Samstag, 5. Juni 2010

17.000 Menschen in den vergangenen zwei Monaten vor den Kämpfen in Mogadischu geflohen


Die anhaltenden Kämpfe in Somalias Hauptstadt generieren weiter Tausende von Flüchtlingen. Allein in den vergangenen zwei Monaten sind in Mogadischu etwa 17.000 Menschen geflohen. Tausende haben die Stadt komplett verlassen, viele suchen Zuflucht in ruhigeren Vierteln. Dort können sie aber weder ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten, noch haben sie oftmals Zugang zu lebenswichtiger Versorgung. Ihnen bleibt dann nichts anderes übrig, als in zerbombten Ruinen Zuflucht zu suchen. 

Auch gestern starben wieder Dutzende Menschen. Regierungstruppen und Milizen der Al-Shabab lieferten sich heftige Kämpfe, bei denen mindestens 28 Menschen getötet wurden. Die Soldaten der Übergangsregierung kündigten an, die eroberten Viertel halten zu wollen. Dies gelang ihnen bisher bei kaum einer der zahlreichen Offensiven. Trotzdem sprachen Verantwortliche von einem großen Erfolg der Aktion. Auch an anderen Orten des Landes werden vermehrt Kämpfe erwartet. Mindestens 500 Regierungssoldaten wurden im Nachbarland Äthiopien ausgebildet und sollen nun in den Krieg eingreifen. Aus Angst vor der Offensive haben schon viele Bewohner in den Grenzregionen ihre Häuser verlassen. Bereits Mitte der Woche gab es auch in zahlreichen anderen Regionen schwere Kämpfe zwischen Rebellen, regierungstreuen Milizen und der Armee.

Ein eindrückliches Beispiel eines Flüchtlingsschicksals schildert Marc Engelhardt in der taz vom 03. Juni 2010:

Die SMS erreicht meine Kollegin mitten in der Nacht. "Wenn du aufwachst, denk bitte darüber nach, wie du mein Leben retten kannst. Ich kann nicht mehr. Ruf humanitäre Hilfe." Der Verfasser des verzweifelten Notrufs ist ein somalischer Informant, der uns beide in der Vergangenheit mit Geschichten aus Eastleigh, Nairobis somalischem Viertel, versorgt hat. 

Die letzte Story allerdings hat noch vor uns eine kenianische Zeitung veröffentlicht, zusammen mit einem Porträt des 15-jährigen Betroffenen und einer recht genauen Beschreibung seines Unterschlupfs. Assad Abdi, ein Jugendlicher, der vor Monaten aus einem Trainingscamp der islamistischen Shabaab-Miliz geflohen ist, wurde so nur Stunden nach Erscheinen des Berichts von Shabaab-Milizen entführt. 

Assad Abdi lebt ein Leben voller Schrecken. Aufgewachsen ist er mitten in Mogadischu, Somalias regierungsloser und zertrümmerter Hauptstadt. Im vergangenen Oktober betraten sein Bruder und er das elterliche Heim, gerade als eine Granate mitten ins Wohnzimmer einschlug. Sein Vater und seine Mutter wurden von der Wucht der Detonation in Stücke gerissen. Wo sein Bruder geblieben ist, weiß Assad nicht. Als er im blutgetränkten Wohnzimmer seiner Eltern stand, sah er ihn zum letzten Mal. Ein Onkel, selbst Shabaab-Kämpfer, nahm ihn auf. Nach vier Tagen weckte er Assad mit den Worten: "Du gehst ab heute zur Schule." 

Dass der Campus in Dayniile am Stadtrand von Mogadischu keine normale Schule beherbergte, war Assad vom ersten Moment an klar. "Die Lehrer hatten Tarnanzüge an. Morgens haben sie uns vor Sonnenaufgang mit Tritten geweckt und zum Frühgebet gezwungen - dann mussten wir exerzieren, laufen, mit Waffen schießen." Abends wurde der Fernseher angeschaltet. "Wir mussten Videos sehen, die waren schrecklich: Sie zeigten, wie Menschen grausam hingerichtet wurden oder wie man Bomben baut."  


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