Donnerstag, 5. Oktober 2017

Syrische Nationalelf: Die Illusion von Staatlichkeit

Die syrische Nationalelf hat in den vergangenen vier Wochen Schlagzeilen gemacht. Anlass war ein ein 2:2 Unentscheiden gegen den Iran, das die Tür zur WM-Qualifikation öffnete. Heute um 14:30 Uhr gegen Australien könnte das Team einen weiteren Schritt hin zu einer Teilnahme an der Weltmeisteraft 2018 (die zynischerweise in Russland stattfinden wird) machen. Für das Regime in Syrien wäre das ein großer Triumph und würde von den Verbrechen und Zerstörungen im Land ablenken.

Carsten Kühntopp vom ARD-Studio Kairo beschäftigt sich mit den Hintergründen und schreibt: "Doch viele syrische Fans, die der Opposition nahestehen, tun sich schwer mit dem Feiern. Denn Assad nutzt die Nationalelf für Propaganda, aus dem "Team Syrien" ist ein "Team Assad" geworden: Auch vor der Presse im Ausland singen Verbandsfunktionäre ungefragt Hohelieder auf den Diktator, Spieler treten in T-Shirts mit Assads Konterfei auf, müssen bei Solidaritätsdemos mitmarschieren."

Nun werfen zahlreiche Kommentatoren des Artikels bei tagesschau.de dem Autoren vor, Propaganda zu betreiben. Es sei auffällig, wie negativ die Berichte über das syrische Regime seien. Eigentlich sei es ja doch nur billiges GEZ-Russland-Bashing. Natürlich, wenn jemand schreibt "Und die Deutsche Mannschaft spielt im Auftrag der Diktatorin Merkel. Ich hoffe die Redaktion merkt etwas", kann man sich einfach an den Kopf fassen und alles Folgende gleich wieder vergessen. Vor allem weil diese Einwände rein ideologisch geprägt und mit der Propaganda-Keule versehen sind. 

Doch mittlerweile ist der Krieg in Syrien so selbstverständlich geworden, dass er kaum mehr hinterfragt oder die Ursachen oder Optionen für eine Waffenruhe thematisiert werden. Währenddessen schaffen die Akteure, die sich militärisch engagieren, Fakten. 

Natürlich ist heute klar, dass alle Hoffnung, die man vor Jahren (auch die EU) in den jungen Bashar al-Assad setzte, verfehlt war. Und auch damals schon ignorierte man Menschenrechtsverletzungen und Repression. Doch trotz aller Klarheit über die Verbrechen des Assad-Regimes: Ob es wirklich eine gute Strategie (in Sachen Konfliktlösung und Opferminimierung) war, diverse und heterogene bewaffnete Gruppen zu unterstützen, darf man bezweifeln. Auch die Tatsache, dass es eben doch noch zahlreiche Assad-Anhänger (sei es aus Angst vor Rache der sunnitischen Mehrheit, oder aus Überzeugung) gibt, sollte man nicht beiseite schieben. 

Nichts ist in Syrien klar, oder wie es der Journalist Daniel Gerlach ausdrückte: "Es gibt also nicht nur eine Konfusion der Mächte, sondern auch eine Konfusion der Weltbilder." Nun hat man es mit einem Stellvertreterkonflikt zu tun, der regionale und geostrategische Interessen mit der ursprünglichen Revolte und dem Kampf terroristischer Gruppen "vermengt".

Die Entscheidung mit Assad zu verhandeln, wäre eine Bankrotterklärung der internationalen Gemeinschaft. Gleichzeitig sind schmutzige und moralisch nicht zu rechtfertigende Entscheidungen wie selbstverständlich Teil der internationalen Politik. Das sollte man nicht hinnehmen und es gibt keinen Grund für ein "Weiter so!" Doch im Falle Syriens wird es eine saubere Lösung nicht mehr geben. Nur noch eine, die möglichst wenig Menschen das Leben kostet. Über die Zukunft des Regimes kann man sich dann immer noch Gedanken machen. Denn eines sollte man nicht vergessen - auch wenn die Nationalelf etwas anderes suggeriert: Syrien als Staat gibt es nicht mehr.

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