Dienstag, 1. Oktober 2013

Staatskrise in Libyen: Der Zerfallsprozess hat begonnen

Libyen droht im Zuge der zahlreichen Konflikte zu zerfallen. Entlang ethnischer Linien treten dabei vor allem wirtschaftliche Fragen in den Vordergrund. Viele Gruppen fühlen sich marginalisiert, sowohl politisch, als auch bei der Verteilung von Ressourceneinnahmen. Dies könnte dazu führen, dass bestimmte Regionen verstärkt eine Autonomie anstreben. Der Tagesspiegel spricht in einem Bericht von der "schwersten Staatskrise seit dem Sturz Muammar Gaddafis".

Dabei galt das Land seitdem als Positivbeispiel für eine Stabilisierung nach solch einem tiefgreifenden Konflikt. Die internationale Gemeinschaft hat jedoch angesichts zahlreicher anderer Konflikte längst das Interesse an dem nachhaltigen Aufbau des Landes verloren. Ein Zenith-Artikel vom August 2013 beschreibt die Konsequenzen:
Insgesamt kämpft Libyen seit der Gaddafis Entmachtung an zwei Fronten: Die politische Normalisierung will nicht recht Fuß fassen und kommt nur schleppend voran, wie man beispielsweise an den Verzögerungen bei der längst überfälligen Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung ablesen kann. Währenddessen profitieren bewaffnete Gruppierungen mit unterschiedlichen Absichten und Interessen auch über 18 Monate nach der militärischen Niederlage des Dschamahiriyya-Regimes vom Fehlen einer starken Zentralmacht. Ja, sie haben ihre Positionen sogar konsolidiert und versuchen zunehmend, mit Waffengewalt und Einschüchterung den politischen Prozess zu beeinflussen. 
Diese fehlende Zentralmacht gibt Raum für Autonomie- und Abspaltungsbewegungen. In einer Pressemitteilung der Gesellschaft für bedrohte Völker vom 29.9. heißt es:
Rund 120 Vertreter von Tuareg, Toubou und Arabern hatten letzten Donnerstag in der Stadt Obari (Süd-Libyen) über Perspektiven für eine Selbstverwaltung des Fezzan beraten. Auf einer Konferenz in der kommenden Woche soll die Autonomie des Fezzan schließlich ausgerufen werden, sollte sich die Regierung Libyens nicht kompromissbereit zeigen. In Europa bewährte Autonomie-Modelle werden von arabischen Nationalisten in Libyen abgelehnt, da sie ein Auseinanderfallen des Landes befürchten. Eine Föderalisierung wollen sie um jeden Preis verhindern.
Ein aktueller Bericht der taz kommt ebenfalls zu der Einschätzung, dass zahlreiche Autonomiebewegungen die Stabilität des Landes gefährden und die Politik kaum Antworten auf diese Herausforderung findet. Er warnt vor einer Stärkung extremistischer Kräfte:
Der Machtkampf in Libyen nimmt immer schärfere Züge an. Dies zeigt sich in wochenlangen Blockaden der Ölhäfen, Trinkwassermangel in der Hauptstadt Tripolis und Bombenanschlägen in Bengasi. Nur mit Mühe konnte Regierungschef Ali Zeidan seine Absetzung durch die Parlamentsabgeordneten verhindern, nachdem er am 6. September von einem Staatsbesuch bei Ägyptens Militärchef Abdul al-Sisi nach Tripolis zurückkehrte. Die an Zeidans Regierung beteiligte Partei der Muslimbrüder und der oberste Geistliche Sadiq Gariani forderten seinen Rücktritt. Offiziell werfen sie Zeidan Inkompetenz vor. Die politische Krise hat damit die Moscheen erreicht. 
Auch wirtschaftlich zieht die schwierige politische Lage Konsequenzen nach sich. So kam in den vergangenen Monaten schon mehrmals die Öl- und Gasförderung gänzlich zum Erliegen. Dabei zeigt sich, dass die Unzufriedenheit auch auf der mangelnden Aufarbeitung der jüngeren Vergangenheit basiert:
Nicht nur die Opfer des Gaddafi-Regimes, sondern auch Revolutionskämpfer und Kriegsvertriebene fühlen sich von der demokratisch gewählten Regierung verraten. Forderungen nach Gerechtigkeit stoßen jedoch auf die harte Wirklichkeit, in der viele frühere Entscheidungsträger weiterhin amtieren und Strafverfahren nur langsam voranschreiten. Zudem spalten durch die Revolution ausgelöste Machtkämpfe das Land. "Wir haben einen Gaddafi beseitigt und jetzt gibt es sechs Millionen davon - einen in jedem von uns", ist ein verbreiteter Satz; Ausdruck der Frustration, dass Tyrannenmord nicht automatisch Systemänderung hervorbringt.
Welche Zukunft Libyen erwartet, ist also unklar. Von einer harschen Reaktion der Zentralregierung, die angesichts der Schwäche jedoch eher unwahrscheinlich erscheint, bis hin zur eigenmächtigen Abspaltung bestimmter Regionen ist alles möglich. Allerdings existieren auch Befürworter eines föderalen Systems:
Diese De-facto-Autonomie hat in einigen Bevölkerungskreisen den Wunsch nach einem Staatenbund aufkommen lassen. Was in Cyrenaica im Osten Libyens bereits Gestalt angenommen hat, trifft nun auch im Süden Libyens auf immer mehr Zuspruch. Ein Befürworter ist Ibrahim Youssef, Leiter einer Organisation in Mourzouk, der meint: "Ich bin ein Föderalist, weil ich möchte, dass Fezzan von dem Wohlstand profitiert, den Triopolis derzeit komplett abzieht. Allerdings möchte ich einen echten Staatenbund, nicht drei Länder, wie sie die Menschen im Osten anstreben."
Einen Eindruck zur Situation der Menschen in Libyen vermittelt folgende Doku aus dem Jahr 2012, gedreht unmittelbar nach der Wahl:

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