Dienstag, 24. Juli 2012

Keiner weiß, wohin?

Frequenz und Länge der Beiträge hier sind leider stark zurückgegangen, bedingt durch eine sich hinziehende Studiumsendphase. Trotzdem soll dieses Sammelsurium zum Thema Krieg weitergeführt werden. Die folgenden Gedanken sind dabei etwas weiter entfernt von der Thematik als sonst, berühren dabei jedoch den eigentlichen Kern dieses Blogs:

Nicht zu vergessen, versuchen zu verstehen und und sich vor Augen zu halten, dass bewaffnete Auseinandersetzungen für uns zumeist bloße Nachrichtenwerte sind, wieder verschwinden und die Narben nur für die Betroffenen spür- und sichtbar bleiben.

Auch Libanon ist ein krisengeplagtes Land. Jahrzehntelanger Bürgerkrieg, die Auseinandersetzung mit Israel, fremde Einflussnahme und aktuell die Sorge, dass der entbrannte Konflikt im Nachbarland Syrien noch tiefere Spuren hinterlässt, haben das Land im Griff. Doch zugleich drängen progressive Kräfte auf Veränderung, wollen das instabile und zersplitterte Regierungssystem mit tatsächlicher Demokratie ausfüllen.

In diesem Zwiespalt inszenierte die libanesische Regisseurin Nadine Labaki den Film „Wer weiß, wohin?“, welcher schon vor einigen Monaten in den deutschen Kinos lief. Zum Filmstart erschien in der taz eine Rezension, welcher an dieser Stelle trotz der fehlenden Aktualität etwas entgegengehalten werden soll. Denn der taz-Artikel zeigt teilweise ein grundlegendes Missverständnis oder einen bias in der Berichterstattung über Krisen- und Konfliktgebiete auf, welcher bei aller noblen Absichten kaum hilfreich ist.


In einem imaginären Dorf, irgendwo im Libanon gelegen, beobachtet die Regisseurin das Miteinander von Christen und Moslems. Schon zu Beginn wird ein Blick auf die blutige Vergangenheit geworfen. Doch die Stimmung kippt erneut und es drohen alte Konflikte zwischen den Religionen wieder aufzubrechen. Letztlich sind es die Frauen, die in dieser Komödie eine Eskalation des Konflikts verhindern. Dazu Christina Nord am 22.03.2012 in der taz:

Gegen die jäh ausbrechende Aggression setzt Labakis Film eine einfältige Utopie: Die Frauen, gleich ob christlichen oder muslimischen Glaubens, nehmen am Kriegstreiben nicht nur nicht teil, sie versuchen zudem mit List und Tücke, die aufgebrachten Männer zu besänftigen.

Doch die Grundannahme, dass Frauen friedfertig, versöhnungsbereit, allen Anfechtungen fundamentalistischer Sorte abhold, kurz: die besseren Menschen seien, ist einfach zu naiv (oder zu fundamentalistisch), als dass man ihr über fast zwei Stunden folgen wollte.
Man muss diesen preisgekrönten Film nicht in jedem Fall mögen und darf sicher an manchen Stellen fehlende Tiefe bemängeln. Doch es handelt sich um eine Komödie und viel wichtiger, um einen Film, der das Befinden der Menschen im Libanon widerspiegelt.

Ein Befinden, das sich nicht aus Debatten um die Verlängerung des UNIFIL-Einsatzes speist, nicht auf Einschätzungen zur Gefahr eines Bürgerkrieges beruht, oder sich aus Studien zu politischen Konflikten zwischen den ethnischen Gruppen ergibt. Sondern aus der Betrachtung der Menschen dort.

Denn so ist diese "fundamentalistische Note", diese "einfältige Utopie" doch nur Ausdruck der Gier nach Normalität, nach Glück und einem normalen Leben. Im libanesischen Alltag ist der Konflikt tief verwurzelt, dies kommt auch in jeder Minute des Films zum Ausdruck. Die Trauer und die Narben sind jederzeit sichtbar. Die als Komödie inszenierte Reaktion der Frauen könnte auch fatalistisch gedeutet werden, als einzig bleibender Weg, soll nicht die gesamte Gesellschaft an diesen Auseinandersetzungen zerbrechen.

Insofern muss der Film sicher auch mit der Brille des Konflikts betrachtet werden, um ihn zu verstehen. Bei dieser Betrachtung kann man die fehlende Komplexität bemängeln. Doch ergibt sich daraus eine Verpflichtung sich auf diesen Konflikt zu fixieren? Eine Verpflichtung für Menschen aus Konfliktregionen sich nur ernsthaft damit auseinanderzusetzen? 

Natürlich ist dies ein Zwiespalt. Eine Komödie ersetzt keine Nachrichtensendung. Doch ermöglicht sie vielleicht hin und wieder hinter die Mauer der Auseinandersetzung zu schauen. In die Gesichter der Menschen, da diese bei der Betrachtung von politischen Optionen, internationalen Bemühungen und der Analyse von Opferzahlen zumeist unsichtbar bleiben.

Der taz-Artikel vergisst, dass die meisten Konfliktursachen auf mangelndem Verständnis für den anderen beruhen. Das Beharren auf eine jederzeit akkurate Darstellung verstellt den Blick darauf, dass selbst im längsten Konflikt Alltag existiert. Ein Alltag, der von der Utopie des Friedens befeuert wird.

Dies sollte man bei aller Beschäftigung mit dem Krieg und Konflikt nicht vergessen, sonst wird das Verstehen der Hintergründe unmöglich, egal wie hehr die Absichten sein mögen.

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