Samstag, 2. Juli 2011

Der Libanon ringt um seine politische Zukunft


Die Welt blickt auf den einflussreichen Nachbarn, während der Libanon um seine politische Zukunft ringt. So lässt sich umreißen, wie komplex und weitreichend die Auswirkungen der Umwälzungen in der arabischen Welt sind. Syrien wankt seit Wochen und dies spürt der von außen dominierte Libanon deutlich. Denn während in Syrien die Lage unübersichtlich und angespannt bleibt, hat sich im Libanon eine neue Regierung gebildet, die den großen Nachbarn im Blick hat. Gleichzeitig schafft die Gewalt in Syrien auch gewisse Freiräume im zähen politischen System des Libanon. Zudem steht die Regierung vor großen Herausforderungen im Inneren.

Seit Ende 2010, als Najib Mikati den damaligen Ministerpräsidenten Saad Hariri und seine Regierung zu Fall brachte, gab es kaum politische Bewegung. Das Tribunal zur Aufarbeitung des Mordes an Ex-Premierminister Rafiq Hariri und dessen Schlussfolgerungen, welche heute dem UN-Tribunal übergeben wurden und bis zur Verhaftung der Mörder geheim bleiben sollen, haben schon Ende des vergangenen Jahres Mitglieder der Hizbullah nervös gemacht. Nun formte Mikati eine neue, relativ breit gefasste Regierung, dominiert von Hizbullah und des christlichen Bündnisses.

Dies ist aber nichts Neues, die Konstruktion des libanesischen Systems, sowohl was politische Ausgestaltung, als auch den Einfluss nichtparlamentarischer Gruppen angeht, lässt kaum etwas anderes zu. Von einer Allparteienkoalition oder gar einer Regierung der nationalen Einheit kann aber keine Rede sein.

Der Einfluss Syriens und der dortigen Ereignisse auf den Libanon lassen sich aktuell nur zurückhaltend bewerten. Fakt ist: Die syrische Regierung hat keineswegs ihren Einfluss verloren. Doch ob nicht Überlegungen zur ungewissen Zukunft der amtierenden syrischen Regierung auch im Libanon bei Politikern für Gesprächsstoff sorgen, ist keineswegs ausgemacht. Israel und andere westliche Beobachter sehen aber kaum Anzeichen für politische Neuerungen. Der israelische Historiker Eyal Zisser schreibt in einem Beitrag für das palästinensisch-israelische Politikmagazin bitterlemon.org:
On the other hand, what we are witnessing in Lebanon is clearly a transition period that will probably continue until the picture in Damascus becomes clear, since the real story is unfolding there and not in Beirut. What happens in Syria will determine whether the establishment of the Mikati government does indeed signify a return to the days of Pax Syriana in Lebanon or whether Syria is weakened to such an extent that it loses control over what happens in Lebanon. 
So in many ways, the Syrian intifada led to the endless delays in the process of forming a new government in Lebanon. However, ultimately, it also brought about a resolution of the imbroglio and the establishment of the new government. This is because the Syrian regime, finding itself with its back to the wall and fighting for its very existence, came to the conclusion that it must secure its western border and establish a government on which it can rely if and when there is trouble. So Syria finally exerted its influence and helped resolve the quarrels that had been preventing the establishment of the Mikati government.

Die Sichtweise dieser Stoßrichtung ist klar. Syrien muss die schwindenden Verbündeten halten bzw. auf Linie bringen. Dazu ist massiver politischer Einfluss notwendig. Auch Befürchtungen über ein Eindringen des Iran in ein mögliches Machtvakuum werden hier laut.

Doch übersieht diese Position eins: Die vollständige Lähmung des politischen Systems schafft eine viel gefährlichere Atmosphäre und ist viel anfälliger für den Gebrauch von Gewalt. Unabhängig wie stark die syrische Regierung ihren Einfluss erneut geltend macht, längere Monate der Regierungslosigkeit sind Gift für den Libanon. Insofern muss in solch einer Diskussion auch über die Frage nach einem Sozialisations- und Stabilierungsprozess der politischen Akteure durch die neue Regierungsbildung nachgedacht (und darauf gehofft) werden. Franklin Lamb schreibt in einer Erwiderung auf Zisser:
The new pro-Hizballah majority is very keen on putting the tribunal and the Hariri assassination behind it so it can concentrate on presenting its political, social and economic programs. Much work has been done by Hizballah to prepare a domestic program that it is confident can fundamentally improve the lives of the vast majority of the Lebanese population by ending government corruption, improving the agricultural sector, reviving the economy of the Bekaa Valley and providing services for all Lebanese citizens--wherever they live or to whichever sect or political group they belong.

Politische Notwendigkeiten und Regierungsverantwortung können so als Transformationsriemen wirken. Zu optimistisch sollten sich Beobachter dennoch nicht geben, denn der Außendruck durch Syrien und die Tribunal-Ergebnisse wird hoch bleiben. Und auch scheinbar untergeordnete, aber in Wahrheit die mit entscheidenden Fragen, lassen kaum positive Antworten zu: Der Aufbau einer Zivilgesellschaft, Stärkung von Graswurzelbewegungen und soziale Anliegen können sich in einer solchen Atmosphäre kaum entwickeln. Eine Vertiefung demokratischer Grundsätze und eine Weiterentwicklung des politischen Systems bleiben so in weiter Ferne. Der französische Politikwissenschaftler Karim Emile Bitar stellt in diesem Zusammenhang fest:
As for Lebanon's independents and civil society activists, they're not pinning any hopes on the new government. They were shocked by the conspicuous absence of women, which they perceived as an expression of disdain. Women's rights activists heard the message loud and clear. It was as if Lebanon's entire political class was telling them: "We don't care, we're not even trying. Don't bother us with silly issues; we have bigger fish to fry. Get on with the program or get lost."
This government is one of the few post-Taif governments that is not a national unity government. Counter-intuitively, this is not necessarily a bad thing; rather than being consensus-builders, past national unity governments were promoters of paralysis, preventing accountability and the transfer of power. On the other hand, one could argue that, more than ever, the present circumstances beg for unity.

Dazu lohnt sich auch der kurze Artikel von Joseph Bahout, der auch die Ebene des sunnitisch-schiitischen Verhältnisses anspricht und am Ende mit den Fragen schließt:
All this leads to the crucial question looming today in Lebanon in light of the Syrian quagmire. If the Syrian regime gets weaker, will Hizballah gradually become more flexible in terms of Lebanonization and civilianization? Or, on the contrary, will it increasingly pursue a radical position and bitterly defend its share of the Lebanese system while echoing Tehran's dictum that Assad's rule in Syria is a red line?

Die allgemein festgestellte Geräuschlosigkeit der Konstituierung sollte nicht überraschen. Regierungsbildungen erregen nun einmal weniger Aufsehen, als Aufkündigungen von Koalitionen, Rücktritte oder Parlamentsauflösungen. Ob diese "Ruhe" auch ein hoffnungsvolles Zeichen ist und der Libanon einen eigenen Weg in den Wirren des arabischen Frühlings, der gerade zum Sommer der arabischen Unruhen wird, finden kann, bleibt abzuwarten.


Zwei aktuelle Kurzzusammenfassungen von euronews:



Ausführlicher dazu auch eine Diskussion auf PressTV vom 24.06.2011: Teil 1 / Teil 2

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