Mittwoch, 9. November 2011

Aktionswoche gegen die israelische Grenzanlage im Schatten von Weltpolitik und politischer Ignoranz

Während in Israel selbst seit Tagen über einen angeblich bevorstehenden Militärschlag gegen iranische Atomanlagen debattiert wird, oder dass eine Anerkennung Palästinas im System der Vereinten Nationen verhindert werden sollte (so beispielsweise auch der Staatspräsident Shimon Peres) werden die Realitäten in den Besetzten Gebieten konsequent in der öffentlichen Diskussion, sowohl national, als auch international, gemieden.

Dabei spricht die Zusammenfassung der Übergriffe der IDF aus der vergangenen Woche (wie jede Woche) eine deutlich Sprache:

12 Palestinian resistance activists were killed and 5 others were wounded by Israeli air strikes in the Gaza Strip. / 3 Palestinian civilians, including a child, were wounded by IOF in the Gaza Strip. / Israeli war planes launched 17 air strikes against targets in the Gaza Strip. / A country house, a room and two containers were destroyed and a number of houses, shops and fields were damaged. / IOF have continued to use force against peaceful protests in the West Bank and the Gaza Strip. / Dozens of Palestinian civilians and international human rights defenders suffered from tear gas inhalation. / Israeli soldiers arrested 5 Palestinian civilians, including a child, at various checkpoints in the West Bank.

Dies als Auszug.

Anlässlich der fortdauernden Abschottung der palästinensischen Gebiete und um gegen die völkerrechtswidrige Grenzanlage zu protestieren, rufen palästinensische Aktivisten zum wiederholten Male zu einer "Week against the Apartheid Wall" auf. Das Datum ist nicht zufällig gewählt, fiel heute vor 22 Jahren doch die Berliner Mauer. Davon ist die israelische Grenzanlage weit entfernt. Im Gegenteil, immer neue Passagen werden fertiggestellt und rauben teilweise palästinensischen Bewohnern ihre Lebensgrundlage, oder schränken sie massiv in ihrer ohnehin geringen Bewegungsfreiheit ein. Was dies bedeutet, kann folgender Auszug aus einer Reportage über den Widerstand im Dorf Bil'in verdeutlichen:

Der Hustenreiz übermannt die Ersten, die sich ohne Gasmaske an die Spitze des Demonstrationszuges gewagt haben. Aus den Olivenhainen und von der Straße steigt das Tränengas auf, immer neue Kanister schwirren pfeifend durch die Luft und schlagen inmitten der Demonstranten auf. Auf der Straße brennt ein großer Traktorreifen, während aus einem Lautsprecher ein palästinensisches Widerstandslied erklingt. 

[...]

Seit 2003 trennt sie Teile des Westjordanlands von israelischem Gebiet, schneidet dabei aber tief in palästinensisches Land und orientiert sich nur teilweise an der „grünen Linie“, welche 1949 zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten festgelegt wurde. In Bil´in verloren so die Bauern 60 Prozent ihres Bodens, für viele bedeutete es der Verlust ihrer Lebensgrundlage. Als illegal stufte sie der Internationale Gerichtshof in einem Gutachten ein, selbst der israelische Gerichtshof forderte Korrekturen des Verlaufs. Nachdem 2007 aber in unmittelbarer Nähe eine israelische Siedlung genehmigt wurde, ist diese Hoffnung auch vorbei. In anderen Dörfern sind die Auswirkungen noch dramatischer. Wird die Anlage in Al-Walaja, ein kleiner Ort nahe Jerusalem, fertig gestellt, werden die Bewohner nahezu ihr gesamtes Land verlieren. Solche Beispiele gibt es zuhauf.

Nicht nur im ländlichen Teil des Westjordanlandes hat die Sperranlage massive Auswirkungen, auch in Jerusalem selbst. Der Bau der neuen Tram verdeutlicht nur, welche Realitäten Umsiedlungen und die dort verlaufende (tatsächliche) Betonmauer bereits geschaffen haben und die mit dem Streckenbau widergespiegelt (und verstärkt) werden:

Quelle: http://gulfnews.com/multimedia/graphics/interactive-judaising-of-jerusalem-1.707942

In Europa wird es Aktionen in Österreich, Belgien,  England, Griechenland, Island, Italien, den Niederlanden, Norwegen, Schottland und Spanien geben. Weltweit zum Beispiel auch in Brasilien, Kanada oder Thailand. In Deutschland fanden die Aktivisten nach eigenen Angaben keine Unterstützer.

Auch in der politischen Landschaft wird das Thema gerne vermieden. Auf eine politische Lösung und Verhandlungen wird verwiesen. Anlässlich der Freilassung Gilad Shalits hieß es aus dem Auswärtigen Amt von Minister Guido Westerwelle nur:

Die Freilassung von Gilad Shalit und der Gefangenenaustausch müssen jetzt als Chance genutzt werden, um neue Bewegung in den Nahost-Friedensprozess zu bringen. Ich begrüsse, dass die Gesandten des Nahost-Quartetts in wenigen Tagen die ersten Gespräche mit den Konfliktparteien planen.

Doch wie dies aussehen soll, bleibt unklar. Vor allem wenn israelische Kommentatoren Ende Oktober bereits schrieben:

On the Israeli side, interest in the Quartet declaration was so low that it was ignored by all the major media. And Israel again turned down an American request for a temporary freeze on settlement construction. Whatever the Quartet says or does, it appears to have lost all credibility in both Israel and Palestine.

Und auch auf palästinensischer Seite sind Skepsis und Enttäuschung einer breiten Desillusionierung und der Ansicht eines Versagens des internationalen Systems gewichen:

Sadly, it is not surprising that the nation states represented in the Quartet would play along with this sham. What is unacceptable is that the United Nations itself, the body tasked with holding nations accountable for their actions, would accept to play along. The history of the Israeli-Palestinian conflict will reveal much more than how the Holy Land was torn apart; it will also feature how the Palestinians' struggle for freedom and independence became the Achilles' heel of an international system of governance that has become broken beyond 

Die zunehmende Ausgrenzung und Zementierung der Teilung läuft zudem allen Realitäten zuwider. In einem aktuellen Arbeitspapier der Rosa-Luxemburg-Stiftung heißt es:

Rather than drawing more borders on a land that is already scarred with them, laying the ground for more ineffective and piecemeal governance, and threatening to further Balkanize the conflict; and rather than insisting on the highly unlikely disbanding of West Bank settlements, in a move that harks backwards to the post-WWII golden age of ethnic transfers, it’s time we moved the conflict forward into the age of multiculturalism, integration, and civil and human rights. Instead of further entrenching the ethnic collectivities into geographical clusters, it’s time for the inhabitants of the Israeli-Palestinian space to become a community of citizens.

Dass auch diese Überlegungen massive Probleme und Bedenken mit sich bringen, ist nur natürlich. Auf israelischer Seite werden vor allem Sicherheitsaspekte und Fragen nach der dann noch möglichen Existenz eines jüdischen Staates diskutiert, auf palästinensischer Seite werden Diskriminierung, fehlende Rückkehrrechte und eine Zwei-Klassen-Gesellschaft befürchtet. Doch der Druck im Nahost-Konflikt steigt weiter, auch wenn dies seit Jahrzehnten konstatiert wird. Aber die politischen (auch ausgelöst durch die Umwälzungen in der arabischen Welt und die innerisraelischen Proteste und Demonstrationen) und demographischen Realitäten unterliegen einer Dynamik, welche auch Mauern nicht aufhalten können.


Nicht nur in den palästinensischen Gebieten, sondern auch in anderen Teilen der Welt sollen Steine und Stacheldraht Verständigung und Kompromisse ersetzen. Dazu ein kurzes Video der Deutschen Welle vom August diesen Jahres:
 


Auch der SPIEGEL widmete den Grenzanlagen in aller Welt eine Reportageseite, auf der es heißt:

Eines haben alle Mauern gemeinsam: Sie haben zwei Seiten. Während die Regierungen illegale Flüchtlinge, Drogenschmuggler und Menschenhändler abschrecken wollen, ist der Stacheldraht das - manchmal tödlich - verriegelte Tor in ein neues Leben. Im Heiligen Land hat Israel ein "Anti-Terror-Bollwerk" hochgezogen - für die Palästinenser ist der Sperrzaun purer Landraub.

Jede dieser Sperranlagen ist ein Monument - für das Versagen von Politik. Wenn Konfliktparteien am Verhandlungstisch keinen Frieden finden, bauen sie eine Mauer. Wenn Flüchtlingsströme nicht mehr zu kontrollieren sind, Migration das Maß überschreitet, die eine Nation zulassen will, dann errichtet sie einen Zaun. Ein solches Bollwerk zu bauen, ist das Signal, dass man sich mit dem Status quo einrichten will, dass man ihn unter allen Umständen bewahren will.

Die palästinensischen Aktivisten wollen im Westjordanland die ganze Woche auf die herrschende Ungerechtigkeit und den nachgewiesenermaßen illegalen Verlauf mit Demonstrationen aufmerksam machen. 

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