Dienstag, 4. Dezember 2012

40.000 Tote und 400.000 Flüchtlinge in Syrien: Schwarz-Weiß-Denken verhindert keinen Bürgerkrieg

Der Konflikt in Syrien ist etwas aus den deutschen Medien verschwunden, Gaza lässt grüßen. Dabei kamen alleine am gestrigen Montag mehr als 200 Menschen bei Kämpfen und Bombardements ums Leben. Insgesamt sind bis zu diesem Zeitpunkt etwa 40.000 Menschen ums Leben gekommen, mehr als 400.000 sind aus Syrien geflüchtet

Trotzdem lassen sich natürlich die aktuellen Ereignisse bei den großen Nachrichtenseiten nachrecherchieren. Hier an dieser Stelle ein paar Verweise auf Stimmen der eigentlichen Akteure, fernab von Diskussion um Patriot-Raketen, dem Streit zwischen Russland und Türkei um das angemessene Vorgehen, oder den Drohungen der NATO.

Im Magazin VICE erschien Anfang der Woche ein Artikel mit Interviews von Kämpfern der Freien Syrischen Armee (FSA), so heterogen diese auch ist. Der Journalist Robert King war dazu in Aleppo, Homs und Damaskus unterwegs. Ein paar Auszüge:

Interview mit Hadschi Mara, Befehlshaber der größten FSA-Brigade in Aleppo

VICE: Wie geht es deinen Leuten?
Hadschi Mara: Um ehrlich zu sein, können wir mit der Armee absolut nicht mithalten. Die Armee verfügt über gut ausgerüstete Soldaten, Flugzeuge und Waffen. Wir haben nur Kalaschnikows. Ein Schuss trifft, der nächste geht daneben. Doch trotz alledem halten wir mittlerweile 60 bis 70 Prozent von Aleppo. Und dieses Opfer hat die höchste Priorität. Natürlich ist unser Hauptanliegen vor allem Gott und dann kommen die Nöte der jungen Menschen.

Interview mit Akhi Muhammad, einem übergelaufenen Offizier in der Freien Syrischen Armee aus Damaskus

VICE: Wie hast du über die Meldung des Sturzes von Führern wie Ben Ali, Husni Mubarak und Muammar al-Gaddafi seit letztem Jahr gedacht?
Akhi Muhammad: Ich war glücklich, dass Tyrannen überall auf der Welt gestürzt wurden. Ich habe mir gewünscht, dass Gaddafi vor Gericht gestellt wird, damit all seine Geheimnisse ans Licht kommen. Für mich ist es natürlich einfach, das zu sagen, aber ich verstehe, dass das libysche Volk, dessen Familien und Kinder über Jahrzehnte wegen Gaddafis Dummheit sterben mussten, anderer Meinung war als ich. Vielleicht machen wir mit Baschar das Gleiche, wenn wir ihn kriegen, vielleicht sogar mehr.
Naturgemäß eine einseitige Darstellung, (hier das gesamte Interview) aber immerhin der Versuch einen unmittelbaren Zugang zu dem Konflikt zu schaffen. 
Als Gegenstück dazu, ein Interview des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad von Anfang November, welches er dem russischen Sender RT in Damaskus gab:



Ein paar Auszüge demonstrieren, die völlig gegensätzliche Wahrnehmung Assads:
RT: There are many people who were convinced a year ago that you would not make it this far. Here again you are sitting in a newly renovated presidential palace and recording this interview. Who exactly is your enemy at this point?
BA: My enemy is terrorism and instability in Syria. This is our enemy in Syria. It is not about the people, it is not about persons. The whole issue is not about me staying or leaving. It is about the country being safe or not. So, this is the enemy we have been fighting as Syria.
[...]
RT: Do you still not believe it is a civil war because I know there are a lot who think that there are terrorist acts which everyone believes take place in Syria, and there are also a lot of sectarian-based conflicts. For example we all heard about the mother who has two sons; one son is fighting for the government forces and the other son is fighting for the rebel forces, how this is not a civil war?
BA: You have divisions, but division does not mean civil war. It is completely different. Civil wars should be based on ethnic problems or sectarian problems. Sometimes you may have ethnic or sectarian tensions but this do not make them problem. So, if you have division in the same family or in a bigger tribe or whatever or in the same city, it does not mean a civil war. This is completely different and that is normal. We should expect that.
Ergänzend noch ein Interview mit dem Exilsyrer Achmed Khamma, der sagt: "Wenn denn das gesamte Volk hinter der Revolution gestanden hätte, dann wäre es auch eine kurze Angelegenheit geworden—wie in Tunesien oder Ägypten. Doch jetzt kämpft die syrische Gesellschaft aus meiner Sicht um ihr Überleben." 

Dass die ganze Situation nicht einfach ist, demonstrieren die Äußerungen des Mitgründers von Ärzte ohne Grenzen, Jacques Bérès, der angab, dass mehr als die Hälfte der behandelten Kämpfer der FSA nicht aus Syrien stamme und an der nationalen Frage gelinde gesagt eher uninteressiert seien. Die Opposition selbst befürchtet, dass knapp zehn Prozent der Kämpfer Verbindungen zu Al-Qaida oder anderen Extremistengruppen haben könnten.

Der Wille des syrischen Volkes stellt sich offenbar nicht so deutlich dar, wie die meisten Medien suggerieren wollen. Die Berücksichtigung von Äußerungen aller Akteure legitimiert keinerlei Menschenrechtsverletzungen oder Kriegsverbrechen, lenkt aber trotzdem den Blick auf die entscheidende Frage, ob zum jetzigen Zeitpunkt nicht doch eine Verständigung eine Alternative zu einem Bürgerkrieg sein könnte. 

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