Dienstag, 5. Juli 2011

Keine Lösung für Nagorny Karabach - Verhandlungen zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Konfliktregion gescheitert


Nagorny Karabach, oder Bergkarabach, wie die Region zwischen Armenien und Aserbaidschan auch genannt wird, taucht auf kaum einer Friedensagenda auf. Dabei verläuft dort eine heiße Grenze, 2010 starben hier 30 Menschen bei Schusswechseln. Armenien ist dem Gebiet in den 90er Jahren auch militärisch beigesprungen, als Aserbaidschan gewaltsam jedwede Autonomiebestrebungen unterdrückte.

Bereits 1923 erklärte die sowjetische Staatsmacht die Region zum autonomen Gebiet innerhalb der Aserbaidschanischen Sowjetrepublik. Die zumeist armenischen Bewohner offenbarten schnell autonome Bestrebungen. Aus dem unterdrückten Konflikt wurde nach dem Fall der Sowjetunion 1991 ein Krieg, 1993 forderten die Vereinten Nationen mit vier Resolutionen ein Ende der Kämpfe. Nicht nur Aserbaidschan engagierte sich militärisch, sondern auch Armenien. Beim Waffenstillstand 1994 stützte Armenien dann die international nicht anerkannte “Republik Nagorny Karabach”. Sie wird heute faktisch von Armenien kontrolliert.


Gerhard Lechner von der Wiener Zeitung schildert die explosive Ausgangslage in seinem Artikel vom 24.06.2011 so:
Es klang nicht gerade beruhigend, was der Sprecher des Verteidigungsministeriums von Aserbaidschan da Anfang Juni von sich gab: Ein neuer Krieg mit Armenien um die strittige Kaukasusregion Berg-Karabach, die Armenien besetzt hält, sei "unvermeidlich". Auf kurz oder lang werde die Armee "die besetzten Gebiete vom Feind befreien". Und er betonte: "Der Feind muss das wissen." Die aserbaidschanischen Streitkräfte würden "deutlich" jene Armeniens übertreffen.
Das Muskelspiel hat seine Gründe: Im Gegensatz zum bitterarmen Armenien, das in der Region ohne wirklichen Freund dasteht und nur über wenig Ressourcen verfügt, konnte es sich Aserbaidschan leisten, seine reichlich sprudelnden Petrodollars in die Armee zu investieren. Was Baku allein für Rüstung ausgibt, macht in Armenien bereits den gesamten Staatshaushalt aus. Die Armenien-Frage vermag es in Baku, sogar die autoritäre Staatsführung und die unterdrückte Opposition zu einen. Kein Wunder, dass man in Eriwan einem neuen Waffengang mit bangen Ahnungen entgegenblickt.
Erneuter Vermittlungsversuch gescheitert

Nun gab es erstmal seit März einen erneuten Vermittlungsversuch von Russland. In Kasan wurden Ende Juni alle Konfliktparteien an einen Tisch gebracht. Doch schon vor den Verhandlungen wurde deutlich, wie schwierig sich die Verhandlungen gestalten würden. Serzh Sargsyan, armenischer Präsident sagte in einem Interview unmittelbar vor der Vermittlungsrunde:
Optimismus ist eine gute Sache, doch ich ziehe ich es vor konstruktiv zu handeln. Ich habe keine großen Erwartungen. Sie erwähnten Zugeständnisse, doch wir sind gegen einseitige Versprechen. Wir wollen, dass beide Seiten Zugeständnisse machen. Angesichts der aktuellen Lage, müssen wir einem Staat, Menschen entgegenkommen, die nur darauf warten einen Grund zu haben, um auf uns zu schießen.
Entweder Aserbaidschan erklärt laut und deutlich, dass es gegen mindestens einen der Grundsätze des Vertrags ist; oder die internationale Gemeinschaft erklärt, dass sie das Recht auf Selbstbestimmung nicht anerkennt. Sollte das der Fall sein, dann werden die Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte zunichte gemacht. Denn wenn das Recht auf Selbstbestimmung nicht gewährt wird, wie kann es dann sein, dass rund zehn neue Staaten genau so entstanden sind? Wie kann es dann sein, dass dem Kosovo dieses Recht gewährt wurde? 
Letztendlich scheiterten die Verhandlungen. Die beiden Staaten konnten sich nicht auf den von Präsident Sargsyan angesprochenen Grundsatzvertrag einigen. Armenien beschuldigte dann auch Aserbaidschan mit zu vielen Änderungswünschen die Gespräche zum Scheitern gebracht zu haben. Dazu auch ein Bericht von euronews:



Zur Lage in der Region auch eine aktuelle Reportage auf Welt Online vom 24.06.2011:
Es scheint, als hätte sich die aserbaidschanische Armee hier für die Ewigkeit eingerichtet. Am Ende des Schützengrabens steht eine kleine Truppenunterkunft. Ein stabiler Betonbau mit einem spärlich eingerichteten Bettenzimmer. Hier im Westen Aserbaidschans trennen die Soldaten nur etwa 200 Meter von den Linien der gegnerischen armenischen Separatisten.
Ganz nahe an der Frontlinie stehen Häuserruinen. Die einst hier ansässigen Aserbaidschaner leben jetzt in Flüchtlingssiedlungen, ihre Heimat ist von armenischen Separatisten besetzt. An der Realität im Schützengraben ändert auch dieser weitere Vermittlungsversuch vorerst nichts. Bestimmten Schrittes gehen die jungen Soldaten durch den etwa zwei Meter tiefen Graben. Durch einen kleinen Schlitz in einem Schützenstand sieht man das besetzte Land gegenüber. 
Flucht und Vertreibung auf beiden Seiten

Die Reportage gibt allerdings nur die Sicht der - auch durchaus existenten - aserbaidschanischen Vertriebenen wider, welche nun in Aserbaidschan in Flüchtlingslagern leben müssen. Gleichzeitig vernachlässigt diese Darstellung die Bevölkerungsstrukturen. Denn die Armenier und anderen Bevölkerungsgruppen stellten schon vor der Eingliederung in die Sowjetunion die Mehrheit. Zudem gab es bei Ausbruch des Konflikts auf beiden Seiten Fluchtbewegungen, auch Armenier, die in Aserbaidschan lebten, mussten fliehen. 


Die Frage nach der Entwicklung des Konflikts ist so unvermeidlich, wie offen. In einer kurzen Analyse des Onlinemagazins The European Circle vom 04. Juli wird diese so beantwortet:
Mehrere Faktoren stehen einer nachhaltigen Konfliktbeilegung entgegen: Zum einen ist Russland am Status quo oder aber an einer sehr langsamen Konflikttransformation, die überdies unter vorwiegend russischer Schirmherrschaft verlaufen soll, interessiert. Zum anderen mangelt es bei den Konfliktakteuren Armenien, Aserbaidschan und Berg-Karabach am politischen Willen zum Kompromiss und am gegenseitigen Vertrauen. In der entscheidenden Frage nach dem Status von Berg-Karabach steht man inhaltlich dort, wo man zu Kriegsbeginn 1991/92 auch schon stand. Zum Dritten wird innerhalb der EU die Karabach-Frage nicht als Priorität wahrgenommen, sodass in Wahrheit weder eine konkrete Zieldefinition noch ein akkordiertes Prozedere zur Zielerreichung existiert.
Gleichzeitig gehen die russischen Vermittlungsversuche aber unvermindert weiter. Vor allem die bisher erzielten Fortschritte, bei der Wahrung des Waffenstillstandes, zusätzliche sicherheits- und vertrauensschaffende Maßnahmen sowie um die Zusammenarbeit bei der Untersuchung von Zwischenfällen, sollen als Grundlage für eine weitere Annäherung dienen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow hatte sich am Montag in Moskau mit seinem aserbaidschanischen Amtskollegen Elmar Mamedjarow getroffen, der ihm eine Antwort des aserbaidschanischen Präsidenten auf die Vermittlungsvorschläge Russlands zur Bergkarabach-Regelung überbrachte. Auch Armenien will sich in den kommenden Tagen erneut äußern. 


Eindrücke aus dem Land, zwanzig Jahre nach dem Krieg, geben diese Bilder des Photographen Timo Vogt auf seiner Seite .randbild. Der Stream trägt den Titel: Shushi - The twentieth spring.

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