Samstag, 30. Januar 2010

Afghanistan nach der London-Konferenz: Es gibt nur eine Strategie, die zu Erfolgen führen kann


Guido Westerwelle geht mit seinem Plan hausieren, als ob er die ultimative Lösung gefunden hätte, um den Afghanistan-Konflikt zu befrieden. Ein Aussteigerprogramm für Taliban. Doch wie sieht die restliche Welt diese Pläne, die auch von US-Präsident Obama und dem britischen Außenminister Miliband unterstützt werden? Voraussetzung sei zwar strenge Kontrolle und klare Auflagen, doch wie dieses Monitoring aussehen soll kann niemand sagen. 

Verantwortliche berufen sich bei ihrem Optimismus gegenüber dem Programm auf folgende Argumente:

- nur fünf Prozent der Taliban seien "hard-core militants", sagt zum Beispiel der US-Sonderbeauftragte für Afghanistan und Pakistan Richard Holbrooke

- hartnäckig halten sich Berichte, dass die Taliban schon kurz vor einer Abspaltung mit Al-Qaida seien

- der afghanische Journalist Ahmed Rashid legt ausführlich (und durchaus kenntnisreich) seine Meinung über Bedingungen für eine Einigung mit den Taliban dar, unter anderem führt er als Argument an, dass die Kämpfer sich auf dem Höhepunkt ihrer Macht befänden und diese zementieren und legalisieren wollten.

Doch bleiben unabhängig von dem Wahrheitsgehalt folgende Fakten bestehen: die Taliban dringen auf einen Abzug aller ausländischen Truppen. Vorher seien keine Verhandlungen möglich. Gegen diese Forderung, verbunden mit dem Versprechen dafür bis zum Äußersten zu kämpfen, wirken Versprechen auf ein paar tausend Dollar doch eher mager. Dazu ein zusammenfassender Bericht vom Freitag:


Das ZDF sendete diese Woche eine aktuelle Reportage eines Reporters, der zehn Tage eine Gruppe von Taliban begleitete. Auch wenn in der interessanten Dokumentation "Zu Gast bei Feinden" ein Fehlschlag der Taliban zu sehen ist und manche Aktionen eine gewisse Komik haben sollte man sich vor Augen halten, was die Bilder implizit aussagen: die Kämpfer bewegen sich völlig frei und sind kaum eingeschränkt durch die internationalen Truppen. Sie sind gut vernetzt, sowohl im Land selbst, als auch mit ausländischen Gruppen, z.B. aus Pakistan. Und die Darstellung, dass die meisten nur ökonomische Gründe für ihren Kampf haben, lässt sich einfach nicht halten.

Helmut Schmidt hat dazu (wie immer) eine klare Meinung, die er ausführlich in der ZEIT darlegt. Unter anderem schreibt er:
Inzwischen zeichnet sich aber eine Tragödie im klassisch-griechischen Sinne ab. Denn die Zahl der transkontinental aktiven terroristischen Dschihadisten hat sehr zugenommen und nimmt weiter zu.

Afghanistan ist weder ein funktionstüchtiger Staat (es ist noch niemals ein dauerhaft funktionstüchtiger Staat gewesen) noch eine Nation. Es handelt sich vielmehr um eine Vielzahl von Völkern und Stämmen. Deshalb bleibt auch pro futuro ein voll funktionsfähiger Staat sehr unwahrscheinlich.

Es erscheint mir als zweckmäßig, nachdem Obama den Beginn des Abzugs für Sommer und Herbst 2011 angekündigt hat, dass die deutsche Regierung ebenfalls erklärt, im Jahre 2011 mit dem Abzug der deutschen Truppen zu beginnen. 

Der Schwerpunkt der Aufgaben deutscher Soldaten und Beamten in Afghanistan sollte weiterhin bei der Ausbildung afghanischer Polizei und Armee und beim zivilen Aufbau liegen. Man muss aber wissen, dass dies nicht sonderlich erfolgreich sein wird. Wo es keinen funktionierenden Staat gibt, dort bleibt eine funktionierende Polizei bestenfalls regional beschränkt. Idealistische Illusionen führen später zu Enttäuschung und zu Ratlosigkeit.

Das Verhältnis des Westens zum Islam insgesamt ist durch eine grundsätzliche Animosität und Überheblichkeit des Westens gekennzeichnet. Dabei summieren sich seit Jahrhunderten Verhaltensfehler des Westens und die gegenwärtige demografische Explosion in vielen islamischen Staaten – bei anhaltender Armut und beständiger ökonomischer Drittrangigkeit.
Er entschuldigt seinen Pessismismus, aber es müsse ja die Wahrheit gesagt werden. Bei manchen Punkten ist dem Ex-Kanzler ohne große Diskussion zuzustimmen (Verhältnis Islam-Westen, Bedeutung ziviler Aufbau), doch bei der Frage, ob ein funktionierender Staat in Afghanistan möglich ist, scheint eine so klare Verneinung nicht angebracht. Militärische Interventionen schaffen keinen dauerhaften Frieden, Milliarden, die in korrupten Strukturen versickern keinen Wohlstand und Wahlen, die nur auf dem Papier rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechen keine Freiheit. Doch wurden diese Punkte bisher - und werden es wohl auch in Zukunft - kaum ernsthaft behandelt. Karzai wird nicht hinterfragt, wirtschaftlicher Austausch auf Augenhöhe nicht angestrebt. Lieber ein Scheitern, denn wenn die Soldaten irgendwann wieder draußen sind, dann wird es kein Problem sein Afghanistan schnell wieder zu vergessen. Doch rein aus der Geschichte und der Struktur des Landes und der Gesellschaft lässt sich der Kulturpessimismus Schmidts im 21. Jahrhundert nicht halten. Entwicklung auszuschließen unter Rückgriff auf historische Erfahrungen verneint jeglichen Fortschritt, jedes Voranschreiten kommender Generationen. Und seine Empfehlung zivilen Wiederaufbau zu betreiben, wo doch das Scheitern desselben ohnehin feststehe ist nicht zynisch, sondern bloß kindisch.

Nochmals zu dem Aussteigerprogramm: Wenn man grundsätzlich über religiösen Fundamentalismus und Ursachen von Terrorismus spricht, darf die wirtschaftliche Ungleichheit auf keinen Fall unberücksichtigt bleiben. Doch in diesem konkreten Fall darf man sie nicht überbewerten und glauben, dass 500 Millionen Dollar ausreichen, um Taliban-Kämpfer herauszukaufen, während das restliche Land weiter in der Armut verharrt, so dass die Taliban die Unterstützung der Bevölkerung leicht gewinnen können und sich die Militanten ohnehin auf der Siegerstraße wähnen. Und auch sie registrieren die zunehmende Schwierigkeit der Staaten ihren Bevölkerungen den Einsatz zu erklären. Laut Zahlen von gestern glauben nur noch 18 Prozent der Deutschen an einen Erfolg in Afghanistan (wobei kritisch angemerkt werden kann, dass "Erfolg" nicht in einer Frage erscheinen sollte, wenn nicht  klar definiert ist, was das eigentlich heißt und nicht einmal die Verantwortlichen in Politik und Militär wissen, was ein Erfolg wäre).

Dazu auch der Journalist Nir Rosen in einem "Democracy Now"-Interview, der  2008 eine Taliban-Gruppe besuchte und dies in einem anschaulichen Bericht für den Rollingstone unter dem Titel "How we lost the war we won" beschrieb:


Hoffnung macht ein Interview mit dem verdrängten Oppositionspolitiker Abdullah Abdullah, der im November auf eine Stichwahl mit Hamid Karzai verzichtete. Darin wird deutlich, was Afghanistan wirklich nachhaltig stabiliseren könnte: weniger Korruption und die Aussicht auf eine selbstbestimmte Regierung. Abdullah gilt als skandalfrei, auch wenn seine Vergangenheit in der Nord-Allianz nicht glorifiziert werden sollte und er lange Teil der korrupten Regierung war. Am Freitag sagte er in der NZZ:
Was ist vom [politischen] Prozess übriggeblieben?

Ich glaube immer noch, dass das afghanische Volk keine Rückkehr der Taliban an die Spitze der Regierung will. Die Afghanen wollen ein friedliches Leben, ein moderates islamisches Land und das demokratische Recht, diejenigen Leute zu wählen, die für ihre Rechte kämpfen werden.

Das wurde durch die Wahl im letzten Frühjahr verletzt.

Ja, und deshalb sind alle diese Dinge heute obsolet. Für die Menschen liegt heute die einzige Chance auf ein solches Leben in der Unterstützung des demokratischen Prozesses und den demokratischen Institutionen.

Es ist nun aber so, dass Karzai und seine Regierung gewählt sind, wie auch immer diese Wahl durchgeführt wurde und diese Regierung vom Westen unterstützt wird. Was ist hier die Alternative? Können Sie erreichen, dass es in zwei Jahren Neuwahlen gibt?
Ich sehe die einzige Möglichkeit in Parlamentswahlen. Wenn diese in einer fairen Umgebung stattfinden, dann haben wir wirklich eine Wahl. Ausgenommen ist natürlich, dass etwas wirklich dramatisches passieren würde und wir drastische Massnahmen ergreifen müssten um das System zu ändern. Das ist aber hypothetisch.

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