Die Phasen des Übergangs seien in einem Konflikt oftmals am problematischsten: "Es gibt Racheakte, die Armee auf dem Rückzug lässt da unter Umständen noch einmal alles heraus," so beschreibt Carolin Emcke eines ihrer Erlebnisse als Kriegsreporterin. Emcke ist freie Journalistin und sehr Kriegserfahren, sie weiß wovon sie spricht. Sie arbeitet seit vielen Jahren in Krisen- und Kriegsgebieten unter zumeist extrem schwierigen Bedingungen.
Ihr Anliegen an diesem Abend ist es jedoch gerade, ihr Wissen, ihre Erfahrungen und ihren Anspruch an Objektivität in Zweifel zu ziehen. Sie sieht viele Schwellen und Grenzen, die eine Berichterstattung über Kriege erschweren. Statt von Berichterstattung spricht sie deshalb lieber von Zeugenschaft, einer passiven Rolle, die sowohl von den Bedingungen vor Ort, den Mechanismen des Medienbetriebs, aber auch dem Menschsein an sich eingeschränkt wird.
Als Aufruf zur Resignation soll dies jedoch gewertet werden: "So darf man der Sprache nicht das Vertrauen entziehen, sondern muss ihre Kraft nutzen." Mit diesen Worten empfängt die Literaturwissenschaftlerin Prof. Ethel Matala de Mazza die Publizistin und promovierte Philosophin Emcke im Rahmen der Mosse-Lectures "Vom Krieg berichten".
Ihren Vortrag hat sie mit dem Titel "Krieg erzählen – Von den Schwellen und Grenzen der Zeugenschaft" versehen. Und beginnt mit, wie sie es nennt, "ganz profanen" Hürden: "Sie brauchen eine Finanzierung, ein Visum, die Unterstützung der Redaktion." Zumeist sei man nicht erwünscht bei den unmittelbaren Kriegshandlungen, "embedded" zu arbeiten vermeidet sie aber: "Es ist die intelligenteste Form der Zensur. Es ist praktisch unmöglich Distanz aufzubauen, wenn das eigene Leben von den Begleitern abhängt."
Dies hat jedoch zur Folge, dass sie zum Beispiel den Gaza-Streifen 2009 erst besuchen konnte, als die eigentlichen Militäroperation der israelischen Armee bereits abgeschlossen waren. Man muss als erstes also über diese ganz praktischen Grenzen der Kriegsberichterstattung sprechen.
Nicht-Verstehen Können
Darüber hinaus berichtet Emcke jedoch noch von einer ganz anderen Hürde. Die Bilder, die sie zu sehen bekomme seien eine "ethische Anomalie" und in ihrer Quantität und Qualität oft nicht zu verstehen. Als Beispiel nennt sie eine Reise nach Haiti nach dem Erdbeben vom Januar 2010: "Auch nach Wochen konnte ich das Ausmaß nicht verstehen", sagt sie. Dies hat ganz konkrete Folge für ihre Berichterstattung. Eine Bewertung der Arbeit von Nichtregierungsorganisationen wird unmöglich, wenn eine objektive Analyse der Lage so extrem schwierig ist. Emcke führt aus: "Die internationale Gemeinschaft sprach von nation building, wir konzentrierten uns nach drei Wochen auf eine Straße."
Es geschehen Dinge, die nicht in das eigene "psychische Koordinatensystem" passen. Immer wieder sei sie überrascht gewesen, dass noch um einzelne Menschen getrauert werde und bei einem Trauermarsch Anzüge und Instrumente vorhanden gewesen seien. "Wo kamen die her?", fragte sie sich.
Nicht-Verstehen Wollen
"Diese Geschichte habe ich einfach nicht geglaubt", mit diesem Satz spricht Emcke eine weitere Schwelle an. So sei 2009 im Gaza-Streifen während einer Phase der offiziellen Waffenruhe ein ziviles Fahrzeug beschossen worden. Ein Vater und seine zwei Söhne saßen darin, ein Sohn war sofort tot, der andere verblutete, weil eine Ambulanz daran gehindert wurde dem Verletzten zu helfen. "Ich hielt diese Geschichte für unglaubwürdig, weil ich sie nicht glauben wollte", sagt Emcke und hebt die Rolle dieser moralischen Komponente hervor. Jeden Tag gebe es Situationen, die man nur mit Glück doch akzeptieren könne, erst dann darüber recherchieren und berichten kann. Aber immer wieder stoße sie auch hier an Grenzen des Verstehens.
Zudem sei das Problem, dass es ja auch tatsächlich Propagandaeinheiten gebe, zum Beispiel der Hamas oder des Islamischen Dschihad. Emcke sagt: "Der Tod wird so in politische Geiselhaft genommen", er werde teilweise als politische Tat inszeniert und manchmal werde die trauernde Familie einfach beiseite gedrängt oder verzichtet gleich auf die Anwesenheit bei der Beisetzung, wie es Emcke auch schon erlebt hat. Da stellte sie sich die Frage: "Wem gehört der Tod in Gaza?"
Dabei geht es ihr gar nicht um die Frage einer Parteinahme oder dem Begriff der Objektivität, diesen bezweifelt Emcke, wie angesprochen, ohnehin. Sondern immer um das Leid und dessen Darstellbarkeit. Nicht nur die Opfer eines Konflikts leiden unter dem Unverständnis der Außenstehenden. Auch die Soldaten müssen ja ihre Erlebnisse, die Bilder ihrer Opfer verarbeiten und können kaum darauf hoffen, dass die Gesellschaft sie - geschweige denn den Krieg an sich - versteht. Sich weigert zu verstehen. Und neben den unmittelbaren inneren und äußeren Hürden greifen eben dann auch gesellschaftliche Konventionen.
Nicht-Zeigen Können
Journalisten treffen bei ihren Redaktionen, Lesern und Zuschauern immer auf ausgebildete Erwartungen, feste Wahrnehmungsschemata. So hat Absurdes, Erheiterndes oder Kurioses bei der Konfliktberichterstattung zumeist keinen Raum. "Diese Dinge kommen einem belanglos vor, oder wirken fehl am Platz", sagt Emcke. So seien in einem irakischen Stadion, das als Flüchtlingslager diente, plötzlich Linien gezogen worden und ein Fußballspiel begann. Auch über den Vergnügungspark in Gaza konnte sie nicht schreiben. Wahrscheinlich hätte es zu diesem Zeitpunkt auch niemand gedruckt.
Natürlich spielen im Kontext des Krieges die Fragen der Darstellbarkeit von Gewalt und deren Folgen noch eine größere Rolle. Der gerade erschienene Bildband War Porn von Christoph Bangert zum Beispiel versucht diese Grenze neu auszuloten. "Brandopfer sind das Schlimmste, was ich bisher gesehen habe", erzählt Emcke. Dabei gehe es überhaupt nicht unbedingt um drastische Bilder. Sie beschreibt eine Reaktion ihrer Auftraggebers: "Ich beschrieb das im Text, es folgte ein Anruf der Redaktion, dass dies unerträglich sei."
"Ich glaube, dass in Texten unglaublich geschont wird", unterstreicht sie ihre Wahrnehmung. So ließe sich deutlich mehr beschreiben als bisher beschrieben würde. "Ich kenne wenige Texte über Leichenhallen", sagt die Journalistin und: "Ich bin nicht sicher, ob dies eine ästhetische Konvention ist. Aber eine Soziale."
Immer wieder müsse sie sich hinterfragen: "Wo zögere ich selber? Wo zögere ich aufgrund von Medienkonventionen?" Einen Ausweg aus diesem Dilemma kennt Emcke auch nicht. Nur mehr Gewalt zu zeigen hält sie für keine Lösung: "Ich will keineswegs behaupten, bei Bildern schon gar nicht, dass es drastischer sein muss." Vielmehr gehe es ihr um mehr Details, mehr narrative Elemente, um Dinge ein wenig verständlicher zu machen. Emcke fordert mehr Absurdität, mehr Ambivalenz und mehr Komplexität, nur so lasse sich aus der Zeugenschaft des Krieges ein Zugang und ein Schritt hin zum Verstehen gewinnen.
Carolin Emcke, freie Publizistin, internationale Reporterin, Promotion in Philosophie zum Begriff „kollektiver Identitäten“ (1998), Lehrtätigkeit u.a. an der Yale University, Reisen und Reportagen aus Kriegs- und Krisengebieten, Kosovo, Afghanistan, Gaza und Irak, zahlreiche Auszeichnungen, Journalistin des Jahres 2010; Publikationen u.a. Von den Kriegen. Briefe an Freunde (2004), Stumme Gewalt. Nachdenken über die RAF (2008), Wie wir begehren (2012), Weil es sagbar ist. Über Zeugenschaft und Gerechtigkeit (2013).
Mehr zu den Mosse-Lectures hier.
Ihr Anliegen an diesem Abend ist es jedoch gerade, ihr Wissen, ihre Erfahrungen und ihren Anspruch an Objektivität in Zweifel zu ziehen. Sie sieht viele Schwellen und Grenzen, die eine Berichterstattung über Kriege erschweren. Statt von Berichterstattung spricht sie deshalb lieber von Zeugenschaft, einer passiven Rolle, die sowohl von den Bedingungen vor Ort, den Mechanismen des Medienbetriebs, aber auch dem Menschsein an sich eingeschränkt wird.
Als Aufruf zur Resignation soll dies jedoch gewertet werden: "So darf man der Sprache nicht das Vertrauen entziehen, sondern muss ihre Kraft nutzen." Mit diesen Worten empfängt die Literaturwissenschaftlerin Prof. Ethel Matala de Mazza die Publizistin und promovierte Philosophin Emcke im Rahmen der Mosse-Lectures "Vom Krieg berichten".
Ihren Vortrag hat sie mit dem Titel "Krieg erzählen – Von den Schwellen und Grenzen der Zeugenschaft" versehen. Und beginnt mit, wie sie es nennt, "ganz profanen" Hürden: "Sie brauchen eine Finanzierung, ein Visum, die Unterstützung der Redaktion." Zumeist sei man nicht erwünscht bei den unmittelbaren Kriegshandlungen, "embedded" zu arbeiten vermeidet sie aber: "Es ist die intelligenteste Form der Zensur. Es ist praktisch unmöglich Distanz aufzubauen, wenn das eigene Leben von den Begleitern abhängt."
Dies hat jedoch zur Folge, dass sie zum Beispiel den Gaza-Streifen 2009 erst besuchen konnte, als die eigentlichen Militäroperation der israelischen Armee bereits abgeschlossen waren. Man muss als erstes also über diese ganz praktischen Grenzen der Kriegsberichterstattung sprechen.
Dieser 18-Jährige wurde 2008 in Dschabalia, vier Kilometer nördlich von Gaza-Stadt, getötet. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war nicht klar, ob er von israelischem Beschuss oder einem Unfall beim Bau eines Sprengsatzes getötet wurde. Credits: Kashfi Halford, via flickr.com
Nicht-Verstehen Können
Darüber hinaus berichtet Emcke jedoch noch von einer ganz anderen Hürde. Die Bilder, die sie zu sehen bekomme seien eine "ethische Anomalie" und in ihrer Quantität und Qualität oft nicht zu verstehen. Als Beispiel nennt sie eine Reise nach Haiti nach dem Erdbeben vom Januar 2010: "Auch nach Wochen konnte ich das Ausmaß nicht verstehen", sagt sie. Dies hat ganz konkrete Folge für ihre Berichterstattung. Eine Bewertung der Arbeit von Nichtregierungsorganisationen wird unmöglich, wenn eine objektive Analyse der Lage so extrem schwierig ist. Emcke führt aus: "Die internationale Gemeinschaft sprach von nation building, wir konzentrierten uns nach drei Wochen auf eine Straße."
Nur eine Statue blieb stehen - Aufnahme aus Port-au-Prince vom 20. Januar 2010.
Credits: UN Photo/Marco Dormino, via flickr.com
Es geschehen Dinge, die nicht in das eigene "psychische Koordinatensystem" passen. Immer wieder sei sie überrascht gewesen, dass noch um einzelne Menschen getrauert werde und bei einem Trauermarsch Anzüge und Instrumente vorhanden gewesen seien. "Wo kamen die her?", fragte sie sich.
Nicht-Verstehen Wollen
"Diese Geschichte habe ich einfach nicht geglaubt", mit diesem Satz spricht Emcke eine weitere Schwelle an. So sei 2009 im Gaza-Streifen während einer Phase der offiziellen Waffenruhe ein ziviles Fahrzeug beschossen worden. Ein Vater und seine zwei Söhne saßen darin, ein Sohn war sofort tot, der andere verblutete, weil eine Ambulanz daran gehindert wurde dem Verletzten zu helfen. "Ich hielt diese Geschichte für unglaubwürdig, weil ich sie nicht glauben wollte", sagt Emcke und hebt die Rolle dieser moralischen Komponente hervor. Jeden Tag gebe es Situationen, die man nur mit Glück doch akzeptieren könne, erst dann darüber recherchieren und berichten kann. Aber immer wieder stoße sie auch hier an Grenzen des Verstehens.
Zudem sei das Problem, dass es ja auch tatsächlich Propagandaeinheiten gebe, zum Beispiel der Hamas oder des Islamischen Dschihad. Emcke sagt: "Der Tod wird so in politische Geiselhaft genommen", er werde teilweise als politische Tat inszeniert und manchmal werde die trauernde Familie einfach beiseite gedrängt oder verzichtet gleich auf die Anwesenheit bei der Beisetzung, wie es Emcke auch schon erlebt hat. Da stellte sie sich die Frage: "Wem gehört der Tod in Gaza?"
Dabei geht es ihr gar nicht um die Frage einer Parteinahme oder dem Begriff der Objektivität, diesen bezweifelt Emcke, wie angesprochen, ohnehin. Sondern immer um das Leid und dessen Darstellbarkeit. Nicht nur die Opfer eines Konflikts leiden unter dem Unverständnis der Außenstehenden. Auch die Soldaten müssen ja ihre Erlebnisse, die Bilder ihrer Opfer verarbeiten und können kaum darauf hoffen, dass die Gesellschaft sie - geschweige denn den Krieg an sich - versteht. Sich weigert zu verstehen. Und neben den unmittelbaren inneren und äußeren Hürden greifen eben dann auch gesellschaftliche Konventionen.
Nicht-Zeigen Können
Journalisten treffen bei ihren Redaktionen, Lesern und Zuschauern immer auf ausgebildete Erwartungen, feste Wahrnehmungsschemata. So hat Absurdes, Erheiterndes oder Kurioses bei der Konfliktberichterstattung zumeist keinen Raum. "Diese Dinge kommen einem belanglos vor, oder wirken fehl am Platz", sagt Emcke. So seien in einem irakischen Stadion, das als Flüchtlingslager diente, plötzlich Linien gezogen worden und ein Fußballspiel begann. Auch über den Vergnügungspark in Gaza konnte sie nicht schreiben. Wahrscheinlich hätte es zu diesem Zeitpunkt auch niemand gedruckt.
Bilder und Beschreibungen von Ereignissen, die nicht in die Erwartungen der Adressaten passen, finden zumeist keinen Platz in der Kriegsberichterstattung. Hier sind spielende palästinensische Kinder im Rahmen der UNRWA Summer Fun Weeks vom Juni 2013 zu sehen.
Credits: UN Photo/Shareef Sarhan, via flickr.com
Natürlich spielen im Kontext des Krieges die Fragen der Darstellbarkeit von Gewalt und deren Folgen noch eine größere Rolle. Der gerade erschienene Bildband War Porn von Christoph Bangert zum Beispiel versucht diese Grenze neu auszuloten. "Brandopfer sind das Schlimmste, was ich bisher gesehen habe", erzählt Emcke. Dabei gehe es überhaupt nicht unbedingt um drastische Bilder. Sie beschreibt eine Reaktion ihrer Auftraggebers: "Ich beschrieb das im Text, es folgte ein Anruf der Redaktion, dass dies unerträglich sei."
Ein kranker Säugling in einem Krankenhaus in Gaza 2009 - "Ich wäre über mehr Empathie froh und bin gleichzeitig sehr misstrauisch gegenüber Instrumenten, die Empathie wecken sollen" - Emcke
Credits: Zoriah, via flickr.com
"Ich glaube, dass in Texten unglaublich geschont wird", unterstreicht sie ihre Wahrnehmung. So ließe sich deutlich mehr beschreiben als bisher beschrieben würde. "Ich kenne wenige Texte über Leichenhallen", sagt die Journalistin und: "Ich bin nicht sicher, ob dies eine ästhetische Konvention ist. Aber eine Soziale."
Immer wieder müsse sie sich hinterfragen: "Wo zögere ich selber? Wo zögere ich aufgrund von Medienkonventionen?" Einen Ausweg aus diesem Dilemma kennt Emcke auch nicht. Nur mehr Gewalt zu zeigen hält sie für keine Lösung: "Ich will keineswegs behaupten, bei Bildern schon gar nicht, dass es drastischer sein muss." Vielmehr gehe es ihr um mehr Details, mehr narrative Elemente, um Dinge ein wenig verständlicher zu machen. Emcke fordert mehr Absurdität, mehr Ambivalenz und mehr Komplexität, nur so lasse sich aus der Zeugenschaft des Krieges ein Zugang und ein Schritt hin zum Verstehen gewinnen.
Carolin Emcke, freie Publizistin, internationale Reporterin, Promotion in Philosophie zum Begriff „kollektiver Identitäten“ (1998), Lehrtätigkeit u.a. an der Yale University, Reisen und Reportagen aus Kriegs- und Krisengebieten, Kosovo, Afghanistan, Gaza und Irak, zahlreiche Auszeichnungen, Journalistin des Jahres 2010; Publikationen u.a. Von den Kriegen. Briefe an Freunde (2004), Stumme Gewalt. Nachdenken über die RAF (2008), Wie wir begehren (2012), Weil es sagbar ist. Über Zeugenschaft und Gerechtigkeit (2013).
Mehr zu den Mosse-Lectures hier.
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