Samstag, 14. September 2013

ZDF-Debatte zu Syrien: Ego schlägt gesunden Menschenverstand

Wer die Syrien-Debatte im ZDF am Donnerstag Abend nicht verfolgt hat, muss sich keine größeren Sorgen machen. Auch wenn es wohl die einzige Gelegenheit war, eine dem Schema der neuesten Wahlkampfberichterstattung entsprechende Sendung á la "Am Tisch mit..." oder "Task Force" und explizit der anstehenden Bundestagswahl gewidmete Diskussion zum Thema Syrien zu sehen.

Der Erkenntnisgewinn darf unterm Strich getrost als eher gering bezeichnet werden. Dies lag vor allem an der Auswahl der Gäste. Für eine Bombardierung militärischer Ziele in Syrien sprachen sich Sadiqu Al Mousllie, Vertreter des Syrischen Nationalrates in Deutschland, und Udo Steinbach, "Nahostexperte", aktuell  Leiter des Governance Center Middle East/North Africa an der Humboldt-Viadrina School of Governance, aus. Dagegen argumentierten der Publizist Jürgen Todenhöfer und Michael Lüders, Islam- und Politikwissenschaftler. 

Im ZDF nennt sich das Format, das auch junge Zuschauer anlocken soll, "Die Debatte". Nach britischem Vorbild. Mag man darüber streiten, was das wirklich heißen mag. Knapp zwei Millionen Menschen verfolgten jedenfalls den verbalen Schlagabtausch, der immer wieder von Facebook-Kommentaren und Zuschauerfragen gefüttert wurde. Den Schluss der Debatte bildete eine Analyse von Tweets, des sogenannten Netzradars, den Moderator Theo Koll aber eher von peinlichem Schweigen begleitet vorstellte und die wenig aussagekräftigen Zahlen analysierte ("Die Contra-Seite hat jedenfalls mehr Emotionen im Netz ausgelöst").

Doch kaum einmal sprach einer der Anwesenden die wirklich entscheidenden Punkte an. Im Gegenteil. Viel zu oft verfielen die Diskutanten in die "Ich"-Form, kramten ihre langjährigen Erfahrungen heraus, verwiesen auf ihre Familienverhältnisse, Freunde, Bekannte, auf ihre eigene Betroffenheit, oder auf selbst geführte Gespräche mit Akteuren des Konflikts.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Erfahrungen bereichern jede Debatte. Aber sie sollten nicht jegliche Argumentation im Keim ersticken. Die Erkenntnis, dass kaum ein Konflikt im schwarz-weißen Gewand auftritt, sondern mit grauem Schleier versehen, sollte eigentlich die Grundlage jeder objektiven Annäherung sein. Besonders tat sich jedoch Jürgen Todenhöfer hervor, dies zu ignorieren. Offenbar bereitet er sich schon auf die Zeit nach dem Tod Peter Scholl-Latours vor:

"Ich war als Einziger..., keiner von Ihnen war in den letzten zweieinhalb Jahren dort, ich war sechsmal während dieses Bürgerkrieges dort und bin von beiden Seiten beschossen worden. [...] Ich habe noch nie einen so barbarischen Bürgerkrieg gesehen. [...] Aus der Erfahrung von sechs Besuchen, über zwei Monaten..., ich habe nicht nur mit Assad gesprochen, sondern auch mehr als 50 mal mit Rebellen, mit Oppositionellen gesprochen. [...] Ich war auch in ihrer [an Al Mousllie gewandt] Heimatstadt Homs, ich war mit Kämpfern der Freien Syrischen Armee zusammen, sie wollten erst schießen, dann wurden wir Freunde."

Diese Ich-Bezogenheit erinnert an eine ähnliche Sendung von Anne Will zu dem Thema. Auch dort insistierte der BILD-Journalist Julian Reichelt darauf, nur er könne wirklich beurteilen, was die richtige Lösung für Syrien sei, schließlich sei er während des Konflikts in Syrien gewesen ("Mir hat ein Arzt gesagt in Damaskus, es seien 1466 Opfer [des Giftgaseinsatzes]"). Ob dies einer sachlichen Debatte zuträglich ist, erscheint gelinde gesagt fraglich.

Todenhöfers Ausführungen jedenfalls schlossen sich anhand der Ego-Perspektive an Peter Scholl-Latour oder eben an Reichelt an, und ließen zudem erahnen, was Todenhöfer eigentlich von anderen Ländern und anderen Sitten hält. Als Al-Mousllie, zugegeben nicht sehr höflich, aber eben in der Hitze des Wortgefechts, Todenhöfer unterbrach, wies er den Exil-Syrer zurecht: "In Deutschland lässt man die Menschen ausreden."

Alles in allem verpasste es Todenhöfer, die Debatte um Syrien ins Hier und Jetzt zu bringen. Zwar sprach er sich für eine friedliche Lösung aus und lehnte eine militärische Operation ab, doch mit dem Fokus auf die "Barbarei" dieses Konflikts und der Deutungshoheit seiner selbst gemachten Erfahrungen ließ er den Krieg in Syrien als etwas erscheinen, was sich weit außerhalb des Blickfeldes eines Normalsterblichen und der Möglichkeit einer Beurteilung abspielt. Nach Abenteuern in fernen Ländern, die eben nur solche Experten seiner Kragenweite wirklich durchdringen können.

Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Dieser Bürgerkrieg spielt sich an der Peripherie der EU ab, in einem Land, das noch vor einigen Jahren als Beispiel für eine, zwar schleppende, aber doch schrittweise Öffnung galt. Diese Hoffnung mag verfehlt gewesen sein. Bezeichnend ist aber, dass nicht nur diese Entwicklung kaum beachtet wurde, sondern auch der folgende Krieg in den vergangenen zwei Jahren. Erst die große Bühne der Weltpolitik spülte Syrien wirklich auf die Agenda. Viel früher hätte anhand dieses Konflikts deutlich gemacht werden müssen, wie sehr uns Gewalt in allen Teilen der Welt moralisch betrifft.

Dies hätte thematisiert werden müssen, stattdessen arbeiteten sich die Teilnehmer an den bekannten Argumenten ab. Der völkerrechtswidrige Jugoslawien-Krieg musste als Beispiel für eine gelungene "humanitäre Intervention" herhalten, geopolitische Verhältnisse als Argument für die Akzeptanz bestehender Machtstrukturen. So sehr jede Äußerung einen Teil der Wahrheit beinhaltete, so wenig beschäftigte sich die Debatte eben mit der Frage, warum in den vergangenen Monaten kein Platz für Diskussionen über politische Lösungen war und warum so wenig Druck auf alle Seiten des Konflikts ausgeübt wurde. Es erst des Giftgaseinsatzes bedurfte, damit über mögliche Lösungen diskutiert wird.

So blieb es am Ende bei der Feststellung, dass die beiden Seiten sich - Überraschung - nicht überzeugen konnten. Auf die Frage des Moderators: "Welches Argument der anderen Seite hat sie überzeugt?", murmelten die Vier mehr oder weniger: "Keins." Lüders konnte sich durchringen dem Vertreter des syrischen Nationalrats Al Mousllie "moralische Integrität" zuzugestehen und wünschte Syrien "einen führenden Platz in der Nationenwertung", was immer das auch heißen mag. Es klang jedenfalls versöhnlich genug, um die Sendung damit zu beenden.

Durch die Qualität der Debatte rückt dann auch die Statistik in den Hintergrund. Waren am Anfang der Diskussion noch 22 Prozent der Umfrage-Teilnehmer für einen Militärschlag, waren es danach 34 Prozent. Gegen einen solchen votierten vorher 46 Prozent, am Ende der Debatte waren es 66 Prozent. Die 32 Prozent, die sich vor der Sendung noch nicht entscheiden konnten, bildeten sich im Verlauf den Zahlen nach eine Meinung. Bezeichnend: 5928 Personen stimmten am Anfang der Sendung ab, 1197 waren es am Ende.

4 Kommentare:

  1. Gute Rezension der Sendung, besonders der Hinweis auf die Ich-Bezogenheit Todenhöfers - vielen Dank! Hier der passende Ausschnitt zu seiner Aussage, in Deutschland lasse man die Menschen ausreden: http://www.youtube.com/watch?v=iXca6PF2fyg

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  2. Danke für den Link!
    Eine etwas andere Sicht auf die Sendung gibts auch. Z.b. hier:
    http://www.achteminute.de/20130913/anders-als-schattenboxen-die-zweite-debatte-im-zdf/

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  3. In der Tat auch eine bedenkenswerte Sicht, Danke!

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