Freitag, 1. August 2014

Flüchtlingspolitik: "Es ist möglich etwas zu verändern"

"Ich würde behaupten, es ist möglich etwas zu verändern." Es ist ein mächtiger Satz, den Bernd Kasparek, Mitglied des Vorstands der Forschungsassoziation bordermonitoring.eu, da ausspricht. Denn gerade im Bereich der Flüchtlings- und Migrationspolitik erscheint es, als seien die Herausforderungen zu groß, die Hintergründe zu kompliziert und die Politik zu festgefahren, als dass sich wirklich etwas verändern ließe. Doch Kasparek wirbt an diesem Abend im Haus der 28 Türen für zivilgesellschaftliches Engagement und den Glauben an die Wirkung von Aktionen: "Man könnte denken, es passieren immer die gleichen Sachen, aber das politische Terrain ist umkämpft", sagt er.

Das Schiffsunglück vor Lampedusa habe etwas verändert. Zum ersten Mal wurden die fast 400, der mittlerweile mehr als (mindestens) 19.000 Toten an den Außengrenzen der Europäischen Union von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen. Es habe ein anderes Echo gefunden, sagt Kasparek und meint, dass die bisher stereotypische Reaktion, vor allem die kriminellen Schleuser würden Schuld an den Unglücken tragen, hinterfragt wurde. 

Plötzlich gab es viele kritische Stimmen und es kam die Frage auf, inwiefern die Abschottung der EU mit den Todesfällen zusammenhängt. Italien, bisher als Hardliner in der Flüchtlingspolitik aufgefallen, was sich im Aufbringen von Schiffen und regelmäßigen push  backs, also der Zurückweisung von Flüchtlingen, äußerte, änderte plötzlich seine Politik. Die Aktion Mare Nostrum der italienischen Marine hat die Zahl der Unglücke stark verringert, wenn auch nicht auf Null reduziert. Allerdings beobachte man, dass die Aktivität schon wieder nachlasse, meint Kasparek. 

Nur bei gutem Wetter kann die Überfahrt mit solch einfachen Booten gelingen. Sind sie überfüllt, oder wird die See rauher, verunglücken viele der Schiffe. Hilfe kommt dann oft zu spät. Hier ist eine Rettungsaktion der spanischen Marine vor Teneriffa 2007 zu sehen. Photo Credits: UNHCR/A. Rodriguez, via flickr.com

Ihm ist es wichtig, auch die Geschichte und die Entwicklung an den EU-Außengrenzen zu verdeutlichen. 1985, erzählt er, habe es noch keine Grenzen, wie wir sie heute kennen gegeben. Erst mit Schengen veränderte sich dies. Grenzregime wurden vereinheitlicht, oder "harmonisiert", wie es in der EU heißt. Dies bedeutet jedoch oftmals den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, was die Standards des Asylverfahrens betrifft. 

Das Scheitern des Prozesses sei schon oft zugegeben worden, denn die Standards in der EU driften eher auseinander. Das Verursacherprinzip belaste manche Staaten besonders stark, andere müssten ihrer Verantwortung nicht nachkommen. "Diese 28 Türen symbolisieren dies ganz gut", sagt Kasparek, "manche Türen sind zu, andere stehen eben einen Spalt weit offen." Zypern, Griechenland, Italien und Malta könnte man an dieser Stelle nennen.


Das Haus der 28 Türen steht auf dem Tempelhofer Feld, Eingang Oderstraße. Zusammen mit der schwarzen EU-Flagge sollen die Türen die Abschottungspolitik symbolisieren, aber auch darauf aufmerksam machen, dass die Herausforderungen innerhalb der EU stark schwanken. Manche Türen sind komplett geschlossen, einige eben doch geöffnet. Bis zum 10. August lässt sich die Installation der Berlin-Dresdner Künstlergruppe "Bewegung Nurr" besuchen. Abends werden Filme, Theaterstücke und Vorträge angeboten. Photo Credits: Alexander Kitterer

Es bleibt unklar, warum gerade diese Staaten damals einer Regelung zustimmten, die sie übermäßig belastet. Doch ist es auf EU-Ebene oft der Fall, dass solche Entscheidungen mit anderen Fragen verknüpft werden. Ein "Paket-Deal" ist das Ergebnis. Die Dublin-Verordnung nennt Kasparek "organisierte Verantwortungslosigkeit", vor allem sei das System ineffektiv und genüge nicht den Ansprüchen einer menschenwürdigen Politik. Eine Zahl mag dies ein wenig verdeutlichen: 2013 konnte sich Deutschland darauf berufen für 30 bis 50 Prozent der Asylanträge nicht zuständig zu sein. Dies hat weitreichende Folgen für Schutzsuchende. "Wir haben Mustereuropäer kennengelernt", sagt Kasparek mit Ironie in der Stimme, "die waren schon in 20 oder 24 Ländern der Europäischen Union."

Die zunehmende Technisierung und Abschottung sei nicht die Antwort auf die Herausforderung der steigenden Flüchtlingszahlen, sagt Kasparek. Anders als oftmals in öffentlichen Debatten dargestellt, suchen die meisten Menschen ohnehin unmittelbar in ihrer Heimatregion Schutz. Nur wenige nehmen den gefährlichen Weg nach Europa auf sich. Trotzdem gehe der Trend dahin, die Routen stärker zu überwachen und Anrainerstaaten, wie Libyen, unabhängig von deren Umgang mit Flüchtlingen, auszurüsten. So dränge z.B. die EU in Mali darauf, biometrische Pässe einzuführen, um auch hier eine bessere Kontrolle ausüben zu können. Oder es würden sog. Liaisonbeamte der Bundespolizei schon in Iran stationiert, um Migration zu kontrollieren. Parallel dazu werden aber auch die eigentlichen Grenzen immer besser gesichert.

Davon erzählt Tresor, der selbst das Mittelmeer überquert hat und die Zustände in Marokko genau kennt. Die Militarisierung der Grenze ist tödlich, er selbst hat Bekannte und Freunde verloren. Nur wenige Fälle sind wirklich dokumentiert. Eine Ausnahme bildet ein Vorfall bei Ceuta. Der Einsatz von Gummigeschossen und Tränengas auf Schwimmende forderte dort im Februar mindestens 15 Todesopfer. Viele Menschen konnten nicht richtig schwimmen, als Chaos ausbrach verloren sie ihre Schwimmhilfen und ertranken. 


Immer höher und stärker gesichert wird beispielsweise auch der Zaun um die Exklave Melilla. Beim Versuch einen der bis zu sechs Meter hohen Zäune zu überwinden, verletzen sich viele der Flüchtlinge an Stacheldraht. Setzen die Behörden auf marokkanischer oder spanischer Seite dann noch gewaltsame Mittel ein, kommt es auch zu Toten. Photo Credits: Flo Razowsky, via flickr.com 

Die Abschottungspolitik hat auch Auswirkungen auf die soziale Situation in Marokko oder Tunesien. Konflikte entstehen, wo Tausende Menschen ohne Perspektive einer fast unüberwindbaren Grenze gegenüber stehen und es keine Rolle spielt, ob sie ein legitimes Anrecht auf Asyl hätten, oder nicht. Denn geprüft wird dies erst, wenn sie die Gefahr auf sich genommen haben und die Grenze illegal überwunden haben.

Tresor versuchte es an drei verschiedenen Orten, bis es ihm gelang. Er berichtet von Flüchtlingscamps, die von der örtlichen Polizei geräumt, die Habseligkeiten der Menschen dabei angezündet wurden. Auf Fotos zeigt er ein Schlauchboot, hier in jedem Supermarkt erhältlich, mit dem er und andere die Überfahrt von 14 Kilometern wagten. Sein Bericht ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass eine Abschottungspolitik nur funktionieren kann, wenn man den Anspruch eines Rechts auf Asyl und der Wahrung von Menschenrechten komplett aufgibt.

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