Samstag, 3. März 2012

Selbstmord bald häufigste Todesursache unter U.S.-Soldaten?

Das Phänomen ist nicht neu, doch nur wenn neue Statistiken von Rekordzahlen künden wird es auch thematisiert und medial aufbereitet. Dabei wächst die Zahl der Selbstmorde von aktiven Soldaten und Veteranen der U.S.-Armee ständig, in der Armee und dem Marine-Korps hat sich die Zahl der jährlichen Selbstmorde innerhalb der vergangenen zehn Jahre mehr als verdoppelt. Damit ist Selbstmord wahrscheinlich aktuell die häufigste Todesursache unter U.S.-Soldaten.

Dabei ist es überaus schwierig, die tatsächliche Anzahl zu erfassen, da jede Studie andere Kriterien anlegt, ob bei einer Selbsttötung der Dienst als U.S.-Soldat eine Rolle gespielt hat. Die Zahlen zu den Selbstmorden im aktiven Dienst sind darum verlässlicher, als Statistiken zur Selbstmordrate unter Veteranen. Auch der Vergleich zur Gesamtpopulation ist nur teilweise aussagekräftig, da die Selbstmordrate unter jungen Männern, welche die Mehrzahl der aktiven Soldaten darstellen, deutlich höher ist, als bei anderen demographischen Gruppen. 

Dennoch: Aktuelle Zahlen belegen, dass sich seit 2005 alle 36 Stunden ein "service member" der U.S. Streitkräfte das Leben nimmt. Dabei ist der Anteil bei den Marines und in der Army deutlich höher, als in den Luft- und Seestreitkräften. 


Mehr als 1.600 Selbstmorde in der U.S.-Armee zwischen 2001 und 2008

Die offiziellen Stellen versuchen die Veröffentlichung absoluter Zahlen zu vermeiden, so dass in den meisten Berichten nur Selbstmordraten oder relative Häufigkeiten angegeben sind. Betrachtet man aber die Zahlen für den aktiven Dienst von 2001 bis 2008 so lässt sich (siehe untere Tabelle) eine Gesamtzahl von mehr als 1.600 aktiven Soldaten ausweisen, die ihrem Leben in diesem Zeitraum ein Ende setzten. Zum Vergleich, insgesamt wurden in Folge von Kampfhandlungen zwischen 2001 und 2012 etwa 8.000 U.S.-Soldaten getötet.


Auf das Jahr 2012 bezogen bedeutet dies, dass sich aktuell in manchen Monaten mehr aktive Soldaten das Leben nehmen (im Januar gab es unter aktiven Soldaten 16 Suizide), als Angehörige von Kampftruppen im Einsatz getötet werden. Allein 2008 verübten mehr Soldaten Selbstmord als im Irak seit 2009 getötet wurden. Auch eine aktuelle Studie bescheinigt für das Jahr einen Anstieg der Zahlen um 80 Prozent im Vergleich zu 2004. Legt man die hier aufgeführten Zahlen zugrunde, verdoppelt sich dieser Anstieg sogar (da die Studie von nur 140 Selbsttötungen ausgeht). 


Wie hoch der Druck und die traumatisierenden Erfahrungen des Krieges sind, macht ein weiteres Schaubild derselben Studie deutlich. Es zeigt, wie hoch der Anteil von Soldaten ist, die sich direkt im Einsatzgebiet töten. 


Vor allen bei der Infanterie bringen sich bis zu einem Viertel der Soldaten in Afghanistan und dem Irak um. Dabei leiden die meisten Soldaten erst nach ihrem Einsatz unter den seelischen Wunden, welche die Kampfhandlungen aufgerissen haben. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass unter Veteranen noch mehr Selbstmorde zu verzeichnen sind. 

In diesem Zusammenhang kommt eine Statistik zu dem Schluss, dass sich mehr als 2.200 Soldaten, die in Afghanistan und Irak Dienst taten sich innerhalb von zwei Jahren nach dem Ausscheiden aus dem Dienst umbrachten. Ältere Berichte sprachen von bis zu 6.000 Veteranen, die ihrem Leben ein Ende setzten - allein im Jahr 2005. Das waren 17 Suizide pro Tag. Die Selbstmordrate, welche in der Gesamtbevölkerung 2005 bei 8,9 von 100.000 Menschen lag, erreichte bei ehemaligen Armeeangehörigen eine Zahl zwischen 18,7 bis 20,8. Unter jungen Menschen zwischen 20 und 24 sei sie sogar viermal so hoch wie bei Altersgenossen, die nicht in der Armee dienten.


Alle 80 Minuten verübt ein Veteran Selbstmord

Andere Studien kommen deshalb auch zu deutlich höheren Zahlen: "And while it said it was “impossible,” given the lack of data, to accurately determine the number of veterans that have killed themselves, the report said that the Department of Veterans Affairs estimated that a veteran dies by suicide every 80 minutes." Zudem ließ sich etwa die Hälfte der Veteranen wegen post-traumatischer Stresssymptome und anderen kriegsbasierten seelischen Leiden behandeln. Nicht nur die Zahl der Selbsttötungen hat ein außerordentlich hohes Niveau erreicht, eine hohe Anzahl an Veteranen kommt auch mit dem Gesetz in Konflikt und zerstören sich so ihre Lebensperspektive.

Die Armee selbst versucht das Problem von den Kriegshandlungen abzukoppeln, da sich ein Drittel der Soldaten umbringe, ohne jemals in den Einsatz geschickt worden zu sein. Doch ist der Anteil bei den eingesetzten Soldaten eben trotzdem deutlich höher. Ein TIME-Artikel von 2010 kommt zu dem Schluss: 

The experience of combat itself may also play a role. "Combat increases fearlessness about death and the capability for suicide," said Craig Bryan, a University of Texas psychologist, briefing Pentagon officials in January. The combination of combat exposure and ready access to guns can be lethal to anyone contemplating suicide. About half of soldiers who kill themselves use weapons, and the figure rises to 93% among those deployed in war zones.

Die Streitkräfte versuchen mit zahlreichen Initiativen gegenzusteuern. Doch Gatekeeper-Training, also die Ausbildung der Vorgesetzten, oder Programme zur Verbesserung des Bewusstseins unter den Soldaten stoßen schnell an ihre Grenzen. Eine eigene Website, welche versucht den Soldaten Informationen und Verständnis zu vermitteln, kann nicht verdecken, dass vor allem bei der therapeutischen Individualbehandlung starke Defizite zu beobachten sind.


Doch oft spielen neben den traumatischen Kriegserfahrungen auch die fehlende (berufliche) Perspektive und die mangelnde Betreuung nach dem Ausscheiden aus dem Dienst eine große Rolle, so dass die Programme für aktive Soldaten ins Leere laufen. Beim aktiven Dienst ist ein großes Problem, dass alle Versuche das Tabu des Selbstmordes und psychischer Erkrankungen allgemein zu lüften, nur sehr eingeschränkt erfolgreich waren. Viele Soldaten verzichten weiterhin aufgrund des sozialen Drucks auf professionelle Hilfe. 43 Prozent der Suizidopfer nahmen einen Monat vor ihrer Selbsttötung keinerlei psychologische Unterstützung in Anspruch.

Es ist also davon auszugehen, dass auch weiterhin die Zahl der Soldaten, die ihrem Leben selbst ein Ende setzen, stark ansteigt. Ehemalige Angehörige der U.S.-Streitkräfte werden auch weiterhin unter den psychischen und sozialen Folgen ihrer Dienstzeit leiden und der Gefährdung ausgesetzt sein ihrem seelischen Leiden oder ihrer Perspektivlosigkeit ein gewaltsames Ende zu setzen.
   

ARTE-Doku (2011)




Preisgekrönter Kurzfilm zu den Ursachen der Suizide (2010):






Eine Reportage von Voice of America (2009) 



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