Mittwoch, 21. März 2012

Beyond Kony 2012 - Die Kampagne läuft ins Leere

Eigentlich ist dieser Blog nicht der Platz, um eine so populäre Kampagne wie Kony 2012 zu kommentieren. Das Original-Video hat mittlerweile mehr als 80 Millionen Views auf Youtube und auch die großen Medien konnten das Werk kaum ignorieren. Zurück bleibt aber ein fahler Beigeschmack, da die Rezeption beweist, wie wenig das eigentliche Thema von Interesse ist und wie wenig virales Marketing in dieser Form daran ändern kann. 

Denn gemessen an der Aufmerksamkeit um das Projekt stellt sich doch die Frage, warum zu den eigentlichen Hintergründen so wenig geschrieben wurde. Nicht den Fragen nachgegangen wurde, für welche Gräueltaten Joseph Kony wirklich verantwortlich gemacht wird, wie der Stand der Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs ist und welches Problem die Lord´s Resistance Army (LRA) aktuell darstellt.

Stattdessen in der Berichterstattung: der Macher des Videos, Jason Russell, ist zusammengebrochen. Nichtregierungsorganisationen kritisieren die Machart, andere die Verbreitungswege, nämlich Facebook und Twitter, andere, wie der Internationale Strafgerichtshof, Amnesty International, oder Human Rights Watch loben das Video ausdrücklich. Doch die Hintergründe der eigentlichen Geschichte behalten ihren üblichen Platz im kaum wahrgenommenen Nachrichtenticker. 

Hier zeigt sich, wie wenig das Video wirklich ausrichtet. Eigentlich wäre an sich nichts dabei, Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Thema zu lenken, auch mit solchen Hochglanzvideos ohne solide Fakten. Dies kann jedoch nur einen Nutzen haben, wenn ein allgemeines Bewusstsein zu dem Thema existieren würde. Dies ist aber nicht der Fall. 

Das Video weckt den Großteil der Mediennutzer aus einem tiefen Desinteresse. Es unternimmt aber keinen Versuch dieses geweckte Interesse wirklich zu nutzen (außer Action-Kits zu bestellen) und macht sich so selbst überflüssig. So kann an dieser Stelle kein Plädoyer für den Macher und die Organisation Invisible Children unternommen werden, auch wenn auf dem Papier hehre Absichten stehen mögen. Folgendes satirisches Video mit einem Ausschnitt von Charlie Brooker in der britischen Sendung 10 o´clock live kann diese Zwiespältigkeit vielleicht besser illustrieren:


An dieser Stelle der Versuch, ein paar Fakten zu den tatsächlichen Hintergründen der LRA zusammenzutragen und so vielleicht nachhaltigeren Eindruck zu hinterlassen. Zunächst, die LRA wird in Uganda selbst nicht mehr als massives Problem wahrgenommen, wie es auch in einem ZEIT-Leserartikel vom 16.03. heißt:
Fakt ist: Kony gehört vor das internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Doch die sicherheitspolitischen Probleme Ugandas sind längst andere: die in Entebbe zu Forschungszwecken gelagerten, jedoch völlig ungesicherten Proben höchst gefährlicher Biostoffe wie Marburg- oder Ebolavirus zum Beispiel. Oder die ugandische Beteiligung an der Bekämpfung der Al-Shabaab-Milizen in Somalia, in deren Folge es auf das Land im Juli 2010 zwei tödliche Vergeltungsanschläge gab
Daneben gibt es enorme soziale Konflikte. Wie in anderen afrikanischen Ländern mit zu schnell wachsender Bevölkerung und korrupten, sich an der Macht festkrallenden Polit-Eliten wie zuletzt in Burundi oder Malawi gibt es auch in Uganda seit Musevenis viertem Wahlsieg im Februar 2011 immer wieder Zusammenstöße zwischen unzufriedenen Bevölkerungsgruppen und der Polizei.
Dies resultiert aus der einfachen Tatsache, dass Uganda kaum noch Operationsgebiet der LRA ist. Schon seit vielen Jahren nicht mehr. Am 13. Oktober 2005 klagte der Internationale Strafgerichtshof (ICC) Joseph Kony als LRA-Führer wegen Massenmordes, Vergewaltigung und Zwangsrekrutierung von Kindersoldaten an.

Doch schon damals war völlig klar, dass der Gerichtshof in Den Haag, der über keine eigenen Polizeikräfte verfügt, kaum Chancen hat Kony ohne regionale Hilfe zu fassen. Deswegen liefen erste Aktionen der ugandischen Armee, aber auch regionaler UN-Missionen an. Auch die kongolesische Armee startete eine (zum Teil auf die LRA bezogene) Offensive.

Seit den 1980er Jahren führt die LRA ihren (zunächst ethnisch motivierten) Kampf, der aber schon lange keinen ernsthaften politischen Hintergrund hat und unbestritten der Strafverfolgung bedarf. Zwischen 2000 und 2008 gab es Friedensgespräche, doch letztlich scheiterten diese. Auch das Vorgehen der UN und regionale Militäreinsätze verhinderten das Morden nicht, im Gegenteil, in deren Zuge kam es zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen.

Nachdem es zwischen 2006 und Ende 2008 ruhig geblieben war, kam es wieder zu LRA-Überfällen. Im November 2009 gab es dann vermehrt Berichte über Massaker an der Zivilbevölkerung in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR). Die Lord´s Resistance Army wich aufgrund der Militäroperationen der ugandischen Armee und Blauhelm-Truppen in die ZAR aus und verübte dort Gewalttaten an Zivilisten. So viel zur Sinnhaftigkeit der geforderten Unterstützung der ugandischen Armee.



Bei einem Vorfall drangen zum Beispiel nach Angaben von Beobachtern etwa 40 bewaffnete Kämpfer in ein Dorf ein, morderten, plünderten und nahmen Gefangene. Kurze Zeit später hieß es laut der UN, dass aufgrund der Militäraktionen nur noch etwa 100 LRA-Kämpfer im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo operierten, der Rest sei eben in die Zentralafrikanische Republik vertrieben worden, darunter auch Joseph Kony.

Gleichzeitig wurde bekannt, dass die multinationale Militäroperation mit der ugandischen Armee und der MONUC-Mission Vergeltungsaktionen der LRA in der DR Kongo mit mehr als tausend Toten seit Dezember 2008 provoziert hatte.

Mit Stöcken und Äxten vergewaltigten und töteten die LRA-Kämpfer (Quelle: HRW)

Im Dezember 2009 wurden dann detailliertere Berichte veröffentlicht, in denen es hieß, dass die LRA in den vorhergehenden zehn Monaten mehr als 1.200 Zivilisten in Hunderten von Überfällen töteten. In den folgenden Monaten wurde es stiller, bis Anfang 2010 sogar die Ankündigung der LRA verbreitet wurde, den bewaffneten "Kampf" (angeblich für eine Theokratie in Uganda) einstellen zu wollen.

Im März 2010 kam es wieder zu Angriffen in der DR Kongo. In den Berichten zu den zahlreichen Morden wurde aber schon darauf hingewiesen, dass die LRA-Rebellen danach wohl in den Sudan, genauer nach Darfur, geflüchtet seien. Dort töteten die Rebellen weiter. Ein weiteres Massaker mit mehr als 300 Toten wurde in dieser Zeit ebenfalls aufgedeckt, Schritte für ein anderes Vorgehen wurden aber nicht eingeleitet. 

Im Mai schließlich wurden mehr als 100 Morde öffentlich, Dutzende Kinder und Frauen wurden weiter entführt, wieder in der DR Kongo. Regionale UN-Truppen konnten die Gräueltaten offensichtlich nicht verhindern. Denn das Gebiet ist schwer zu kontrollieren und die UN-Truppen können nur unzureichenden Schutz bieten, genauso wie die reguläre Armee. In einem damaligen AP-Artikel hieß es zu einem Vorfall:
The young woman with the hacked-off lips and stitches where one ear used to be shakes her head when asked why rebels did this to her, then whispers that the attackers who came from across the river were angry because she kept crying for mercy and calling on God for help. 
Mitte Oktober 2011 boten die USA an, sich mit etwa 100 Soldaten an der LRA-Verfolgung zu beteiligen und U.S.-Präsident Barack Obama erklärte in einem Brief an den Kongress, dass die Soldaten vor allem als Ausbilder die Jagd nach Kony erfolgreich zu Ende bringen sollten. Die ganze Aktion basierte auf einem Gesetz vom Mai 2010 und nachdrücklicher politischer Lobby-Arbeit, fast zwei Jahre vor der Veröffentlichung von Kony 2012.

Doch militärische Unterstützung ist meistens 
keine abschließende Lösung. Vier Monate nach der Entsendung wurde in einem Bericht des Magazins Stars and Stripes deutlich, dass die Intervention, die Invisible Children nachdrücklich unterstützt, alleine kaum Erfolge zeigen wird:
On Tuesday, the Washington-based advocacy group Resolve released a report assessing the Obama administration’s efforts against the LRA. The group said the U.S. should invest more in early warning systems for civilians, apply more diplomatic pressure aimed at encouraging closer cooperation among the countries where the LRA operates and deploy helicopters to the region so African militaries can respond more rapidly to reported LRA attacks.
“Joseph Kony and senior LRA commanders remain a very real threat to peace and stability in central Africa, and have proven they can survive halfhearted efforts aimed at defeating them,” said Paul Ronan, Resolve’s director of advocacy. “While it’s a huge step forward, President Obama’s LRA strategy runs the risk of becoming another well-intentioned but ultimately unsuccessful effort, unless additional steps are taken immediately.”
Zwar gebe es Fortschritte und die Zahl der Kämpfer sei von einstmals mehr als 10.000 auf wenige Hundert zurückgegangen, doch diese Entwicklung zeigt sich schon seit mehreren Jahren. Außerdem hielt die LRA dies auch in der Vergangenheit nicht davon ab, Überfälle zu verüben. 

Warum die Kritik gegen die Kampagne Kony 2012 trotz des offensichtlichen schleppenden Prozesses gerechtfertigt ist, illustriert ebenfalls folgende Karte. Sie zeigt LRA-Angriffe zwischen Oktober 2008 und November 2009:


Quelle: HIU/OCHA

Der regionale Charakter ist überdeutlich, weswegen eine einseitige Projektion des Problems auf Uganda seit vielen Jahren keinen Sinn mehr macht. Aber vor allem wird sichtbar, dass die LRA ein Symptom des regionalen Konflikts ist. Die ZAR, Teile des Sudan, große Teile der DR Kongo sind Regionen mit einem massiven Sicherheitsvakuum und ohne regionale Sicherheitsarchitektur. 

Unabhängig wie viele UN-Soldaten oder U.S.-Ausbilder in der Region operieren, lässt sich eine Beendigung des LRA-Terrors nur langfristig mit einer Stützung der fragilen Staatlichkeit und dem Wiederaufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen in der Region erreichen. Trotz einiger militärischer Erfolge der ugandischen Armee wurden deshalb im Kampf gegen die LRA kaum Fortschritte erzielt. Das Centre for Research on Globalization schrieb zur U.S.-Mission:
While the pro-war filmmakers behind KONY 2012 naively call for the US military to assert its place in the conflict, an independent fact finding mission would be far more effective in assessing the seriousness of the LRA threat in the present day.
Ein Bewusstsein zu schaffen und Aufmerksamkeit zu erregen hat eine hohe Bedeutung, ohne Zweifel. Die Anerkennung der Komplexität des Kampfes gegen asymmetrische Akteure und die Interdependenz von regionalen Konflikten aber auch. Ohne diese wird die Anklage beim ICC noch lange rein formaler Natur bleiben und auch Facebook-Likes, Poster und Aufkleber werden daran nichts ändern. 

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