Montag, 30. Juni 2014

Tampons, Twinkies, Terrorismus

Wer die Worte "transformative Kraft" liest, der assoziiert damit wahrscheinlich zunächst einmal etwas Positives. Veränderung, Weiterentwicklung, die Umformung von etwas Bestehendem. Doch auch der Krieg entfaltet eine große Kraft der Transformation. Nicht umsonst wird Krieg als Vater oder Mutter aller Dinge bezeichnet.

Iain Overton spitzt diese These zu, wenn er zunächst einmal Tampons zeigt, Twinkies, Nylonstrümpfe oder Tabasco. All diese Produkte wurden direkt für Soldaten, oder indirekt aus den Anforderungen bewaffneter Auseinandersetzungen entwickelt oder wurden während der Kriegszeit populär. Heute gehören sie zum Alltag. 

Doch Krieg hat eben auch eine andere Seite. Nicht nur die kurzfristigen Folgen der Gewalt mit Millionen von Toten, sondern auch die langfristigen Veränderungen für nachfolgende Konflikte. Und daraus ergibt sich kein "Nie wieder!", sondern ein "Diesmal besser!".

Wurden in den 1930er-Jahren entwickelt, um die Abhängigkeit von asiatischer Seide zu reduzieren. Hier eine britische Straßenszene mit Nylons aus den 1940er-Jahren.
Credits: Paul Townsend/ brizzle born and bred, via flickr.com

"Everyone had his crucified soldier", sagt Overton und geht dabei auf einen Mythos vieler Kriege ein. Die Verbreitung und Operationalisierung von Schreckensmeldungen, um die eigenen Soldaten durch Wut und Angst zu motivieren. Auch der erste Giftgaseinsatz brachte solche Reaktionen hervor und senkte die Schwelle für noch extremere Gewalt. "Gas brought intolerance", ist der ehemalige Journalist und Director of Policy and Investigations der Organisation Action on Armed Violence (AOAV) überzeugt. Gewalt fordert Gegengewalt heraus, Technologie macht diese immer effektiver und fördert die Intoleranz. Der Begriff des "evil enemy" spielt auf diese Dehumanisierung an.


"Der Krieg ist der Vater aller Dinge und der König aller. Die einen macht er zu Göttern, die andern zu Menschen, die einen zu Sklaven, die andern zu Freien." - Heraklit um 520 v. Chr

Auch die mittlerweile allgegenwärtigen Drohnen zeigen diesen Mechanismus: "Disempowered people have to respond to technological empowerment", sagt Overton und lässt keinen Zweifel daran, dass er die Wut und Hilflosigkeit als essentielle Ursachen für die Waffe des Selbstmordanschlages betrachtet. So sollte die Öffentlichkeit nicht den Fortschritt, sondern vor allem die Zunahme und Dehumanisierung der Gewalt sehen. Jede Minute stirbt ein Mensch durch eine Waffe. 


Dies fordert Gegenargumente heraus, läuft eine solche Wahrnehmung doch zum Beispiel den Thesen des renommierten Psychologen und Publizisten Steven Pinker in seinem Werk "Gewalt" zuwider. Er geht von einer globaelen Abnahme der Gewalt aus. Doch Overton beschreibt vor allem die Folgen moderner Technologien, die unter Umständen unter der Maßgabe der Gewaltvermeidung entwickelt wurden, dabei aber - vielleicht als ungewollten - Nebeneffekt, neue und extremere Formen der Gewalt hervorbringen können. 

Auch Fritz Haber, der Vater des militärischen Einsatzes von Giftgas, war angeblich davon überzeugt, dass diese Waffe den Krieg schnell beenden und so Menschenleben schonen würde. Dieser Wunsch erfüllte sich nicht. Krieg adaptiert auch scheinbar positive Technologien und eignet sie sich an. Die Entwicklung der Luftfahrt wurde als völkerverbindend gesehen, doch schnell wurden Flugzeuge als Waffe eingesetzt. 

Innovation ist also nicht immer gleichbedeutend mit Fortschritt. Das Versprechen Kriege "besser führbar" oder "sicherer" zu machen, oder die Wahrnehmung, dass militärische Forschung immer wieder bedeutende Technologien hervor bringt, läuft nach der Meinung von Overton ins Leere.






Die Zitate von Iain Overton sind seinem Vortrag im Rahmen des wissenschaftlichen Symposium "Immer noch: KRIEG! Vom Giftgas zur Drohne" des Zentrums für Angewandte Kulturwissenschaften (ZAK) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) im Rahmen der 22. Europäischen Kulturtage entnommen.


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