Sturmgewehren haben sich Kriegsgegner gegenseitig be- und erschossen. Die Herstellerfirma Heckler&Koch hatte angegeben, Hunderte G36-Gewehre nach Ägypten exportiert zu haben. Von dort aus hat es offenbar einen illegalen Weiterexport nach Libyen gegeben. Dies zeigt einmal mehr: Die Endverbleibskontrolle von Kriegswaffen funktioniert in Deutschland nicht. Unangekündigte Vor-Ort-Kontrollen des zuständigen Bundeswirtschaftsministeriums bzw. des Bundesausfuhramtes BAFA finden nicht statt. Schlimmer noch: Selbst wenn die Enduser Certificates – wie in diesem Fall seitens der ägyptischen Seite geschehen – gebrochen wurden, gab und gibt es keinerlei Sanktionen der Bundesregierung gegenüber dem Empfängerland Ägypten. Der Fall zeigt pars pro toto, dass Endverbleib de facto weder existiert noch etwaige Verletzungen sanktioniert werden. Das Ergebnis ist fatal: Oftmals verbleiben deutsche Kriegswaffen nicht im eigentlichen Bestimmungsland, sondern sie tauchen in Krisen- und Kriegsgebieten auf. Staatsanwaltschaften nehmen dies hin, wie auch dieser Fall dokumentiert.
Im Fall Mexiko, bei dem möglicherweise nicht nur illegal Tausende Sturmgewehre exportiert, sondern auch die Baupläne verkauft wurden, soll es aber zu einer Anklage kommen. Was erwarten Sie sich von diesem Verfahren?
Nach intensiven Gesprächen mit einem Informanten habe ich im April 2010 bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart Strafanzeige gegen Heckler&Koch gestellt und diese im Februar 2014 um eine zweite Strafanzeige erweitert. Klar ist, dass widerrechtlich rund 4500 G36-Sturmgewehre in vier Unruheprovinzen Mexikos landeten. Im zweiten Fall besteht der Verdacht illegaler Technologietransfers mit der Folge, dass in Mexiko Zehntausende von Sturmgewehren in Eigenregie für die dortigen Streitkräfte gefertigt werden konnten. Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg hat zwar länger als erwartet für den Abschlussbericht benötigt, dafür aber intensiv und erfolgreich recherchiert. Soweit mir bekannt ist, wird geht es um die Verletzung des Außenwirtschafts- und Kriegswaffenkontrollgesetzes. Holger Rothbauer [Tübinger Rechtsanwalt und rechtlicher Vertreter Jürgen Grässlins] und ich erwarten für Anfang 2015 die Anklageerhebung. Ich habe vierzehn Personen namentlich angezeigt, gegen mehr als 20 Verdächtige wird mittlerweile ermittelt. Denn nach meiner Anzeige gab es zwei Razzien in der Oberndorfer Firmenzentrale von H&K und in Wohnungen von Verdächtigen – daraufhin wurde der Personenkreis also noch ausgeweitet.
Zur Person: Jürgen Grässlin gilt als der profilierteste Kritiker der Rüstungsindustrie und des Waffenexports. Er ist Sprecher der Kampagne "Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!", Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e. V.). Er ist Autor zahlreicher Sachbücher zu Rüstungsexporten, u.a. das aktuelle Werk "Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient". Er wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, 2011 erhielt er den "Aachener Friedenspreis". Grässlin lebt in Freiburg.
Photo Credits: privat.
Photo Credits: privat.
Die Firma Sig Sauer sieht sich ähnlichen Vorwürfen ausgesetzt. Ende Juli wurde gar das Haus des Miteigentümers Michael Lüke [der L&O Holding] von Ermittlungsbeamten durchsucht. Es geht um die mögliche illegale Lieferung von Kleinwaffen nach Kolumbien und Kasachstan. Wie schätzen Sie diesen Vorgang ein?
Sowohl die Firma Sig Sauer in Eckernförde als auch Carl Walther in Ulm stehen zurzeit im Verdacht, am widerrechtlichen Transfer Abertausender von Pistolen in das Bürgerkriegsland Kolumbien verwickelt zu sein. Gegen Carl Walther haben wir seitens des Sprecherkreises der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ am 17. Februar und gegen Sig Sauer am 22. Juli diesen Jahres deshalb Strafanzeige gestellt.
Auffällig ist, dass jetzt alle drei führenden deutschen Kleinwaffenhersteller im Verdacht stehen, widerrechtlich Waffen in lateinamerikanische Länder geliefert zu haben, in denen bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen. Der Bedarf an hochpräzise schießenden und treffenden Waffen „Made in Germany“ ist augenscheinlich hoch. Dass deutsche Unternehmen nicht davor zurückschrecken, Gewehre bzw. Pistolen zu liefern, spricht Bände über die fehlenden moralischen und ethischen Wertvorstellungen in der Rüstungsindustrie. Offenbar geht es um hier um dreierlei: Profit und Profit und Profit – und um nichts anderes. Schließlich ist weithin bekannt, dass mit Gewehren und Pistolen 73 Prozent aller Kriegsopfer erschossen werden.
Halten Sie die Konsequenzen, ein Ausfuhrstopp nach Kolumbien, für zielführend?
Realiter besteht seitens der Bundesrepublik Deutschland ein Ausfuhrstopp gegenüber Kolumbien – dort tobt der längstwährende Bürgerkrieg der Welt. Zu Recht wurde Sig Sauer seitens der Ausfuhrbehörden mittlerweile mit einem Exportverbot belegt. Genau das sollte meiner Meinung nach auch gegenüber Carl Walther und Heckler & Koch verhängt werden, solange die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren laufen. Ansonsten geht das Rüstungsexportgeschäft ungehemmt weiter.
Das G36 ist die Standardwaffe der Bundeswehr und wurde von der - aktuell hoch verschuldeten - Firma Heckler & Koch entwickelt. In den vergangenen Monaten gab es vermehrt Berichte über die nachlassende Zielgenauigkeit im Einsatz. Dies führte zu einem Beschaffungsstopp. Das Gewehr darf offiziell in Deutschland, Spanien und Saudi Arabien produziert werden. Insgesamt 19 Staaten nutzen die Waffe, u.a. sollen aber G36-Gewehre illegal nach Mexiko gelangt sein, auch im Georgien-Konflikt und in Libyen tauchten Waffen dieses Typs auf, obwohl keine Exportlizenzen vorlagen.
Photo Credits: Dirk Vorderstraße, via flickr.com.
Photo Credits: Dirk Vorderstraße, via flickr.com.
Im vor einigen Wochen erschienen Rüstungsexportbericht 2013 stehen u.a. folgende Aussagen: „Mit der Vorlage des Rüstungsexportberichts erstmals vor der Sommerpause wird die Transparenz bei Rüstungsexportentscheidungen weiter verbessert. [...] Die Bundesregierung verfolgt eine zurückhaltende Rüstungsexportpolitik.“ Wie bewerten Sie solche Aussagen?
Als allerersten Zwischenschritt könnte man diese Vorgabe positiv bewerten. Allerdings ist der Rüstungsexportbericht vielmehr ein Rüstungsexportverschleierungsbericht. Es werden keine Firmen genannt, keine konkreten Waffensysteme, keinerlei zivil wie militärisch nutzbare Dual Use-Güter. Zukünftig erfährt die Öffentlichkeit im Sommer eines jeden Jahres, was zwischen Januar und Dezember des Vorjahres genehmigt wurde. Der Bericht ändert am System nichts, insofern ist er ein vergleichsweise marginaler Schritt in Richtung Transparenz.
Entscheidend wäre ein konsequenter Kurswechsel in der Genehmigungspolitik von Kriegswaffen und Rüstungsgütern – den allerdings sehe ich nicht wirklich. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat wie ein Löwe gebrüllt. Aber ich befürchte, er wird angesichts des immensen Lobbyismus vom Bund der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) als kleines Kätzchen zu Füßen der Rüstungsindustrie enden. Gabriel wagt sich schon jetzt nicht an die Kündigung beschlossener Vorverträge und Verträge, beispielsweise im Falle milliardenschwerer Waffengeschäfte mit dem menschenrechtsverletzenden Regime Bouteflika in Algerien oder dem wahhabitischen Herrscherhaus in Saudi-Arabien, das wohlgemerkt die Terrormiliz IS unterstützt.
Wie bewerten Sie mögliche Pläne bzw. Tendenzen Rüstungsinitiativen und allgemein den Zweig der Rüstungsindustrie zu europäisieren, wie es in Studien und Papieren von renommierten Instituten wie z.B. der Stiftung Wissenschaft und Politik, angedacht wird? Welche Effekte hätte dies ihrer Meinung nach? Befürworter versprechen sich davon einen Abbau von Überkapazitäten. Könnte dies auch einen geringeren Lobby-Druck oder verminderte wirtschaftliche Interessen aufgrund einer Schrumpfung des Industriezweiges zur Folge haben?
Tatsache ist, dass Großwaffensysteme, also Panzer, Militärhelikopter und Kampfflugzeuge ohnehin vielfach auf europäischer Ebene produziert werden. Doch die Rechtslage hat sich dem nicht angepasst. Der „Gemeinsame Standpunkt“ (GASP) des Rates, also ein Art von Verhaltenskodex aus dem Jahr 2008, behandelt zwar die Menschenrechtslage in Bestimmungsländern. In der Rüstungsexportpraxis hat sich seither aber nahezu nichts getan. Es handelt sich bei den Planungen zur Europäisierung eher um eine Überlebensstrategie angesichts sinkender Verteidigungsetats in den großen Industriestaaten. Im Endeffekt geht es auch darum, neue Absatzmärkte in Schwellenländern zu erschließen. Brasilien zum Beispiel hat in den vergangenen Jahren seinen Verteidigungsetat massiv aufgestockt – mit der Begründung der Sicherheitslage für die Fußballweltmeisterschaft und den Olympischen Sommerspielen 2016. Deutschland hat massiv Kriegswaffen an Brasilien geliefert. Mit der Europäisierung soll noch effizienter und kostengünstiger produziert werden.
Der entscheidende Punkt ist: Wenn in Deutschland, zum Beispiel auch durch die Anstrengungen der Kampagne “Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“ auf nationaler Ebene Veränderungen herbeigeführt werden könnten, dann könnten diese auf europäischer Ebene umgangen werden. Dann werden besonders problematische Produktionen, z.B. von Airbus vormals EADS, eben nach Frankreich verlagert. Dort findet dann die Endmontage statt, wo die Rüstungsexport-Regularien noch laxer sind. Ein weiteres Beispiel ist das Aufklärungs- und Kampfflugzeug Eurofighter. Dessen Rumpfmittelteil wird in Bayern gefertigt. Die Endmontage erfolgt im britischen Warton, von wo aus die Militärflugzeuge skrupellos an die Royal Saudi Airforce geliefert werden. Die Europäisierung dient als Türöffner für grenzenlosen Export.
Nochmals zu den Kleinwaffen. Sehen Sie die Möglichkeit eines Exports, der die Ausfuhrbestimmungen nicht verletzt? Wie könnte ein solches System aussehen?
Allenfalls theoretisch kann man sich so ein System vorstellen. Aber Tag für Tag sehen wir, dass Kontrolle weder gewünscht ist noch funktioniert. Anders die USA, wo unangekündigte Kontrollen in den Bestimmungsländern die Regel sind. In Deutschland dagegen wird – trotz beweisbarer illegaler jahrzehntelanger Re-Exporte in andere Länder – die Praxis nicht geändert. Keine Regierungspartei jeglicher Couleur hat an diesem Missbrauch und dem damit verbundenen Rechtsbruch bisher etwas geändert. Lizenzen für das G3-Gewehr von H&K wurden u.a. in den Iran, nach Pakistan und Saudi-Arabien vergeben, danach in alle Welt geliefert. Seitens der Saudis wurde das G3-Gewehr in die Bürgerkriegsländer Somalia und Sudan exportiert. Anstatt Riad daraufhin mit einem totalen Rüstungsexportverbot zu belegen, hat die große Koalition unter der Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier 2008 dennoch eine Lizenz für den Nachbau von G36-Sturmgewehren an Saudi Arabien vergeben. Der Rechtsbruch hatte also nicht nur keine Konsequenzen, er wurde sogar noch belohnt.
Glauben Sie, dass sich militärische und zivilgesellschaftliche Mittel bei der Konfliktbearbeitung grundsätzlich ergänzen können?
Im Fall von Afghanistan mussten wir erkennen: Viele humanitäre Hilfsorganisationen haben sich zurückgezogen, nachdem das Militär kam. Vorher konnten sie sich zum großen Teil ungehindert und frei bewegen, mit dem Einsatz des Militärs wurden sie selbst zum Angriffsziel radikaler Kräfte. Grundsätzlich müsste man ein ganz anderes System implementieren, das den Schwerpunkt auf den zivilgesellschaftlichen Aufbau und die humanitäre Unterstützung legt.
Als allerersten Zwischenschritt könnte man diese Vorgabe positiv bewerten. Allerdings ist der Rüstungsexportbericht vielmehr ein Rüstungsexportverschleierungsbericht. Es werden keine Firmen genannt, keine konkreten Waffensysteme, keinerlei zivil wie militärisch nutzbare Dual Use-Güter. Zukünftig erfährt die Öffentlichkeit im Sommer eines jeden Jahres, was zwischen Januar und Dezember des Vorjahres genehmigt wurde. Der Bericht ändert am System nichts, insofern ist er ein vergleichsweise marginaler Schritt in Richtung Transparenz.
Entscheidend wäre ein konsequenter Kurswechsel in der Genehmigungspolitik von Kriegswaffen und Rüstungsgütern – den allerdings sehe ich nicht wirklich. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat wie ein Löwe gebrüllt. Aber ich befürchte, er wird angesichts des immensen Lobbyismus vom Bund der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) als kleines Kätzchen zu Füßen der Rüstungsindustrie enden. Gabriel wagt sich schon jetzt nicht an die Kündigung beschlossener Vorverträge und Verträge, beispielsweise im Falle milliardenschwerer Waffengeschäfte mit dem menschenrechtsverletzenden Regime Bouteflika in Algerien oder dem wahhabitischen Herrscherhaus in Saudi-Arabien, das wohlgemerkt die Terrormiliz IS unterstützt.
Wie bewerten Sie mögliche Pläne bzw. Tendenzen Rüstungsinitiativen und allgemein den Zweig der Rüstungsindustrie zu europäisieren, wie es in Studien und Papieren von renommierten Instituten wie z.B. der Stiftung Wissenschaft und Politik, angedacht wird? Welche Effekte hätte dies ihrer Meinung nach? Befürworter versprechen sich davon einen Abbau von Überkapazitäten. Könnte dies auch einen geringeren Lobby-Druck oder verminderte wirtschaftliche Interessen aufgrund einer Schrumpfung des Industriezweiges zur Folge haben?
Tatsache ist, dass Großwaffensysteme, also Panzer, Militärhelikopter und Kampfflugzeuge ohnehin vielfach auf europäischer Ebene produziert werden. Doch die Rechtslage hat sich dem nicht angepasst. Der „Gemeinsame Standpunkt“ (GASP) des Rates, also ein Art von Verhaltenskodex aus dem Jahr 2008, behandelt zwar die Menschenrechtslage in Bestimmungsländern. In der Rüstungsexportpraxis hat sich seither aber nahezu nichts getan. Es handelt sich bei den Planungen zur Europäisierung eher um eine Überlebensstrategie angesichts sinkender Verteidigungsetats in den großen Industriestaaten. Im Endeffekt geht es auch darum, neue Absatzmärkte in Schwellenländern zu erschließen. Brasilien zum Beispiel hat in den vergangenen Jahren seinen Verteidigungsetat massiv aufgestockt – mit der Begründung der Sicherheitslage für die Fußballweltmeisterschaft und den Olympischen Sommerspielen 2016. Deutschland hat massiv Kriegswaffen an Brasilien geliefert. Mit der Europäisierung soll noch effizienter und kostengünstiger produziert werden.
Der entscheidende Punkt ist: Wenn in Deutschland, zum Beispiel auch durch die Anstrengungen der Kampagne “Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“ auf nationaler Ebene Veränderungen herbeigeführt werden könnten, dann könnten diese auf europäischer Ebene umgangen werden. Dann werden besonders problematische Produktionen, z.B. von Airbus vormals EADS, eben nach Frankreich verlagert. Dort findet dann die Endmontage statt, wo die Rüstungsexport-Regularien noch laxer sind. Ein weiteres Beispiel ist das Aufklärungs- und Kampfflugzeug Eurofighter. Dessen Rumpfmittelteil wird in Bayern gefertigt. Die Endmontage erfolgt im britischen Warton, von wo aus die Militärflugzeuge skrupellos an die Royal Saudi Airforce geliefert werden. Die Europäisierung dient als Türöffner für grenzenlosen Export.
Nochmals zu den Kleinwaffen. Sehen Sie die Möglichkeit eines Exports, der die Ausfuhrbestimmungen nicht verletzt? Wie könnte ein solches System aussehen?
Allenfalls theoretisch kann man sich so ein System vorstellen. Aber Tag für Tag sehen wir, dass Kontrolle weder gewünscht ist noch funktioniert. Anders die USA, wo unangekündigte Kontrollen in den Bestimmungsländern die Regel sind. In Deutschland dagegen wird – trotz beweisbarer illegaler jahrzehntelanger Re-Exporte in andere Länder – die Praxis nicht geändert. Keine Regierungspartei jeglicher Couleur hat an diesem Missbrauch und dem damit verbundenen Rechtsbruch bisher etwas geändert. Lizenzen für das G3-Gewehr von H&K wurden u.a. in den Iran, nach Pakistan und Saudi-Arabien vergeben, danach in alle Welt geliefert. Seitens der Saudis wurde das G3-Gewehr in die Bürgerkriegsländer Somalia und Sudan exportiert. Anstatt Riad daraufhin mit einem totalen Rüstungsexportverbot zu belegen, hat die große Koalition unter der Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier 2008 dennoch eine Lizenz für den Nachbau von G36-Sturmgewehren an Saudi Arabien vergeben. Der Rechtsbruch hatte also nicht nur keine Konsequenzen, er wurde sogar noch belohnt.
Glauben Sie, dass sich militärische und zivilgesellschaftliche Mittel bei der Konfliktbearbeitung grundsätzlich ergänzen können?
Im Fall von Afghanistan mussten wir erkennen: Viele humanitäre Hilfsorganisationen haben sich zurückgezogen, nachdem das Militär kam. Vorher konnten sie sich zum großen Teil ungehindert und frei bewegen, mit dem Einsatz des Militärs wurden sie selbst zum Angriffsziel radikaler Kräfte. Grundsätzlich müsste man ein ganz anderes System implementieren, das den Schwerpunkt auf den zivilgesellschaftlichen Aufbau und die humanitäre Unterstützung legt.
Die Drohne Heron wird seitens der Bundeswehr von einem Konsortium (bestehend aus der israelischen Firma IAI und Rheinmetall) geleast und ist zur Zeit noch unbewaffnet. Potentiell kann sie aber auch bewaffnet werden. Sie ist seit 2010 im Einsatz. Das Bild zeigt die Startvorbereitungen des Drohnen-Systems 2012 beim Einsatzgeschwader Masar-E-Sharif.
Photo Credits: Sebastian Wilke/Bundeswehr, via flickr.com.
Photo Credits: Sebastian Wilke/Bundeswehr, via flickr.com.
In den vergangenen Wochen wurde die Anschaffung von Drohnen für die Bundeswehr diskutiert, letztlich ging es auch um Drohnen, die bewaffnet werden können. Wie bewerten sie den Stand der öffentlichen Diskussion? Wie sehen sie den Einfluss der Industrie auf die Debatte?
Hierbei geht es nicht nur um Einflussnahme, es geht um knallharten Lobbyismus. Die deutsche Rüstungsindustrie hegt ein massives Interesse an der Beschaffung von – zukünftig zu bauenden – europäischen Kampfdrohnen für die Bundeswehr. Doch Vorsicht: Militärische Drohnen führen zu einer fortschreitenden Entmenschlichung des Krieges. Vom Schreibtisch aus gesteuert, können Bewegungen von Fahrzeugkonvois oder Menschen erkannt werden. Doch wie soll man unterscheiden, ob es sich zum Beispiel um einen Tross von Taliban, also um Kombattanten, oder Flüchtlinge, beispielsweise in Tücher gehüllte Frauen mit darunter versteckten Kindern, handelt? Nicht mal ein Soldat auf dem Schlachtfeld kann durch das Zielfernrohr seines G36 entscheiden, was sich unter einer Burka befindet. Verbirgt die Mutter ein Kind oder doch Handgranaten? Wie will man das aus großer Höhe mit einer Drohne zweifelsfrei entscheiden? Die US-Armee musste bereits desaströse Erfahrungen machen. Die Zahl sogenannter „Kollateralschäden“, ich meine zerfetzte Zivilistinnen und Zivilisten, ist immens hoch. Drohnen sind selbst aus militärischer Sicht kontraproduktiv. Völkerrecht wird vielfach gebrochen, auf Generationen hinaus Hass bei den Betroffenen geschürt.
Kein Wunder also, dass die Mehrheiten in Deutschland klar sind, sowohl beim Waffenhandel als auch bei militärischen Drohnen. Eine repräsentative Emnid-Umfrage vom Herbst 2011 hat das Ergebnis erbracht, dass 78% der deutschen Bevölkerung für einen völligen Stopp des Waffenhandels sind. Bei Kampfdrohnen sprechen sich zwischen 65% und 75% in Umfragen gegen die Beschaffung aus. Ich sehe mich insofern als einer der Sprachrohre der Mehrheit. Aber gleichzeitig steht zu befürchten, dass die Rüstungsindustrie Wege wählt, um erneut Einfluss auf die Politik zu nehmen. In diesem Sinne besteht die Gefahr, dass dennoch Kampfdrohnen beschafft werden und der Waffenhandel mit menschenrechtsverletzenden und kriegsführenden Staaten ungebrochen weiter geht. Um diese zu verhindern, haben wir die Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ mit weit mehr als hundert Mitgliedsorganisationen gegründet.
Vielen Dank für das Gespräch [Interview per Telefon].
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen