Die sozialen Medien sind nach Ansicht vieler Beobachterinnen und Beobachter ein wichtiges Schlachtfeld im Kampf von und gegen Extremisten. Über die genauen Zusammenhänge und Wirkungen kann man streiten, nicht aber über den Bedeutungszuwachs.
Nazis vs. ISIS - was klingt wie die Fortsetzung von Iron Sky oder Alien vs. Predator, ist Gegenstand einer Studie der George Washington University über Extremismus auf Twitter. Der vollständige Titel lautet dann auch: Nazis vs. ISIS on Twitter - A Comparative Study of White Nationalist and ISIS Online Social Media Networks.
Die Studie vom September 2016 (aktuelle Erkenntnisse stützen die Ergebnisse) kommt zum Schluss, dass Akteure der white nationalist-Bewegung innerhalb von fünf Jahren etwa 22.000 Follower gewinnen konnten. Das entspricht einer Zunahme um etwa 600 Prozent seit 2012. Neben der Rezeption von Nachrichten und der Vernetzung untereinander, entstanden auch sog. organized trolling communities, die versuchen mit massiver Präsenz und polemischer, plakativer oder hetzender Wortwahl Meinungen zu beeinflussen, bzw. die öffentliche Debatte zu prägen.
Vergleicht man die Accounts von white nationalists und denen, die mit ISIS sympathisieren oder aktiv unterstützen, so zeigt sich, dass in nahezu allen Kategorien (Followerzahl, Reichweite,...) rechtsextremistische Meinungen eine höhere Sichtbarkeit haben. Dies liegt aber nicht nur an unterschiedlichen Unterstützerzahlen oder Unterscheiden beim Nutzerverhalten, sondern auch an der Tatsache, dass Twitter (aber auch Facebook u.a.) konsequenter gegen ISIS-Propaganda als gegen andere Hate Speech vorgehen. Zudem ließe sich natürlich auch der Untersuchungsgegenstand über ISIS hinaus auf andere radikalislamistische Inhalte erweitern (auch wenn ISIS hier dennoch stark dominiert), was die Zahl ebenfalls erhöhen würde.
Über was wird "diskutiert"?
Das populärste Thema der Rechtsextremisten ist das Konzept des "white genocide". Dieser wird zum Beispiel in Südafrika immer wieder heraufbeschworen, in jüngerer Vergangenheit wurde die Netflix-Serie Dear White People dazu auserkoren als angebliches Beispiel zur Verherrlichung des "weißen Genozids" zu dienen, u.a. eben auch auf Twitter. Hier wird tagtäglich die Bedrohung der weißen Rasse in hunderten Tweets propagiert.
Politisch gesehen besteht laut der Studie eine recht enge Verbindung zur Agenda Donald Trumps. Zumindest legen die Hashtags nahe, dass die Aussagen des damaligen Präsidentschaftskandidaten die beste Mischung aus Reichweitenerzielung und inhaltlichen Überzeugungen funktionierte.
Beachten muss man bei allen extremistischen Gruppen, dass zumeist eine kleine, aber hochaktive Zahl von Personen die Debatten prägt. Werden einzelne Tweets von Medien aufgegriffen und über die "klassischen" Kanäle verbreitet, erhöht dies dann die Reichweite. Insofern scheint eine Folgerung aus der Studie zu sein, dass extremistische Strömungen und Aktionen durchaus Gegenstand der Medienberichterstattung sein sollten, die Fokussierung auf einzelne Personen und das bloße Einbinden von Tweets aber eher nicht zu einer sachlichen Auseinandersetzung führen, sondern einzelnen Extremisten bzw. Accounts schlicht zu mehr Popularität verhelfen.
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Ein großer Unterschied ist sicherlich, dass ISIS von potentiellen Unterstützern als sehr viel geheimnisvoller und verschlossener wahrgenommen wird, was deren Anziehungskraft in bestimmten Kreisen noch erhöht. Während deren Netzwerke auch Propaganda und talking points verbreiten, geht es den Accounts aus diesem Spektrum laut der Studie jedoch vor allem darum Akteure zu vernetzen und eine (virtuelle) Gemeinschaft entstehen zu lassen(mit einem positiven Erscheinungsbild und potentiellen Ansprechpartnern). White nationalists dagegen gehen neben der Verbreitung der eigenen Weltsicht vor allem der Tätigkeit des Trollens nach, zetteln Shitstorms an und versuchen eine angebliche Meinungsübermacht im Bereich des eigentlich Unsagbaren (zum Beispiel wegen angeblicher political correctness) zu demonstrieren.
Desweiteren hat ISIS meist den news cycle auf seiner Seite. Fast täglich gibt es Meldungen, die im Zusammenhang mit dem Islamischen Staat oder anderen radikalislamistischen Gruppen stehen. Dies liefert einfache Anknüpfungspunkte zur "Medienarbeit". Rechtsextremisten scheinen eher die eigene Weltsicht (und deren historischen Wurzeln) immer wieder aufs Neue zu verbreiten. Allerdings kann sich dies - wie Charlottesville gezeigt hat - schnell ändern. Solche Ereignisse begünstigen die Rekrutierung und die Planung von Aktionen. Auch die Fragmentierung, die laut Studie im rechten Spektrum stark ausgeprägt ist, kann so verringert werden (die Demonstration in Charlottesville wurde ja auch unter dem "Motto" Unite the Right angemeldet). Dennoch bleiben natürlich die Ziele und die Aufforderungen aktiv zu werden unschärfer als bei der Propaganda von ISIS.
Neben technischen Anstrengungen seitens der Plattformbetreiber, die durchaus kritisch zu sehen sind, wird Extremisten durch die Eigenheiten virtueller Debattenkultur das Leben scheinbar zunehmend schwerer gemacht. Sei es, dass Gegenmeinungen trotz fehlender sachlicher Auseinandersetzung öffentlich vertreten werden, oder schlicht andere Trolle die Diskussionen sprengen. Neu war nach Charlottesville auch, dass Aktivisten soziale Medien dazu nutzten Teilnehmerinnen und Teilnehmer "an den virtuellen Pranger" zu stellen. Am besten funktioniert aber offenbar sich extremistischen Meinungen in der Realität entgegenzustellen:
Festzuhalten bleibt, dass rechtsextreme Stimmen in sozialen Medien (nicht nur in den USA) an Bedeutung gewonnen haben und deren Wachtumsdynamik die von ISIS mittlerweile übertrifft. Dies hat wie oben aufgeführt mehrere Gründe, neben technischen Sperren u.ä. von islamistischen Inhalten, sicherlich auch der bewusste Drahtseilakt zwischen Äußerungen, die unter die Meinungsfreiheit fallen und solchen, die rechtlich nicht mehr zulässig sind.
Einig im Hass
Trotz aller Unterschiede, man fragt sich, woher der Hass und das Sendungsbewusstsein dieser Menschen kommen. Bei der Suche nach Ursachen sollte man sehr vorsichtig sein, schließlich sind die Ausgangsbedingungen von radikalislamistischem und Rechtsterrorismus in vielerlei Hinsicht sehr unterschiedlich. Doch ein Faktor bei der Frage nach den Ursachen von Gewalt ist Angst. Angst vor Marginalisierung, Abstieg oder der Hilflosigkeit nicht mehr Subjekt, sondern bloßes Objekt zu sein.
Die Nobelpreisträgerin von 1993, Tony Morrisson schrieb dazu Ende des vergangenen Jahres in ihrem Artikel "Making America White Again" im New Yorker: "These people are not so much angry as terrified, with the kind of terror that makes knees tremble."
Nazis vs. ISIS - was klingt wie die Fortsetzung von Iron Sky oder Alien vs. Predator, ist Gegenstand einer Studie der George Washington University über Extremismus auf Twitter. Der vollständige Titel lautet dann auch: Nazis vs. ISIS on Twitter - A Comparative Study of White Nationalist and ISIS Online Social Media Networks.
Ein Faktor, der soziale Medien für Extremisten interessant macht, ist die Möglichkeit der Vernetzung. So kann nicht nur die eigene Botschaft öffentlich verbreitet, sondern die eigene Weltanschauung gestärkt und mobilisiert werden. Die Grafik zeigt die Vernetzung unter 4.000 bekannten Twitteraccounts von white nationalists. Quelle: Berger 2016: 2. |
Vergleicht man die Accounts von white nationalists und denen, die mit ISIS sympathisieren oder aktiv unterstützen, so zeigt sich, dass in nahezu allen Kategorien (Followerzahl, Reichweite,...) rechtsextremistische Meinungen eine höhere Sichtbarkeit haben. Dies liegt aber nicht nur an unterschiedlichen Unterstützerzahlen oder Unterscheiden beim Nutzerverhalten, sondern auch an der Tatsache, dass Twitter (aber auch Facebook u.a.) konsequenter gegen ISIS-Propaganda als gegen andere Hate Speech vorgehen. Zudem ließe sich natürlich auch der Untersuchungsgegenstand über ISIS hinaus auf andere radikalislamistische Inhalte erweitern (auch wenn ISIS hier dennoch stark dominiert), was die Zahl ebenfalls erhöhen würde.
Über was wird "diskutiert"?
Das populärste Thema der Rechtsextremisten ist das Konzept des "white genocide". Dieser wird zum Beispiel in Südafrika immer wieder heraufbeschworen, in jüngerer Vergangenheit wurde die Netflix-Serie Dear White People dazu auserkoren als angebliches Beispiel zur Verherrlichung des "weißen Genozids" zu dienen, u.a. eben auch auf Twitter. Hier wird tagtäglich die Bedrohung der weißen Rasse in hunderten Tweets propagiert.
Politisch gesehen besteht laut der Studie eine recht enge Verbindung zur Agenda Donald Trumps. Zumindest legen die Hashtags nahe, dass die Aussagen des damaligen Präsidentschaftskandidaten die beste Mischung aus Reichweitenerzielung und inhaltlichen Überzeugungen funktionierte.
Wie die meisten aktivistischen Gruppen nutzen auch white nationalists populäre Hashtags, um die Reichweite zu erhöhen. Quelle: Berger 2016: 10 |
Beachten muss man bei allen extremistischen Gruppen, dass zumeist eine kleine, aber hochaktive Zahl von Personen die Debatten prägt. Werden einzelne Tweets von Medien aufgegriffen und über die "klassischen" Kanäle verbreitet, erhöht dies dann die Reichweite. Insofern scheint eine Folgerung aus der Studie zu sein, dass extremistische Strömungen und Aktionen durchaus Gegenstand der Medienberichterstattung sein sollten, die Fokussierung auf einzelne Personen und das bloße Einbinden von Tweets aber eher nicht zu einer sachlichen Auseinandersetzung führen, sondern einzelnen Extremisten bzw. Accounts schlicht zu mehr Popularität verhelfen.
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Ein großer Unterschied ist sicherlich, dass ISIS von potentiellen Unterstützern als sehr viel geheimnisvoller und verschlossener wahrgenommen wird, was deren Anziehungskraft in bestimmten Kreisen noch erhöht. Während deren Netzwerke auch Propaganda und talking points verbreiten, geht es den Accounts aus diesem Spektrum laut der Studie jedoch vor allem darum Akteure zu vernetzen und eine (virtuelle) Gemeinschaft entstehen zu lassen(mit einem positiven Erscheinungsbild und potentiellen Ansprechpartnern). White nationalists dagegen gehen neben der Verbreitung der eigenen Weltsicht vor allem der Tätigkeit des Trollens nach, zetteln Shitstorms an und versuchen eine angebliche Meinungsübermacht im Bereich des eigentlich Unsagbaren (zum Beispiel wegen angeblicher political correctness) zu demonstrieren.
Desweiteren hat ISIS meist den news cycle auf seiner Seite. Fast täglich gibt es Meldungen, die im Zusammenhang mit dem Islamischen Staat oder anderen radikalislamistischen Gruppen stehen. Dies liefert einfache Anknüpfungspunkte zur "Medienarbeit". Rechtsextremisten scheinen eher die eigene Weltsicht (und deren historischen Wurzeln) immer wieder aufs Neue zu verbreiten. Allerdings kann sich dies - wie Charlottesville gezeigt hat - schnell ändern. Solche Ereignisse begünstigen die Rekrutierung und die Planung von Aktionen. Auch die Fragmentierung, die laut Studie im rechten Spektrum stark ausgeprägt ist, kann so verringert werden (die Demonstration in Charlottesville wurde ja auch unter dem "Motto" Unite the Right angemeldet). Dennoch bleiben natürlich die Ziele und die Aufforderungen aktiv zu werden unschärfer als bei der Propaganda von ISIS.
Neben technischen Anstrengungen seitens der Plattformbetreiber, die durchaus kritisch zu sehen sind, wird Extremisten durch die Eigenheiten virtueller Debattenkultur das Leben scheinbar zunehmend schwerer gemacht. Sei es, dass Gegenmeinungen trotz fehlender sachlicher Auseinandersetzung öffentlich vertreten werden, oder schlicht andere Trolle die Diskussionen sprengen. Neu war nach Charlottesville auch, dass Aktivisten soziale Medien dazu nutzten Teilnehmerinnen und Teilnehmer "an den virtuellen Pranger" zu stellen. Am besten funktioniert aber offenbar sich extremistischen Meinungen in der Realität entgegenzustellen:
BREAKING: After alt-right organizers saw huge counter-protests in Boston, they've canceled 67 "America First Rallies" scheduled in 36 states— Jon Cooper (@joncoopertweets) 22. August 2017
Festzuhalten bleibt, dass rechtsextreme Stimmen in sozialen Medien (nicht nur in den USA) an Bedeutung gewonnen haben und deren Wachtumsdynamik die von ISIS mittlerweile übertrifft. Dies hat wie oben aufgeführt mehrere Gründe, neben technischen Sperren u.ä. von islamistischen Inhalten, sicherlich auch der bewusste Drahtseilakt zwischen Äußerungen, die unter die Meinungsfreiheit fallen und solchen, die rechtlich nicht mehr zulässig sind.
Einig im Hass
Trotz aller Unterschiede, man fragt sich, woher der Hass und das Sendungsbewusstsein dieser Menschen kommen. Bei der Suche nach Ursachen sollte man sehr vorsichtig sein, schließlich sind die Ausgangsbedingungen von radikalislamistischem und Rechtsterrorismus in vielerlei Hinsicht sehr unterschiedlich. Doch ein Faktor bei der Frage nach den Ursachen von Gewalt ist Angst. Angst vor Marginalisierung, Abstieg oder der Hilflosigkeit nicht mehr Subjekt, sondern bloßes Objekt zu sein.
Die Nobelpreisträgerin von 1993, Tony Morrisson schrieb dazu Ende des vergangenen Jahres in ihrem Artikel "Making America White Again" im New Yorker: "These people are not so much angry as terrified, with the kind of terror that makes knees tremble."
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