Donnerstag, 5. November 2009

Korruption: Wird der Kampf um die Stabilität Afghanistans in Kabul entschieden, oder in den bergigen Rückzugsgebieten der Taliban?

IEDs, Selbstmordanschläge, Angriffe auf Dörfer und Militärposten - wer sich die Mühe macht die Meldungen der Nachrichtenagenturen zu verfolgen (die es zumeist nicht in die Zeitung schaffen) scheint einen ganz guten Überblick zu bekommen über den Kriegsverlauf am Hindukusch.

Doch der Ausgang der sog. "Wahlen" hat gezeigt, dass eine andere große Geißel das Land im Würgegriff hält. Korruption ist weit verbreitet und zusammen mit Geldern aus der Entwicklungshilfe und Drogen-Dollars ergibt sich daraus ein Gemisch, welches das Land auf Jahre vergiften könnte. Der Kampf gegen Korruption in Europa zeigt, dass selbst in hoch entwickelten Ländern solche Muster nur schwer auszurotten sind.
Ein Bericht der New York Times ist an (berechtigtem) Zynismus kaum mehr zu überbieten:
Want to be a provincial police chief? It will cost you $100,000.

Want to drive a convoy of trucks loaded with fuel across the country? Be prepared to pay $6,000 per truck, so the police will not tip off the Taliban.

Need to settle a lawsuit over the ownership of your house? About $25,000, depending on the judge.

“It is very shameful, but probably I will pay the bribe,” Mohammed Naim, a young English teacher, said as he stood in front of the Secondary Courthouse in Kabul. His brother had been arrested a week before, and the police were demanding $4,000 for his release. “Everything is possible in this country now. Everything.”
Ein afghanischer Mitarbeiter der Deutschen Welle beschreibt die Lage so:
Nun sind Korruption  und Vetternwirtschaft in Afghanistan kein neues Phänomen. Sie haben zur Zeit jedoch ein solches Maß erreicht, dass die sozio-ökonomische Ungerechtigkeit forciert wird. Das führt in der öffentlichen Verwaltung zu hohen materiellen Verlusten und zum Vertrauensverlust in der Bevölkerung.
Die Korruption hat aber auch vielfach direkt mit der Armut zu tun. Viele kleine Beamte verdienen sehr wenig Geld und sind auf  Nebenverdienste angewiesen.
Man kann die Aufzählung von dem New York Times-Artikel von oben noch fortsetzen. Zwischen 100.000 und 400.000 US-Dollar kostet der Posten eines Sicherheitschefs in einer Drogenprovinz, wo wiederum eine Menge an Bestechungsgeld zu erwarten ist...

Auch wenn die Methodik (beim CPI v.a. Selbsteinschätzungen) und  die Arbeitsweise von Transparency International und dessen Länderindizes durchaus kritisch betrachtet werden sollten, das Ranking spricht eine deutliche Sprache: Afghanistan ist das fünftkorrupteste Land der Erde.



Auch die afghanische Kultur ist davon betroffen, wie die Gesellschaft für bedrohte Völker schreibt:
Durch die auf allen Ebenen der öffentlichen Verwaltung grassierende Korruption werde der Raub und Schmuggel von Kulturgütern angeheizt. So seien allein in der im Westen Afghanistans gelegenen Stadt Herat seit 2004 mehr als 100 Exponate aus staatlichen Museen verschwunden.
 In einem UNODC-Bericht heißt es:
Corruption has multiple and severe adverse effects on Afghanistan. In addition to the direct financial costs of corruption (higher costs of contracts and public services, loss of public funds due to theft or misuse of government facilities and assets) there are substantial costs related to time devoted to corrupt practices as well as, especially in the case of the security sector, the human costs (e.g. of threats, intimidation, victimization by security forces). Widespread corruption deters and distorts private investment. Perhaps most important, are the adverse implications of corruption, and popular perceptions of widespread corruption, for the effective functioning, credibility, and legitimacy of the state.
Ein Bericht der Organisation "Integrity Watch Afghanistan" wird noch deutlicher: Jeder Haushalt in Afghanistan zahlt jährlich rund 100 US-Dollar Schmiergelder, obwohl 70 Prozent der Familien von weniger als einem US-Dollar am Tag leben. Da muss man kein Mathegenie sein, um zu erkennen, dass so vielfach die wirtschaftliche Not für jede erdenkliche Einkommensquelle empfänglich macht. Seien es Gelder aus dem Opiumanbau, der in manchen Regionen die einzige Möglichkeit ist im Winter das Einkommen zu sichern. Seien es Belohnungen für Hinweise von Taliban-Kämpfern, oder manche zwingt es zum letzten Schritt, wenn sich Männer  direkt in den Dienst der militanten Kämpfer stellen.

Es gibt keine Mehrheit für die Taliban im Land, aber: sie werden als deutlich weniger korrupt wahrgenommen! Auch Entscheidungen über Besitz, oder Eheverhältnisse werden von ihnen "auf dem kleinen Dienstweg" mit Deckung eines Gewaltmonopols getroffen, ohne dass sich die Menschen im Dschungel der Bürokratie verlieren. Das ist kein Plädoyer für willkürliche Dorfgerichte, die eine dogmatische Religionsauslegung zur Rechtsgrundlage machen. Aber es ist doch ein weiterer Hinweis, wie sehr ein demokratisch, stabiler Staat in die Ferne rückt durch die korrupten Strukturen auf allen Ebenen. 


Dies führt auch dazu, dass Geberländer oft internationale Vertragspartner und Firmen vorziehen. Eine Studie zeigt, dass 60 Prozent der Gelder nicht an lokale Firmen gezahlt werden. Dies schwächt die lokale Wirtschaft weiter und die Armutsbekämpfung verliert eine wichtige Stütze. Zivilgesellschaftliche Strukturen können sich nicht ausbreiten und die Korruptionsbekämpfung wird geschwächt. Die Spirale dreht sich. ODA heißt "Official Development Assistance". Schön, dass Deutschland sich hier einen Spitzenplatz erkämpft hat:

 

Das Gesamtvolumen beträgt für den Zeitraum (2005) der Studie im Jahr 2007 etwa 1,6 Milliarden Dollar. Interessant wird es nun hier:



D.h. hier zeigt sich einerseits klar, dass Korruption eine Rolle spielt und treuhänderische Investitionsformen, z.B. über NGOs deutlich effektiver sind, als lokale Direktinvestitionen, aber selbst diese eben mehr Einfluss haben für die lokale Wirtschaft, als Verträge mit internationalen Firmen. Denn da bleiben meist nur die mickrigen Löhne für die Arbeiter im Land. Hmm, Raum für Strategieoptimierung beim neuen Außenminister könnte man meinen. Ausführlicher gibt es dies zusammen mit Fazit in der Studie, unter dem oberem Link.  Aber nicht nur Afghanen sind Teil des Problems, im Gegenteil:
Betrug, Missmanagement und Pfusch sind aber auch unter den internationalen Akteuren zu finden. Die Schnellstrasse zwischen Kabul und Kandahar, ein Vorzeigeprojekt, ist bereits nach zwei Jahren wieder reparaturbedürftig. Sie wurde mit der billigsten aller möglichen Teer-Mischungen gebaut. Hier wie bei anderen Bauvorhaben wurden große Teile der Gelder durch US-Beraterfirmen zweckentfremdet als Gehälter für Spitzenpersonal und Komfortwohnen.
Und um wieder mit einem Zitat aus dem NYT-Artikel zu schließen:
“Every man in the government is his own king,” said Abdul Ghafar, a truck driver.


Hier noch eine kurze, seriöse Doku in zwei Teilen zum Thema:






Ressourcen

Eine aktuelle Studie von 2009 zum Stand der Korruptionsbekämpfung liefert USAID. Dazu auch ein Interview mit dem ehemaligen afghanischen Planungsminister und die Roadmap der UNODC (United Nations Office in Drugs and Crime). Sowie ein aktuelles Feature des Magazins "Foreign Policy".


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