Mittwoch, 4. April 2012

"Palästina kein Staat": Internationaler Strafgerichtshof weist Antrag auf Untersuchung möglicher Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg ab

Noch vor wenigen Wochen machte der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag mit der aktiven Verfolgung von Kriegsverbrechen von sich reden. Mitte März verurteilte das Gericht den ehemaligen kongolesischen Milizenchef Thomas Lubanga. Er soll im Osten der Demokratischen Republik Kongo während des Bürgerkriegs Kinder unter 15 Jahren als Soldaten rekrutiert haben. Dies war das erste Urteil des Gerichts seit dessen Gründung 2003.

Einen anderen Fall hat der Gerichtshof nun mit einer relativ formalen Begründung abgewiesen und so einen kritischen Fall fürs Erste stillschweigend beerdigt: Die Untersuchung von Kriegsverbrechen auf dem Territorium der Palästinensischen Gebiete, vor allem im Zuge der israelischen Militäroperation Cast Lead von Dezember 2008 bis Januar 2009.

Die Palästinensische Autonomiebehörde hatte unmittelbar nach den Kämpfen Ende Januar 2009 die Legitimität des ICC anerkannt und eine Untersuchung der Angriffe gefordert. Mehr als drei Jahre vergingen, ohne dass eine formale Untersuchung vorgenommen, sondern allein die Frage nach der Rechtmäßigkeit einer solchen Forderung erörtert wurde.

Die Antwort lautet nun: Eine Untersuchung wird erst dann in Erwägung gezogen, wenn der Status der Palästinensischen Gebiete geklärt und eine Einstufung als Staat erfolgt ist. Dies muss seitens der UN, genauer in der Generalversammlung geschehen.



Mehr als 130 Staaten haben die Palästinenischen Gebiete bilateral als Staat anerkannt, bei der UN haben die Palästinenser allerdings nur Beobachterstatus. Ende September wurde ein Antrag auf Aufnahme als Staat gestellt, allerdings entscheidet nach Regel 136/137 der Geschäftsordnung der Generalversammlung der Sicherheitsrat darüber, indem er eine Empfehlung ausspricht. Die USA haben dabei ihr Veto bereits angekündigt.

Die Ablehnung mit der Begründung der fehlenden anerkannten Staatlichkeit (ohne die Berücksichtigung anderer Faktoren) macht eine Verfolgung möglicher Kriegsverbrechen also beinahe unmöglich - zumindest für eine lange Zeit. Israel lehnt die Jurisdiktion des ICC ohnehin ab.

Menschenrechtsgruppen bezeichneten die Entscheidung als "gefährlich" und befürchteten Zweifel an der Unabhängigkeit des Gremiums. Die NGO Palestinian Centre for Human Rights sprach von einem "schwarzen Tag" für die internationale Strafverfolgung. Schon 2009 beklagte Amnesty International, dass Palästinenser von der Hamas als menschliche Schutzschilde benutzt worden seien, die israelische Armee Phosphormunition eingesetzt haben soll und allgemein Zivilisten nicht ausreichend geschützt worden sein sollen.

Der Bericht kam zu dem Schluss, dass damit beide Seiten, sowohl die Machthaber in Gaza, als auch Israel, Kriegsverbrechen verübt haben. Von etwa 1.400 getöteten Palästinsern sollen weit mehr als die Hälfte nicht an den Kriegshandlungen beteiligt gewesen sein, wie ein Bericht der israelischen Menschenrechtsorganisation B'Tselem konstatiert.

Auch eine offizielle Mission der Vereinten Nation, deren Ergebnis der so genannte Goldstein-Bericht ist, kommt zu dem Schluss, dass sich Hinweise auf Verstöße gegen die Genfer Konventionen ergeben. Eine israelische Studie hält dagegen, dass der Bericht die Gefahr aus dem Gaza-Streifen massiv unterschätze und so die Reaktion des israelischen Militärs in einem falschen Licht darstelle. Tatsächlich lassen sich über die Grundlegungen des Berichts unterschiedliche Meinungen vorbringen, für den Vorwurf möglicher Kriegsverbrechen hat dies jedoch keinerlei Auswirkung.

Die Entscheidung des ICC mag nun als politisch motiviert kritisiert worden sein. Gleichzeitig lassen sich die Zweifel eben auch rechtlich begründen. Verbunden ist sie aber mit der direkten Aufforderung die angesprochene Unsichrheit zu beheben. Doch die Reaktion auf den Anerkennungsantrag ist allerorten eine auffällige Stille. Insofern ist die Enttäuschung über den ICC nachvollziehbar, denn die Erklärung der fehlenden Zuständigkeit kommt im Ergebnis der Ignorierung von möglichen Kriegsverbrechen gleich.

Als Schlussbemerkung noch eine Aussage des israelischen Botschafters in Deutschland, Emmanuel Nahshon, im Zusammenhang mit dem veröffentlichten Gedicht von Günter Grass. So berechtigt sie teilweise sein mag, so traurig und realitätsfern wirkt sie in in Bezug auf die dargestellte Entscheidung und die Wiklichkeit im Nahen Osten:

Was auch gesagt werden muss ist, dass Israel der einzige Staat auf der Welt ist, dessen Existenzrecht öffentlich angezweifelt wird. So war es schon am Tag seiner Gründung, und so ist es auch heute noch.  

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