Sonntag, 6. Juli 2014

Guantanamo: "Was fängt man bloß mit diesen Leuten an?"

Ein Plüsch-Känguru verbreitet nirgends Angst und Schrecken. Mit einer kleinen Einschränkung. In Justiz-Kreisen kann es gefürchtet sein. Denn ein "kangaroo court" bezeichnet ein Gericht, das nicht unabhängig oder korrupt ist, oder einen orchestrierten Scheinprozess abhält. Es ist also das härteste Urteil, welches über die Integrität eines Verfahrens gefällt werden kann. Manche Beobachter glauben, dass dies im Fall des Militärtribunals der USA, welches sich auf der Guantanamo-Militärbasis auf Kuba befindet, zutrifft. Eingerichtet wurde es, um die Verantwortlichen der Anschläge des 11. September 2001 nach deren Internierung mit juristischen Mitteln zur Rechenschaft zu ziehen.

Lawrence R. Douglas, Journalist, Autor und Professor für Rechtswissenschaften, hat den Prozess in Guantanamo u.a. für das Harper´s Magazine  verfolgt. Hält er das Gericht für einen "kangaroo court"? "Ich glaube, dass es ein wenig komplizierter ist", sagt Douglas. Aber er kennt einen Anwalt, der bei jeder Verhandlung ein Plüsch-Känguru auf den Anwaltstisch stellt, um so den Richtern zu symbolisieren: "Ich halte dieses ganze Gericht und das Verfahren für die reine Farce."

Der Begriff "kangaroo court" wurde wahrscheinlich erstmals 1853 in Texas gebraucht und sollte illustrieren, dass in einem Gerichtsverfahren unstrukturiert von einem Fall zum anderen gesprungen oder diese Taktik absichtlich zur Verschleierung unliebsamer Tatsachen eingesetzt wurde. 
Credits: Joachim S. Müller, via flickr.com 

Douglas schildert in einem Vortrag die Anfänge des Gefangenenlagers, das nur einen kleinen Teil der riesigen Militärbasis einnimmt. Der war on terror bildet dabei den Anfang, aber sehr schnell entwickelte sich eine eigene Dynamik. "Es ist ein typisches Phänomen im Krieg", sagt Douglas, "Leute werden gefangen genommen." Doch etwas war neu: die USA bekamen die Gefangenen in Afghanistan vor allem von dortigen Warlords in großer Zahl ausgehändigt, zumeist wurden Prämien zwischen 3.000 und 5.000 US-Dollar gezahlt. So kamen schnell Hunderte von Personen zusammen, die man eigentlich als Kriegsgefangene hätte behandeln müssen.

Die Absicht der USA war eine andere. Denn ein prisoner of war darf nicht befragt werden. Doch die Verantwortlichen wollten genau das, hatten sie doch Angst vor einem weiteren Angriff auf US-Einrichtungen bzw. die USA selbst. Dabei kam den Offiziellen zu Gute, dass die Regelungen für bewaffnete Konflikte in einer Zeit der symmetrischen Kriegsführung entwickelt wurden. Sie wurden im Zuge des Zweiten Weltkriegs erdacht. Douglas sagt: "Sie waren für die asymmetrische Kregsführung nicht besonders passend."

Also wurde ein neues Konzept entwickelt. Unter George W. Bush entstand der Typus des "unlawful enemy combattant". Heute, unter Präsident Barack Obama heißt er "unprivileged enemy belligerent". Sein Status ist derselbe, er ist ist ein ungesetzlicher Kombattant, der keinen internationalen Schutz genießt, da er keinerlei offizieller Armee zugehörig ist und deren Abzeichen trägt. 

Douglas hält das für ein "Oxymoron", da es ein völliger Widerspruch sei. Ein Kombattant auf dem Schlachtfeld eines Krieges genieße immer ein Privileg: das Recht zu töten. "Im normalen Leben ist man ein Mörder, doch im Krieg ist es die normale Tätigkeit", sagt Douglas.


Solche Bilder kennt man von Guantanamo, hier sind Gefangene bei ihrer Ankunft 2002 zu sehen. Mittlerweile wurden die Bedingungen verbessert und stark verändert. Doch die Tatsache bleibt, dass von 149 Insassen nur sechs einem Prozess entgegensehen. Der Rest wird entweder transferiert, d.h. entlassen oder einer Sicherheitsbehörde eines anderen Landes übergeben, oder noch für eine ungewisse Zeit festgehalten. 
Credits: Aslan Media, via flickr.com

Doch es stellte sich eben die Frage: Was fängt man bloß mit all diesen Leuten an? Douglas sagt dazu: "Es war eine sehr frühe Entscheidung sie außerhalb der USA zu internieren, um so eine Prüfung durch ordentliche Gerichte zu vermeiden. Dabei entschied der Supreme Court schon 2004, dass die Jurisdiktion der US-Justiz nicht an den Landesgrenzen endet. Und das, obwohl das oberste Gerichte der Exekutive eigentlich immer weitreichende Freiheiten zugestanden hatte.

Schnell stellte sich heraus, dass die Internierung in Guantanamo kaum Sinn machte. Dies lässt sich auch in Zahlen ausdrücken: Maximal waren gleichzeitig 660 Gefangene dort, insgesamt 779. Heute sind es noch 149, von denen 78 für einen Transfer vorgesehen sind. Bleiben 71. Sechs von ihnen sehen sich einer Anklage gegenüber. Befragungen sollen kaum wichtige Informationen zu Tage gefördert haben

Die überwiegende Mehrheit wurde also ohne Anklage transferiert. Der Drahtzieher des Anschlages auf die USS Cole vom Jahr 2000, Abd al-Rahim al-Nashiri, der sich einer Anklage gegenübersieht, hat mit den Anschlägen von 9/11 nichts zu tun. Viele Male soll er gefoltert worden sein.



Einer der wichtigsten Prozesse vor dem Militärgericht in Guantanamo betrifft den Drahtzieher auf das US-Kriegsschiff USS Cole, Abd al-Rahim al-Nashiri. Der Anschlag wurde im Oktober 2000 verübt, 17 US-Amerikaner wurden getötet, 39 verletzt. Das Bild zeigt einen Gedenkstein in Rockport, Texas, aufgenommen 2007. Credits: Terry Ross, via flickr.com

Warum dann der ganze Aufwand mit einem speziell eingerichteten Militärgericht außerhalb der Vereinigten Staaten, der US-Jurisdiktion entzogen und so leicht unter dem Verdacht eines parteiischen Tribunals? Vor allem, da US-Gerichte schon reichhaltige Erfahrung mit der Verhandlung von Terrorismus-Vorwürfen hatten. Douglas meint, dass auch diese Entscheidung wieder extrem früh in der Bush-Administration gefällt wurde. Bereits im November 2001 sei beschlossen worden, Gefangene außerhalb sog. Article III courts, also normaler Gerichte, zur Rechenschaft zu ziehen.

Der Grund? Douglas meint dazu: "Sie waren besorgt, dass vertrauliche Dokumente an die Öffentlichkeit geraten könnten, zudem können Beweise, die als "Hörensagen" gelten, vor normalen Gerichten nicht verwendet werden." Military Commissions können diese zulassen. Letztlich scheint es so, dass eben auch Beweise, die unter Folter zustande gekommen sind, als zulässig betrachtet werden sollten.   

Außerdem müssen die Beweise nicht unbedingt den Angeklagten vorgelegt werden, eine Revision ist kaum möglich. Doch auch hier entschied das oberste Gericht der USA, dass solche Verfahren unzulässig seien. Daraufhin wurden die Kommissionen 2005 neu gebildet. Sie sehen nun ähnlicher aus, fast wie normale Gerichte der US-Justiz. "Von fast and dirty hin zu einem relativ normalen Verfahren", meint Douglas.

Dass die Angeklagten nicht vor normalen Gerichten in den USA angeklagt wurden hält Douglas für reine Politik: "Man kann nicht viel gewinnen, wenn man Terrorverdächtige besser behandelt. In der öffentlichen Wahrnehmung sind die Militärgerichte härter als Artikel III-Gerichte, auch wenn das nicht einmal zutrifft", sagt Douglas weiter. Andererseits: "Hörensagen" ist dort immer noch zugelassen. 

Die Frage der Legitimität jedoch, sie stellt sich letztlich nur vor einem Militärtribunal. Die Argumente sind einfach: ein Richter des Militärs kann nicht unabhängig sein, Anwälte des Militärs ebenso wenig. Douglas hält dies jedoch nicht unbedingt für zutreffend: "Für mich war es faszinierend zu sehen, dass ein Navy-Anwalt, also ein Angehöriger der Streitkräfte, die von al-Nashiri angegriffen wurden, diesen verteidigt", sagt Douglas. Sie seien extrem darauf bedacht ein rechtsstaatliches Verfahren zu gewährleisten und seien ebenfalls davon überzeugt, dass die Entscheidung für ein Militärgericht falsch gewesen sei. 

Dabei müsse immer bedacht werden, dass die Administration eben kein einheitliches Gebilde sei. Unterschiedliche Organisationen sind für unterschiedliche Dinge zuständig und, so Douglas: "Alle hassen sich gegenseitig." Vor allem die nachgewiesene Folter in Thailand, Rumänien, Polen und Marokko unter der Verantwortung der CIA empört viele Offizielle anderer Institutionen. Douglas ist überzeugt: "Das Verteidigungsministerium war darüber nicht sehr erfreut."

Vor allem stellt sich für Douglas die Frage: "Ist es fair jemanden mit der Todesstrafe zu drohen, wenn derjenige vorher gefoltert wurde?" Für ihn ist die Antwort ein klares Nein. Die Anwälte wollen nach der Auffassung Douglas´ diesen Fall gewinnen, das Gericht will, dass seine Legitimität anerkannt wird. Nicht nur die Webseite sei deshalb sehr benutzerfreundlich und transparent. Am 24. Juni entschieden die Richter einen Antrag der Verteidigung zuzulassen, der die CIA zwingen würde, Details über die Behandlung der Gefangenen preiszugeben. Niemand habe damit gerechnet, meint Douglas. Die Verteidigung versuche so die Fälle in die Länge zu ziehen, das Gericht spiele diese Taktik eben mit, um seine Unabhängigkeit zu beweisen.



Das Gericht auf der Guantanamo-Basis legt Wert auf Transparenz. Verhandlungen am Morgen sind bereits am Nachmittag auf der Webseite abrufbar. Dies ist natürlich nur ein kleiner Teil eines transparenten Verfahrens. Credits: mc.mil

Trotzdem sei es eben kein normales Gericht. Die Umgebung ist sehr stark gesichert, die Zuschauer sehen zwar den Gerichtssaal, doch der Ton kommt mit 40 Sekunden Zeitverzögerung auf den Bildschirmen. Fürchtet der Richter, dass als geheim eingestufte Informationen preisgegeben werden, dreht er den Ton ab. Dies führe zu absurden Situationen: "Wenn der Richter geht, dann stehen die Zuschauer erst 40 Sekunden später auf, wenn der Richter den Saal längst verlassen hat", erzählt Douglas. 

Letztlich sei Guantanamo ein Gefängnis für Menschen, denen nichts vorgeworfen wird. Dies bleibt der große Makel. Auch wenn sich die Haftbedingungen deutlich verbessert hätten, in normalen Gefängnissen in den USA gehe es deutlich schlimmer zu, meint Douglas. Die Kosten seien dabei enorm. Ein normaler Häftling koste zwischen 25.000 und 50.000 US-Dollar pro Jahr, ein Häftling in Guantanamo etwa knapp 900.000 US-Dollar.

Es handle sich mehr um Politik als um Rechtssprechung, gibt sich Douglas überzeugt. Und ist immer wieder fasziniert von dem Ort: "Es hat schon eine gewisse Ironie, all der Stacheldraht, die Sicherheitsvorkehrungen und nur knapp ein Kilometer entfernt diese schöne Küstenlinie." Dabei schüttelt er den Kopf, als könne er alles nicht wirklich verstehen. Es ist eben doch "alles ein wenig kompliziert".

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