Die Explosion einer Landmine hat gestern in Indien mindestens 35 Menschen das Leben gekostet. Der Sprengsatz detonierte im Staat Chhattisgarh unter einem Bus. 55 Menschen hätten sich zum Zeitpunkt der Explosion in dem Fahrzeug aufgehalten, das durch die Wucht der Bombe sechs Meter in die Luft geschleudert wurde. Die meisten Opfer der Maoisten-IED sollen Zivilisten sein, auch wenn sich mehrere Polizisten in dem Bus aufgehalten haben sollen. Anfang April wurden bei einem ähnlichen Anschlag mehr als 75 Polizisten getötet.
Die Sicherheitsvorkehrungen in der Region wurden massiv verstärkt, die Bewohner, aber auch die Sicherheitskräfte sind massiv eingeschüchtert. Die Maoisten haben Straßen blockiert und kontrollieren diese. Zur Lage am Anschlagsort ein Bericht des indischen NDTV:
Indische Offizielle überlegen nun schon, die Luftwaffe gegen die Naxaliten einzusetzen. Dies wurde bisher aber zurückgewiesen und scheint auch keine aussichtsreiche Option gegen die gut vernetzten, getarnten und beweglichen Kämpfer zu sein. Trotzdem wird von allen Seiten eine neue Taktik im Kampf gegen die Maoisten gefordert.Auch der lokale Regierungschef Raman Singh kündigte an, die "Strategie zu überdenken". Dazu ein Bericht der indischen Agentur ANI:
Nicht nur der Anschlag forderte in den vergangenen zwei Tagen viele Opfer. In Orissa töteten am Sonntag Maoisten einen Polizisten auf einem belebten Markt, um die lokalen Polizisten einzuschüchtern. Am Samstag schnitten die militanten Kämpfer sechs Menschen die Kehle durch, nachdem sie ein Maoisten-Tribunal für schuldig befunden hatte, der Polizei Informationen zukommen zu lassen. Ein weiterer mutmaßlicher Informant wurde bei einem anderen Vorfall hingerichtet. Währenddessen kritisierten Offizielle der kommunistischen Partei mehrere Menschenrechtsgruppen zu viel Verständnis für die Kämpfer aufzubringen. So würden sie vor allem das brutale Vorgehen der Polizei, der Armee und der paramilitärischen Gruppen kritisieren. In der vergangenen Woche waren fünf Parteiangehörige von Maoisten getötet worden. Georg Blume schreibt in einer Reportage in der ZEIT vom 28.04.2010:
Chintalnar liegt auf einer freigeschlagenen Anhöhe. Es besteht aus einem stark befestigten Lager der paramilitärischen Zentralen Reservepolizei (CRPF) und den Ziegelhütten von 30 indischen Familien aus dem Bundesstaat Bihar, die hier vor 30 Jahren herzogen, um Handel mit den Ureinwohnern zu treiben. Nachdem die Maoisten vor Kurzem die halbe Campbesatzung töteten, flog eine Elitetruppe der CRPF, ein sogenanntes Kobra-Kommando, per Hubschrauber ein. Die Kobras sind speziell für den Guerillakampf gegen die Maoisten ausgebildet. Der Kommando-Chef trägt einen Trainingsanzug. Er stellt sich mit den Initialen seines Vornamens vor: SK. »Wir befinden uns in der Höhle des Löwen, im Mittelpunkt seines befreiten Gebietes, am Nabel der Maoisten«, sagt er. SK zollt dem Gegner Respekt. Die Landminenverlegung am Kampfort sei hochprofessionell gewesen. Und doch: »Es war ein Massaker. Wir werden zurückschlagen. Wir werden unsere Verfassung und die Menschenrechte verteidigen.«
Die Kobras sind auch ideologisch auf den Guerilla-Krieg vorbereitet. SK und seine Leute sprechen von den Lügen der Maoisten, die den Ureinwohnern vormachen würden, dass sie ihre Wälder gegen große Bergbaufirmen verteidigten. »Unsinn«, sagt ein Kobra, »das nächste Bergbaugebiet ist 60 Kilometer entfernt.« Doch es scheint, als hätten die Maoisten das Gespräch hinter den riesigen Stacheldrahtmauern des Lagers mitgehört. Denn am nächsten Morgen macht die Frau der Händlerfamilie, bei der der Reporter übernachtet, eine Entdeckung. Sie weckt den Reporter und führt ihn hinter ihre Hütte an den Rand des Dschungels. Dort liegen im Sand, sorgfältig mit Steinen beschwert, Plakate. Sie sind »mit revolutionären Grüßen« vom »Divisions-Komitee Dandakaranya« der CPI – maoistisch gezeichnet. Jedes Plakat erhebt vier Forderungen. Ganz oben steht auf einem Plakat: »Wehre dich gegen die Militäroperationen der Zentralregierung, die dazu dienen, Wasser, Wälder, Land und Bodenschätze der Dandakaranya-Region zu plündern.« Es ist der gleiche, alte Disput: nicht nur die Maoisten, auch viele indische Bürgerrechtler werfen den Regierungen von Zentralstaat und Bundesstaaten vor, Bergbaurechte ohne Rücksicht auf die Ureinwohner der betroffenen Wälder an große Firmen vergeben zu haben. Das sei in vielen der heute umkämpften Gebieten der Fall. Tatsächlich finden sich in den von der Guerilla am stärksten infiltrierten Bundesstaaten Chhattisgarh, Jharkhand und Orissa auch die größten Rohstoffvorkommen ganz Indiens: Kohle, Eisenerz und Bauxit. Betroffen ist auch der große Dandakaranya-Dschungel, allerdings nicht in der Gegend rund um Chintalnar. In der »Höhle des Löwen« ist die Natur noch völlig unberührt. Unweit jener letzten Straßenkontrolle der Polizei liegt ein großer Tümpel, in dem sich die Wasserbüffel der Ureinwohner abkühlen.
Doch eine einfache Sichtweise des Konflikts existiert nicht. Weder sind die Maoisten unschuldige Robin Hoods, die nur von den Reichen nehmen, noch alle staatlichen Bemühungen grausam und illegitim. Doch die staatliche Willkür der schlecht ausgebildeten und schlecht bezahlten Einheiten ist eine Tatsache, die den Maoisten trotz aller Gewalt Unterstützung beschert. Zudem sind die meisten politischen Forderungen, auch von gemäßigten Kommunisten kaum berücksichtigt worden. In einem taz-Bericht vom 22.04.2010 über eine indische Bloggerin, die über den gewaltsamen Konflikt berichtet, der von den großen Medien sehr einseitig dargestellt wird, heißt es:
Bald erfuhr Borpulari auch von den Gründen für das unkontrollierte Verhalten der Polizei. Sie sprach mit erfahrenen Beamten, genauso wie mit jungen Milizen im Dschungel. Alle hatten Angst. Außer in ihren stark befestigten und mit schweren Militärgerät bewaffneten Lagern waren die Polizeitruppen nirgendwo sicher vor der maoistischen Guerilla. Deren Kämpfer aber beherrschten das Terrain, kannten den Wald und seine Bewohner besser als die Polizei und konnten überall in einem Hinterhalt lauern.
Inzwischen schreibt Borpulari auf ihren Blog auch von den Ängsten der indischen Polizisten im Dschungel. Nach ihrer ersten Reise im Dezember hatte sie nur von den Qualen der Ureinwohnern berichtet – und den Polizisten als Tätern. Aber all das ist derzeit in Indien so aktuell nur bei ihr zu lesen. Obwohl erst Anfang April 76 Polizisten in einer Falle der Maoisten starben, das Thema tagelang die Schlagzeilen beherrschte, beschränkten sich die großen Medien wieder einmal nur auf Terroristenbeschimpfung und patriotische Trauer
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