Dienstag, 27. Oktober 2015

Warum Waffenlieferungen an die Kurden Ausdruck der Hilflosigkeit sind

Aktuelle Online-Publikationen verweisen ja gerne auf ihre Artikel in Fragen-Form. So auch beim SZ-Kommentar "Waffenlieferungen an die Kurden? Ja bitte!" mit dem Verweis "Warum Waffenlieferungen an die Kurden richtig sind". Der Artikel selbst - mutmaßlich kann er gar nichts dafür - folgt diesem Muster nur bedingt und ist weniger klar und platt als der Verweis und die Überschrift suggerieren. 

Die Flagge der Autonomen Region Kurdistans weht in der Hauptstadt Erbil. Photo Credits: Mustafa Khayat, via flickr.com

Dennoch schreibt Joachim Käppner Sätze, die zum Widerspruch auffordern. 
Im Verhältnis zur Bevölkerung dieses Gebiets wurden dort weit mehr Flüchtlinge aufgenommen als selbst in Deutschland.
Es geht um die kurdische Autonomieregion im Nordirak. In der leben tatsächlich viele Flüchtlinge. Käppner hat also Recht und vielleicht ist der Einwand auch kleinkariert, aber es gibt sehr viele Gebiete und Staaten, die mehr Flüchtlinge als Deutschland im Verhältnis zu ihrer Einwohnerzahl aufgenommen haben. 2014 waren es in Europa zum Beispiel Schweden, Ungarn, Österreich, Malta, die Schweiz, Dänemark oder Norwegen, die mehr Asylbewerber aufnahmen. Weltweit reicht es bei Flüchtlingen für Deutschland nicht für die Topp 10, da waren der Libanon, Jordanien, der Tschad oder auch die Türkei deutlich weiter vorne. Warum dann die Formulierung "als selbst in Deutschland"? Weder ergibt sich aus der Aufnahme vieler Flüchtlinge eine besondere moralische Überlegenheit (denn es ist die Gewährung eines Menschenrechts), noch sollte suggeriert werden, dass niemand mehr Flüchtlinge aufnimmt als Deutschland. Das ist einfach falsch. Weiter heißt es:
Die Lieferung dieser Waffen an die Verteidiger Kurdistans ist alles andere als eine Militarisierung der Außenpolitik, wie Kritiker leichtfertig behaupten. Die irakischen Peschmerga haben in ihren Bergen vielen Eroberern widerstanden, selbst dem mörderischen Diktator Saddam Hussein, der ihre Dörfer mit Giftgas beschießen ließ.[...] Die Waffenlieferungen sind eine Nothilfe an die Bedrängten, wie sie etwa in den Dreißigerjahren die demokratischen Mächte Europas den Verteidigern der spanischen Republik gegen die Francofaschisten verweigerten.
Vergleiche in diesem Bereich sind immer schwierig, gerade über einen Zeitraum von fast 100 Jahren hinweg. Waffen sind aber immer Ausdruck einer Militarisierung. Dies kann und sollte auch völlig neutral so genannt werden. Waffenlieferungen gehen zu Lasten ziviler Konfiktbearbeitung und diplomatischer Bemühungen. Sie stehen (hoffentlich) am Ende einer langen Reihe von (fehlenden oder fehlgeschlagenen) Anstrengungen der Konfliktbearbeitung. Letztlich ist es ein Versagen der Außen- und Sicherheitspolitik, wenn Entwicklungen, die nicht erst seit gestern offenbar sind und selbst wenn sie in dieser radikalen und grausamen Form wie die der IS-Milizen daherkommen, nur noch mit der Lieferung von Waffen adressiert werden können.
Die Waffen stammen aus älteren Bundeswehrbeständen, die Kurden zahlen nicht dafür; insofern hat dies nichts mit der üblichen Politik des profitablen Waffenexportes zu tun.
Käppner vergleicht die Lieferungen mit dem Verkauf von Leopard 2-Panzern an Katar und hat völlig Recht, dass dieser eine andere Qualität und einen anderen Umfang hat. Aber Waffen werden produziert und verkauft, nun besteht eben wieder Bedarf "leer geräumte" Bundeswehrlager aufzufüllen und das mit Nachschub auf dem entsprechendem Stand der Technik. Insofern treibt die Proliferation und der Gebrauch von Waffen die Nachfrage, daran lässt sich leider nichts ändern. 
Die Waffenhilfe für die Kurden hat aber einen politischen Preis. Die Empfänger sind in Fraktionen zerstritten, die prowestlichen irakischen Kurden zudem tendenziell verfeindet mit der linken türkisch-syrischen PKK. Niemand kann garantieren, dass nicht Waffen in falsche Hände geraten.

Gut möglich auch, dass die Waffen einen Prozess vorantreiben, vor dem von der Leyen ausdrücklich warnte: den Zerfall des Staates Irak, indem sich das ölreiche Herrschaftsgebiet der Kurden von ihm löst. Berlin möchte das nicht, schon aus Rücksicht auf andere Staaten mit kurdischen Minderheiten: die Türkei, Iran, von Syrien ganz abgesehen. Das sind die Risiken der Militärhilfe. Aber sie ist allemal besser, als einfach wegzusehen, wenn ein Volk um sein Leben kämpft.
Ein guter Punkt des Kommentars. Allerdings bleibt es eine Randnotiz und läuft unter "Da kann man eben nichts machen". Es ist kein Argument es zu unterlassen oder Dinge grundsätzlich zu überdenken. Die Bewertung mag hier wahnsinnig schwierig sein, doch sollte immer klar sein, dass es ja nicht immer um Notsituationen geht und dass diese Situationen nicht aus dem Nichts entstehen. Sie sind die Folge eines langen Desinteresses und des Verfolgens eigener Interessen ohne einem Verständnis dafür, dass geostrategische Zusammenhänge zumeist komplexer sind als sie sich zunächst darstellen und eigene Handlungen unbeabsichtigte Folgen haben. 

Der Zerfall des Irak und die Spannungen waren in den vergangenen zehn Jahren ein Randthema, viele Akteure wollten sich einfach auf die Zusicherungen und die Mission accomplished-Haltung verlassen. Doch diese waren von Anfang falsch.

Der Kommentar hat sicherlich einige gute Punkte, aber zu sehr verfällt er in die Wahrnehmung, dass man eben hilflos angesichts solcher Entwicklungen und Militärhilfe in diesem Rahmen damit ein notwendiger, ja gar humanitärer Akt sei. Dies verkürzt die zeitliche und die politische Dimension erheblich und verkennt Ursachen und Wirkungen. Damit versperrt eine solche Wahrenehmung den Weg zu einer vorausausschauenderen Außen- und Sicherheitspolitik, die Waffenlieferungen als Ausdruck des eigenen Scheiterns und nicht als legitimes Mittel begreift.

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