Montag, 5. Juli 2010

Spirale der Gewalt dreht sich in Mexiko unaufhörlich weiter - Schwelle von 4.000 Toten in 2010 überschritten


Die Gefahr wächst, dass in Mexiko zahlreiche Orte zu Geisterstädten werden. Denn die kleinen Städte im Norden des Landes im Grenzgebiet zu den USA, sind der Schauplatz des Krieges um Drogen, derer die mexikanischen Sicherheitskräfte nicht einmal annähernd Herr werden. Vergangene Woche starben nahe der 10.000 Einwohnerstadt Altar 21 Menschen bei Schusswechseln auf der Straße. Sechs Menschen wurden dabei verletzt.


In diesem Jahr erwarten die Behörden, dass die Morde der Drogenkartelle und die Antworten der Armee mehr Opfer fordern wird, als Altar Einwohner hat. Bisher wurden in diesem Jahr mehr als 4.000 Menschen getötet. Die meisten Menschen trauen sich kaum noch auf die Straße, die meisten Journalisten meiden das Gebiet. Nicht weit entfernt liegt Arizona, die USA, das Zielland der Drogen. Und von Menschen, denn auch illegale Einwanderer nutzen ähnliche Passagen wie die Drogenschmuggler. Dabei kommen sie sich auch in die Quere, was die Reise für die Grenzgänger noch gefährlicher macht. Einen Eindruck vom Leben der Menschen inmitten der Gewalt vermittelt diese kurze Reportage von france24 vom 8. Juni 2010:



Die FAZ schrieb Mitte Juni über die Aussichtslosigkeit des Kampfes:

Am 14. Dezember 2009 hat Javier seine Tochter letztmals gesehen. Die zwanzig Jahre alte Alejandra verließ damals die Wohnung in Guadalupe, einem Vorort der nordmexikanischen Millionenstadt Monterrey, ohne zu sagen, wohin sie gehe. „Sie war ein freiheitsliebendes Mädchen, immer auf Achse“, sagt Javier. Am folgenden Tag rief sie von einer Ranch in der Nähe des Städtchens Fresnillo aus eine Freundin an und erzählte dieser angsterfüllt von einer Schießerei. Erst am 27. März wurde das Auto, in dem Alejandra mit zwei Freundinnen unterwegs war, in der Nähe der Stadt Monclova leer gefunden. Danach verliert sich jede Spur.

Alejandra ist eines jener Opfer, die in keiner Statistik des „Drogenkriegs“ auftauchen. Den Behörden und Medien fällt es schon schwer genug, eine einigermaßen genaue Zahl der Toten anzugeben. Die Schätzungen darüber, wie viele Menschen seit Dezember 2006, als der neugewählte Präsident Felipe Calderón den Drogenkartellen den „Krieg“ erklärte, gewaltsam das Leben verloren haben, schwanken zwischen 18.000 und 22.000. Noch am Montag wurden bei Kämpfen rivalisierender Gangs in einem Gefängnis im Nordwesten Mexikos mindestens 28 Häftlinge getötet, von denen die meisten der Drogenbande der „Zetas“ angehört haben sollen, die gegen das mächtige Sinaloa-Kartell kämpft.

Ländliche und ärmliche Gliedstaaten wie Sinaloa, Durango, Sonora oder Chihuahua sind seit Jahrzehnten Hochburgen des Drogenhandels. Dort genießt er auch den größten sozialen Rückhalt. Wer sich in diese pittoresken, aber kargen Gegenden begibt, versteht, warum das so ist. Unabhängige Bürger trifft man dort nur wenige, dafür umso mehr arme Campesinos, die als letztes die Hand beißen, die sie ernährt und Schulen, Straßen oder Fußballfelder baut. Der historisch abwesende Staat hat seine Präsenz in der Provinz unter Präsident Calderón verstärkt. Doch werden Armee und Bundespolizei meist als Eindringlinge, nicht als Garanten des Rechtsstaates wahrgenommen.

Auch die Unregierbarkeit von Juárez, der Stadt mit der angeblich weltweit höchsten Mordrate, lässt sich leicht nachvollziehen. Die Grenze ist einen Steinwurf entfernt. Ein Kilogramm Kokain kostet nach Regierungsangaben diesseits des Rio Grande 12.500 und jenseits 97.400 Dollar. Entsprechend umkämpft ist die Kontrolle der Grenzübergänge. In den vergangenen Jahrzehnten sind in der exportorientierten Fertigung Hunderttausende Billigarbeitsplätze geschaffen worden. Das rapide Wachstum hat aus Juárez aber eine geisterhafte Stadt gemacht, die zusammenhangslos aus Fabrikgeländen, Einkaufszentren und Wohnsiedlungen besteht. Der endlose Migrationsstrom aus dem Süden, der die einen in Juárez anschwemmt und die anderen auf die nördliche Seite der Grenze treibt, hat Massen, aber keine Gesellschaft hervorgebracht.

Kurz danach erlebte Mexiko die blutigste Woche seit mehr als drei Jahren. Mehr als 300 Menschen wurden innerhalb von sieben Tagen ermordet.

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