Donnerstag, 19. September 2013

Alawiten in Syrien: Basis des Regimes oder unterdrückte Minderheit?

Die Alawiten werden oftmals als "Rückgrat des Assad-Regimes" bezeichnet. Dabei tut eine differenziertere Betrachtungsweise offensichtlich Not. Die aktuelle Titelgeschichte von Zenith jedenfalls beschäftigt sich mit der Rolle der Minderheit aus einem anderen Blickwinkel. SPON greift den Zenith-Titel in einem eigenen Artikel auf und zitiert darin einen ananoymen Alawiten, der sich Habib Abu Zarr nennt:
Der Westen dürfe die Minderheit, zu der weniger als zehn Prozent der Syrer gehören, nicht aufgeben, sondern müsse den wahren Charakter der "krankhaften Beziehung" zwischen Assad und den Alawiten erkennen, schreibt er. "Nur selten gelang es einem Herrscher, seine eigene Religionsgemeinschaft zu unterdrücken und zugleich dafür zu sorgen, dass sie es ihm auf Knien dankte."
Auch andere Beobachter kommen zu dem Schluss, dass die religiöse Minderheit nicht in ihrer Gesamtheit als Assad-treu beschrieben werden kann und die Einbindung von Minderheiten als grundsätzliche Strategie des Regimes erscheint, welche dessen Stabilisierung förderte. Ein Artikel von Le Monde Diplomatique konstatiert:
Allerdings muss man den Aufstieg der Alawiten innerhalb der Armee und der Baath-Partei sowie ihre Eroberung des Staatsapparats etwas differenzierter betrachten. Hafis al-Assad hätte den staatlichen Machtapparat nicht so leicht erobern und die Gesellschaft nicht so stark durchdringen können, hätte er nicht mittels klientelistischer Strategien und lokaler Bündnisse auch andere Bevölkerungsteile eingebunden. Das gilt vor allem für die sunnitische Mehrheit, die vor allem in der Armee, aber auch in der Wirtschaft zum Zuge kam, aber auch weitere religiöse Minderheiten wie Christen und Drusen.
Natürlich profitieren dennoch Teile der Alawiten von dieser elitezentrierten Klientel-Politik, dies scheint jedoch eher auf dem Versuch einer umfassenden Kontrolle gesellschaftsrelevanter Gruppen, denn einer tatsächlichen Bevorzugung aus religiösen Gründen zu fußen:
In Krisenzeiten stützte sich das Regime stärker auf seine alawitische Basis und den alawitisch dominierten Sicherheitsapparat, während es sich in Zeiten der Entspannung eher für andere Bevölkerungsgruppen öffnete. Dieses taktische Wechselspiel seines Vaters führte Assad junior im Rahmen seines neoliberalen Projekts fort, das auf hemmungslose Geschäftemacherei hinauslief.

Aber nicht alle Alawiten stehen in der Gunst des Regimes. Zwar profitierten sie von einer planmäßigen Modernisierung ihres traditionellen Siedlungsgebiets, das zu einer potenziellen Rückzugsbasis der Minderheit ausgebaut werden sollte. Aber die großzügigen staatlichen Hilfen kamen doch nur dem erweiterten Assad-Clan zugute. Im Übrigen war die Politik des Präsidenten darauf angelegt, die Stammesorganisation und den Einfluss der Religionsführer zu untergraben, die großen alten Familien zu verdrängen und jeglichen Widerstand zu unterdrücken. 
Zu den weiteren Gründen für die Unterstützung des Assad-Regimes durch die Alawiten heißt es in einem Dossier von ARTE:
Hinzu kam der Einfluss der 1947 gegründeten Baath-Partei, deren Säkularismus den Alawiten attraktiv erschien. Diese Art von Staatsräson sorgte für den Rückzug der Religion aus dem öffentlichen Leben und entsprach ganz dem Wunsch der bis dahin verachteten Minderheit nach Anerkennung und Schutz vor Repression. Obwohl die Baath-Partei immer wieder versuchte, so etwas wie eine Identität Syriens zu begründen, blieben ethnisch, religiös und regional grundierte Identitäten davon unberührt. Der aktuelle Konflikt aktiviert nun die alten Ressentiments. Und das mit aller Wucht, schlimmer als je zuvor. Sollte das Regime von Bashar al-Assad fallen, droht ein ähnliches Szenario wie im Irak nach dem Sturz Saddam Husseins im Frühjahr 2003 , als die bis dahin herrschende sunnitische Oberschicht von der schiitischen Mehrheit verjagt wurde.
Bereits im März riefen auch Mitglieder der alawitischen Religionsgemeinschaft zum Widerstand gegen Assad auf. Damit lassen sich offensichtlich keine klaren Grenzen zwischen den Widerstandsgruppen ziehen. Teile der Alawiten bleiben dennoch besorgt, was nach einem Sturz Assads geschehen könnte:
Solange sich das Anti-Assad-Lager nicht klar der Identitätsfrage annimmt und das Existenzrecht aller Religionen (einschließlich der Christen) in Syrien, anerkennt, wird sich – von Hama und Homs abgesehen – die städtische Bevölkerung nicht dem Aufstand anschließen. Sie alle lähmt die Angst vor einer Zukunft, die aus nichts anderem als einem Bürgerkrieg besteht. Ohnehin gibt es in der Opposition bisher keine populären Figuren, mit denen sich eine Mehrheit in Syrien identifizieren könnte.
Viele Alawiten scheinen sich vor einer Instrumentalisierung ihrer Religion zu fürchten. Denn unabhängig von dem offensichtlich machtpolitisch motivierten Umgang mit ihnen existieren durchaus Ressentiments seitens anderer Glaubensgruppen, die sich auf das spärliche Wissen über die schiitische Gemeinschaft gründen und je nach Verlauf des Konflikts noch an Bedeutung gewinnen könnten.

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