Mittwoch, 14. November 2012

Die Botschaft für Afghanistan lautet: Alles wird gut!

Auch die NATO betreibt Öffentlichkeitsarbeit. In der gegenwärtigen Afghanistan-Debatte demonstriert das Bündnis Gelassenheit, obwohl die Strategien der Mitglieder kaum den anstehenden Herausforderungen gerecht werden können. Denn die Militärs und Politiker stehen vor einem Dilemma.


Die NATO und ihre Mitglieder wollen Afghanistan so schnell wie möglich den Rücken kehren. In nahezu allen Ländern, deren Streitkräfte an dem Einsatz beteiligt sind, wird das baldige Ende debattiert, oder sind Abzugspläne bereits verabschiedet. Da ist es verlockend diese bereits getroffenen Entscheidungen oder politischen Erwägungen mit positiven Zahlen und Botschaften zu untermauern. 

Die NATO selbst betreibt mittlerweile selbstverständlich eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit und liefert diese PR regelmäßig:


Arbeitslosigkeit spielt für die meisten Afghanen laut dem Bericht eine ähnliche Rolle, wie Sicherheitserwägungen. Etwa die Hälfte aller Menschen sieht das Land, trotz allen Problemen, auf einem richtigen Weg. Keine Aufregung also, so der Tenor. Auch die Menschen am Hindukusch plagen sich mit ähnlichen Problemen wie wir. 


Ohne Zweifel mögen diese Zahlen einen Teil der Realität widerspiegeln. Vieles war vor dem Einsatz der Koalitionstruppen nicht besser. Die größte Bedrohung für das Land könnte aktuell jedoch sein, dass die ausländischen Truppen das Land erst nicht befrieden konnten und nun selbst immanenter Teil des Konflikts geworden sind. 

Mehrere Zehntausend Soldaten und mit ihnen die Probleme werden trotz des Abzugs noch lange in Afghanistan bleiben. Anlässlich der Afghanistan-Konferenz im September in Bonn schrieb die junge welt:
Der Opiumanbau ist längst einer der wichtigsten Wirtschaftszweige Afghanistans geworden, schätzungsweise 85 Prozent des weltweit vertriebenen Heroins haben ihren Ursprung hier. Dramatisch nicht nur für die Abhängigen in Europa, sondern auch für die afghanischen Bauern: Sie werden von den mafiösen Strukturen, die die großen Profite aus dem illegalen Geschäft ziehen, mit Gewalt zum Anbau von Schlafmohn gezwungen – unter den Augen und Gewehren der deutschen Bundeswehr. 
Seit elf Jahren, seit Beginn des »Krieges gegen den Terror« der NATO, hält die deutsche Armee ein eigenes Protektorat im Norden des Landes. Das Militär hat längst seinen Frieden mit der Drogenmafia gemacht. Der »Krieg gegen den Terror« ist ein bewaffnetes Schutzkommando für Drogenbarone geworden. Von den hehren Versprechen, die mit dem Bundeswehrmandat verknüpft waren – Demokratie, Gleichberechtigung für Frauen, Aufbau der geschundenen Wirtschaft –, ist nicht viel übrig geblieben.
Gleichzeitig ist auch der schnelle Abzug zahlreicher Kontingente gefährlich, was beispielsweise Frauen- und Minderheitenrechte oder die Sicherheitslage in extremistisch dominierten Regionen angeht. Teile von Großbritanniens Regierung würden aufgrund der Haushaltslage am liebsten den längst als überflüssig empfundenen Einsatz sofort beenden. 

Doch das entstehende Machtvakuum nach einem extrem schnellen Abzug wird nicht kontrolliert werden können. Kaum vorstellbar, dass afghanische Armee und Polizei ein ähnliches Sicherheitsniveau schaffen (so gering es auch teilweise sein mag), wie die ausländischen Kräfte.

Die USA haben bereits auf die schwindende Bereitschaft selbst enger Verbündeter reagiert und wollen den eigenen Abzug mit der Stärkung der Sicherheitskräfte aber auch lokaler Milizen stützen. 

Diese Strategie produzierte bereits mehr als 13.000 Mann unter Waffen, die relativ unkontrolliert in 31 der 34 afghanischen Provinzen agieren. Im Bundeswehreinsatzgebiet Kundus wurden zu, Beispiel Anfang September 13 Menschen bei Auseinandersetzungen getötet, als mehrere Hundert Kämpfer einer Miliz ein Dorf überfallen haben sollen. Thomas Ruttig, Ko-Direktor des Afghanistan Analysts Network, kommt in einem Zeitungsartikel vom 12. Oktober 2012 zu dem Schluss:
Afghanische Parlamentarier haben die Milizen deshalb als »eine Hauptgefahr für die Sicherheit Afghanistans « bezeichnet. Das alles bestätigt die Feststellung der renommierten norwegischen Afghanistan-Expertin Astri Suhrke, dass das Land nach 2014 vor allem aus »schwachen Institutionen und einer Menge bewaffneter Männer« bestehen werde. Das ist das Rezept für einen neuen Bürgerkrieg. 
Die Zahlen des Videoberichts können also durchaus akkurat sein, für die NATO sollen sie offenbar vor allem den Zweck erfüllen, dass alle Bündnispartner ihr Gesicht bei ihrer jeweiligen Afghanistanstrategie wahren können. 

Für eine gemeinsame, schwierig errungene und nachhaltige Vorgehensweise, welche Afghanistan eine reale Zukunftschance für eine demokratische und friedliche Transformation bietet, für die scheint es bereits zu spät zu sein.

Doch nur so ließe sich das Dilemma der schlechten Exit-Option auf der einen und des hohen Ausstiegdrucks auf der anderen Seite teilweise auflösen. Die Botschaft, dass sich alles auf einem guten Weg befindet und schon irgendwie werden wird, wirkt da ein wenig hilflos. 

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