Dienstag, 4. Dezember 2012

Afghanistan-Papiere: Der Charme nicht berichtenswerter Ereignisse

Die WAZ-Gruppe hat mit den sog. Afghanistan-Papieren, die von der Bundeswehr erstellten Unterrichtungen des Parlamentes von Ende 2005 bis 2012 veröffentlicht. Die Qualität ist manchmal recht bescheiden, aber ein Blick lohnt doch, allein um die Diskrepanz der Berichte zur Realität und die ungenügende Information der Bundestagsabgeordneten nachvollziehen zu können.

Die Berichte sind "VS – nur für den Dienstgebrauch“ gestempelt. Das ist die niedrigste von vier Stufen der Geheimhaltung. Dies bedeutet, es ist vollkommen klar, dass an dieser Stelle keine operativen Details oder sonstiges zu erwarten sind. Doch sind sie laut WAZ Teil der Basis, auf welcher der Verteidigungsausschuss über die deutschen Bundeswehreinsätze berät und entscheidet. Auch andere Parlamentarier, das Verteidigungsministerium und ausgewählte Bundeswehrangehörige haben einen direkten Zugang. Letztlich sollen die Parlamentarier grob über den Fortlauf der Einsätze informiert werden, mehr nicht.

Dumm nur, wenn die entscheidenden Details aber ohnehin fehlen. Zum Beispiel die Beteiligung des Kommandos Spezialkräfte, welches sich an der Terrorbekämpfungsmission Enduring Freedom beteiligte. Wie gesagt, operative Details sollten in diesen Berichten sicher nicht auftauchen. Doch das komplette Ignorieren des Einsatzes in solchen Berichten bedeutet, dass durchschnittliche Parlamentarier nicht einmal die Möglichkeit haben, den groben Rahmen eines solchen Einsatzes überhaupt abschätzen zu können. Denn standardmäßig heißt es in den Berichten:


Im Zeitraum zwischen Mitte Oktober 2005 und April 2006 werden beispielsweise ganze acht Ereignisse benannt. Die beziehen sich allesamt auf den Marine-Einsatz vor Somalia und beinhalten die Versorgung eines Frachters mit Trinkwasser, ergebnislose Kontrollen und die regelmäßig erfolgende Kommandaübergabe. Viel lieber werden Einsätze, wie die Hilfe nach dem Erdbeben in Pakistan geschildert. Denn der Briefkopf der Berichte verheißt schließlich:


Dabei wurden um diesen Zeitraum herum wohl ein Dutzend KSK-Soldaten getötet , 106 Mann im Mai des Jahres 2005 neu entsendet. Für einen robusten, offensiven und regelmäßigen Einsatz. In einem Artikel der Zeitung Neues Deutschland von 2005 heißt es:
Nach § 6 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes (ParlBetG) hat die Regierung zwar eine Unterrichtungspflicht gegenüber dem Parlament, doch wie schon bei früheren Einsätzen von Spezialkräften ignoriert sie diese Vorgaben. Selbst die Obleute der Fraktionen kennen den genauen Auftrag und den militärischen Befehl nicht. Faktisch ist damit das KSK eine Truppe der Exekutive, auf keinen Fall aber mehr Teil einer Parlamentsarmee.
Mehr als 600 Zivilisten starben von Anfang 2005 bis Mitte Juli desselben Jahres im Rahmen von Enduring Freedom. Dies wird sich Ende des Jahres kaum verändert haben, die Bemerkung "Keine berichtenswerten Ereignisse" dürfte auch schon in den Anfangsmonaten Verwendung gefunden haben.

Dass in den Unterrichtungen der Öffentlichkeit der Bundeswehr solche Erwähnungen fehlen - geschenkt. Dass diese Erkenntnisse keinen Skandal auslösen - verständlich.

Aber verdeutlichen schon diese oberflächlichen Betrachtungen, wie wenig die Exekutive eine parlamentarische Kontrolle wünscht und vor allem, wie effektiv und allgegenwärtig sie diese versucht zu vermeiden.

Die Argumentation ist dabei lang erprobt. Mag ein Detail für sich gesehen kaum der Geheimhaltung würdig sein, so können sich in der Zusammensetzung vieler solcher Details Gefahren für die eigenen Kräfte ergeben. Diese "Mosaik-Theorie" ist das Totschlag-Argument, wenn die Veröffentlichung von laufenden Einsatzdetails gefordert wird. Die damit einhergehende Verweigerung Informationen für Abgeordnete in einem maßvollen Rahmen (der wenigstens eine gewisse Kontrolle ermöglicht) bereitzustellen, sollte aber nicht toleriert werden.

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