Samstag, 27. Oktober 2012

Ein Jahr nach der Befreiung: Hunderte Tote in Libyen

Regierungstruppen und regierungstreue Milizen haben etwa ein Jahr nach dem Ende des Bürgerkriegs, beziehungsweise der Absetzung Muammar al-Gaddafis, die Stadt Bani Walid erobert. Diese wurde von mutmaßlichen Gaddafianhängern gehalten und bis zuletzt verteidigt. Auch jetzt sollen die Kämpfe, wenn auch in einem geringen Ausmaß, noch andauern.



Nach unterschiedlichen Angaben starben während der vergangenen Tage weit mehr als 600 Menschen, es gab Tausende Verletzte. Human Rights Watch kritisierte das brutale Vorgehen der angreifenden Truppen als Racheakt und berichtet von Vergeltungsmaßnahmen und Plünderungen.

Angeführt werden sollen die Milizen von Kräften aus Misrata. Von dort sollen auch die Kämpfer stammen, die im Oktober 2011 den ehemaligen Machthaber al-Gaddafi stellten und exekutierten, zusammen mit mehr als sechzig anderen Personen.  




Seit etwa einem Monat dauern die Kämpfe an, bisherige Angaben zu den Opferzahlen sprachen "nur" von einigen wenigen Toten. Bewaffnete Gruppen versuchen bis zuletzt die Stadt zu halten. Auf Flüchtlinge, mittlerweile etwa die Hälfte der ansässigen Zivilbevölkerung, wurde offenbar von beiden Seiten nur wenig Rücksicht genommen.

In und um Bani Walid leben vor allem Angehörige des Stammes Warfalla, der zumeist als Gaddafigetreu eingeschätzt wird. Andererseits beteiligten sich Milizen des Stammes am Kampf gegen den Diktator im vergangenen Jahr, schon 1993 versuchte eine Gruppe der Warfalla den Machthaber zu stürzen, scheiterte aber. 


Insofern sind die Verhältnisse nicht so klar, wie oftmals kolportiert. Offen ist, ob der Kampf der vergangenen Woche vor allem durch lokale Streitigkeiten bedingt ist, oder tatsächlich die notwendige Durchsetzung der Staatsgewalt im Vordergrund steht. Offizielle von Bani Walid gaben an, dass die Bevölkerung hinter der neuen libyschen Regierung steht, Angehörige des Stammes der Warfalle aber zu Unrecht für Verbrechen, die angeblich vor oder während des Aufstandes gegen al-Gaddafi verübt wurden, in Haft säßen.

Der Umgang mit diesen Vorwürfen und der Untersuchung der mehrwöchigen Militärkampagne wird ein weiterer Test für den jungen Staat sein und zeigen, ob und in welchem Ausmaß eine demokratische Transformation und die Einbindung aller gesellschaftlichen Gruppen, unabhängig von alten Rechnungen und Streitigkeiten um Ressourcen, möglich sein wird.


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