Mittwoch, 7. März 2012

70 Tote sind oft keine Meldung wert - Ereignisse aus Pakistan, Jemen und Irak als bloßes mediales Grundrauschen


Die Auslandsberichterstattung des vergangenen Wochenendes war von den Wahlen in Russland bestimmt. Von Reportagen über Webcams in den Wahllokalen, Porträts von Wladimir Putin, über die Chancen der Opposition und so weiter. Dutzende Tote im Jemen, Pakistan und dem Irak kamen nicht vor. 

Hier wird deutlich, dass die Konsumenten der Nachrichten, welche Radiowellen gleich ununterbrochen strömen, kaum mehr eine Chance haben wirklich differenzierte Informationen zu erhalten. Denn neben der reinen Menge an berichteten Ereignissen, die ungesehen über die Ticker laufen, zeigt sich eben noch ein anderes Phänomen. Die journalistische Selektion tendiert vor allem im Online-Bereich dazu, ein als wichtig identifiziertes Thema erschöpfend abzudecken. Die wichtigsten Fragen werden beantwortet, Live-Ticker suggerieren ständige höchste Ereignisdichte, ein Quiz testet das eigene Wissen und Hintergründe und Fakten sollen auch noch präsentiert werden. 


So verklumpen Nachrichten, die Berichterstattung fokussiert sich auf ein Thema. Andere Ereignisse verlieren an Aufmerksamkeit, nicht aufgrund des geringen Nachrichtenwerts, wegen fehlender Nähe, Aggression oder anderer Nachrichtenfaktoren. Sondern weil ein bestimmtes Thema übermäßige Aufmerksamkeit erfährt. Fokussierung schlägt Differenzierung.

Ein Beispiel vom vergangenen Wochenende. Die dutzenden Toten sind keine Floskel, sowohl im Jemen, Pakistan und dem Irak kam es zu verheerenden Anschlägen und massiven Kämpfen. So wurden in Pakistan am Freitag zwischen 70 und 85 Menschen getötet. 

In der Khyber-Provinz, welche zu den Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA) zählt, wurden bei einem Gefecht zwischen der pakistanischen Armee und militanten Kämpfern mindestens 33 Menschen getötet. Bei dem Angriff auf einen Checkpoint am frühen Freitagmorgen erschossen die Soldaten mindestens 23 Angreifer, sie selbst erlitten ebenfalls Verluste, zehn Soldaten wurden getötet. Verantwortlich für die Attacke war mutmaßlich die radikalislamistische Gruppe Lashkar-e-Islam.

Hbtila at en.Wikipedia

Nur kurze Zeit später und ebenfalls im Tirah-Tal wurden die Militanten selbst Ziel eines Anschlags. Bei einem Selbstmordattentat auf eine Basis der Lashkar-e-Islam wurden mindestens 23 Menschen getötet. Für den Anschlag werden die pakistanischen Taliban verantwortlich gemacht. Die Vergeltungsaktion zeigt den schärfer werdenden Konflikt der rivalisierenden Gruppen, welche im Grenzgebiet zu Afghanistan nicht nur gegen die pakistanische Armee und die Koalitionstruppen der ISAF und der Operation Enduring Freedom kämpfen, sondern auch den dortigen Handel und Schmuggel kontrollieren. 

In der benachbarten Provinz Orakzai griffen am selben Tag Kampfflugzeuge der pakistanischen Armee Verstecke militanter Kämpfer an und töteten dabei mindestens 15 Menschen. Angeblich sollen 95 Prozent des Gebietes von Militanten "gereinigt" sein, dies ist aber stark anzuzweifeln, wie auch der neuste Vorfall beweist.

Die Ereignisse verdeutlichen, dass die politischen Verhältnisse in Pakistan sich nicht beruhigen, dass die vermehrten Drohnenangriffe nichts zur notwendigen Stabilisierung der Grenzregionen beitragen können, dass die Gefahr eines gewaltsamen Umsturzes durch die Armee wächst (oder sie diesen gar nicht mehr benötigt, da sie einen selbstverständlichen Machtfaktor darstellt) und so die Atommacht Pakistan immer weniger den Anspruch ein Stabilitätsfaktor und eine Ordnungsmacht zu sein, erfüllen kann. 


Folgendes Bild  von GoogleNews zeigt, was für eine Aufmerksamkeit diese (natürlich recherchierten und berichteten) Ereignisse erfahren:


Am selben Tag geht die Berichterstattung in die Höhe, vor allem aufgrund der Meldungen der Nachrichtenagenturen. Sie laufen über den Ticker, werden online teilweise veröffentlicht, ein Tag später jedoch ist der Nachrichtenwert Null geworden. An einem Wochenende mit Wahlen in Russland und der Dominanz dieser Berichterstattung bedeutet dies auch, dass die Rezeption gegen Null geht. Die Meldung verschwindet, Hintergrundberichte werden nicht für nötig befunden und die mehr als 70 Toten gesellen sich zu den geschätzten 4.800 Menschen, die nach AFP-Angaben seit 2007 in Pakistan getötet wurden. Dabei sind mehr als 100.000 pakistanische Soldaten im Dauereinsatz, dabei ist die Khyber-Provinz eine der Hauptnachschubrouten der NATO-Truppen in Afghanistan. 

Doch ist es eben wie beim Radio. Nur eine Frequenz zum selben Zeitpunkt kann eingestellt werden, nicht immer ist das Hören bei voller Lautstärke möglich. Alles andere verschwindet ungehört im Äther oder bildet nur das Grundrauschen, welches kaum mehr wahrgenommen wird.

Im Jemen kamen am Wochenende übrigens mindestens 185 Menschen bei Anschlägen und Kämpfen ums Leben, im Irak tötete ein Attentäter am frühen Montag 27 Polizisten, insgesamt wurden dort im Februar mehr als 150 Menschen getötet, vor allem Zivilisten. 

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