Montag, 31. Mai 2010

Gewalt in türkischen Kurdengebieten kostet mindestens 12 Menschen das Leben


Die Gewalt im Südosten der Türkei, in der die Bevölkerungsgruppe der Kurden in weiten Teilen die Mehrheit stellt, hat in den vergangenen Tagen weiter zugenommen. Bereits am Wochenende wurden bei zwei Gefechten mindestens fünf Menschen getötet. Kurdische Rebellen griffen dabei Checkpoints von Armee und Paramilitär an. Heute griffen die Anhänger des militanten Arms der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) ein Fahrzeug bei einer Armeebasis in der Hafenstadt Iskenderun an. Dabei töteten sie mindestens sieben Soldaten und verwundeten genauso viele.

Die Angriffe folgen einem mehrtägigen massiven Bombardement der türkischen Armee auf Stellungen der Kurden im Norden des Irak. Mehr als 50 Ziele nahmen Kampfflugzeuge dabei ins Visier. Dabei sollen mindestens 19 Menschen getötet worden sein. Ende des vergangenen Jahres hatten sich die Beziehungen zwischen Regierung und Kurden stark verschlechtert, als eine große Partei verboten wurde und der im Sommer eingeleitete Friedensprozess ins Stocken geraten war. Die kurdischen Rebellen waren zunächst vom politischen Flügel zurückgedrängt worden, seit dem faktischen Scheitern der Friedensbemühungen haben aber die gewaltbereiten Rebellen wieder an Einfluss gewonnen. Eine etwas ältere, aber sehr eindrucksvolle Reportage zum Konflikt von 2006 liefert Channel 4:

Der Konflikt passt nicht ins Bild der neuen Türkei. Das Land wähnt sich als kommende regionale Ordnungsmacht, will den Vermittler zwischen der europäisch-amerikanischen Achse und der arabischen Welt geben. Die Türkei hat ein großes Selbstbewusstsein, trotz dem weit entfernten EU-Beitritt. Doch der Konflikt mit den Kurde, der seit mehr als 25 Jahren die Stabilität im Südosten des Landes gefährdet, wird nicht so offensiv gehandhabt. Zur neuen Rolle der Türkei schreibt die ZEIT am 20. Mai 2010:
An Selbstbewusstsein fehlt’s der türkischen Führung und der religiös-konservativen Regierungspartei AKP nicht. Den Stolz verkörpert niemand besser als der lächelnde Multitasker Ahmet Davutoglu. Der Außenminister ist nicht nur ein Macher, er liebt es, über die Rolle der Türkei »strategisch« nachzudenken. Das klingt dann so: »Die Türkei hat eine einmalige Lage in der Mitte zwischen den riesigen Landmassen von Afrika, Europa und Asien.« Das große Land sei ein zentraler Staat, der »viele Identitäten vereine« und in vielen Regionen gleichzeitig manövrieren könne. »So erweitern wir unseren Einfluss.« Sagt Davutoglu. Die neue Selbstsicherheit wird prunkvoll auf internationalen Konferenzen in Istanbul inszeniert. Die Türken laden die muslimische Welt in ihre osmanischen Paläste am Bosporus, sie bringen Araber und Iraner mit Israelis und Amerikanern zusammen. Afrikatage und Asiengipfel finden hier statt, in der Kulturhauptstadt Europas 2010.

Die Beliebtheit in der Region hat der Türkei neue Durchschlagskraft verliehen. Statt Armeeoperationen und Drohungen exportiert das Land heute »soft power«, wie Außenminister Davutoglu gern sagt. Die Türken stoßen dabei in Lücken, die andere hinterlassen. Die Amerikaner, weil sie noch die Hypotheken der Bush-Kriege abarbeiten. Die Europäer, weil aus Merkels Israel-Solidarität und Sarkozys Orient-Expeditionen keine klare Nahostpolitik entstehen will. Die Saudis und Ägypter, die ihre Führungsrollen unter den Arabern nicht ausfüllen. Was macht die Türkei daraus? Im Wesentlichen dreierlei: vermitteln, verbeißen, verkaufen. In den vergangenen Jahren sind türkische Diplomaten auf vermintem nahöstlichem Gelände oft weiter gekommen als westliche Vermittler, zumal aus den USA.
Regelmäßige Gefechte, Luftschläge, tote Soldaten und Zivilisten passen da nicht ins Bild. Doch die oberen Berichte zeigen, dass die Türkei diese nicht einfach wegschweigen kann, auch wenn sie es versucht.

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