Montag, 28. September 2009

Regierungswechsel ohne Bedeutung? Rüstungsexporte und internationales Engagement


Die aktuellen Konflikte wüten weit weg von unserer Lebenswirklichkeit. Einzig der Afghanistan-Einsatz spielt in der aktuellen Politik eine Rolle. Daran wird auch der Regierungswechsel mit der "klaren" bürgerlichen Mehrheit kaum etwas ändern. Oder doch?

Schließlich heißt es doch im Regierungsprogramm der Union:

"CDU und CSU stehen für die weltweite Anerkennung der Menschenwürde, für Freiheit und Frieden, für Freundschaft mit unseren Nachbarn und für Bündnistreue und das Eintreten für die Interessen Deutschlands. Wir sind mit unserer Außen- und Sicherheitspolitik einer großen Tradition verpflichtet und haben die Fundamente der erfolgreichen deutschen Außen- und Sicherheitspolitik gelegt."

Und die FDP will da keineswegs nachstehen:

"Wo Frieden und Freiheit nicht garantiert sind, ist jeder einzelne Mensch am Ende der Willkür anderer ausgesetzt. Die besten Garanten für Frieden und Freiheit sind Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Soziale Marktwirtschaft. Es sind diese Prinzipien, die gleichzeitig Menschenrechte garantieren und die Voraussetzungen für Stabilität, Wohlstand und Toleranz bilden. Deutschland wird seinen Interessen der Wahrung von Frieden, Freiheit und Wohlstand am besten dadurch nachkommen, dass es die Gemeinschaft zu den aufgeklärten, rechtsstaatlichen Demokratien in der Völkergemeinschaft sucht, pflegt und ausbaut."

DIE LINKE setzt bei ihrer Außenpolitik ebenfalls auf eine klare Linie und kann sich auch wegen dieser Argumente als vierte Kraft im Land feiern:

"Streben nach Vorherrschaft und Einsatz militärischer Stärke sind keine Grundlage für die Krisenbewältigung. Wer Kooperation erreichen will, muss das Völkerrecht und die Menschenrechte achten. Die zentrale Institution muss die UNO sein, ihre Beschlüsse müssen respektiert werden. DIE LINKE ist die Partei des Völkerrechts und der Durchsetzung des Gewaltverbots in den internationalen Beziehungen."

Doch was bleibt in der praktischen Politik davon übrig? Die Ausgangslage ist eine völlig andere. Zum einen die täglichen Toten in den Kriegsgebieten, zum anderen:


Rüstungsexportbericht 2007

Zehn Prozent der Rüstungs-Ausfuhren gehen in Entwicklungsländer. Länder also, die kaum Geld für die Versorgung der eigenen Bevölkerung und dem Aufbau der Infrastruktur haben. Nun ist auch klar, Regierungsgewalt muss verteidigt, das staatliche Monopol muss geschützt werden können, um nicht die Freiheit aller, auf Kosten weniger zu gefährden. Auch mit internationaler Hilfe.
Doch ist dies nur ein bequemer Weg sich von internationaler Verantwortung freizukaufen und letztlich das Problem unkontrollierter Waffenverbreitung in Krisengebieten nur zu verschlimmern? Einfach wirtschaftliche Interessen über eine ausgewogene Sicherheitspolitik zu stellen?
Niemand kann ernsthaft von Deutschland und der EU die Rolle des Weltpolizisten fordern. Denn auch multilaterales Handeln garantiert keine komplette Wahrung des Völkerrechts. Doch eine UN, welche die großen Staaten hinter sich weiß, Staaten, die bereit sind Entscheidungen der Vereinten Nationen unabhängig ihrer eigenen Interessen zu unterstützen, gewinnt eine ganz andere Bedeutung. Heute wird gemahnt, Resolutionen werden verabschiedet, doch eine ernsthafte militärische Unterstützung bleibt aus. Und gleichzeitig werden auf nationaler Ebene Waffen in Kriegsländer exportiert.
Wird sich das ändern? Wirtschaftliche Interessen werden unter Schwarz-Gelb zurückgestellt, um auch in "uninteressanten" Drittländern Frieden zu wahren? Es scheint ein frommer Wunsch zu sein. Hier ein kleiner Auszug aus dem Rüstungsexportbericht 2007 der CDU-geführten großen Koalition:

- Für 163,8 Millionen Euro wurden Rüstungsgüter nach Pakistan geliefert.

Nun muss auch klar sein, dass damit zum Einen eine souveräne Zentralregierung unterstützt wird, die gegen militante islamistische Kämpfer vorgeht, welche keine Rücksicht auf Zivilisten nehmen und die Stabilität der ganzen Region gefährden. Zum Anderen wird aber eine Führung unterstützt, die ihre Legitimation nur teilweise auf demokratischem Wege, aber vor allem durch eine enge Verbindung zum pakistanischen Militär erfährt. Man kann sich streiten, ob Rüstungslieferungen in solche instabilen Regionen grundsätzlich verboten werden sollten. Noch entscheidender ist aber die politische Begleitung, das vehemente Fordern die Menschenrechte zu achten, die Menschen gegen die Taliban zu verteidigen und keinen rücksichtslosen Kampf auf Kosten der Zivilbevölkerung wie Mitte diesen Jahres im Swat zu führen. Vor allem aber politische und diplomatische Mittel einzusetzen um einen ernsthaften Friedensprozess anzustoßen.
Eine Gratwanderung sicherlich, doch nicht einmal der Versuch wird unternommen. Zu instabil scheint die Regierung, zu hoch die Sicherheitsinteressen. Doch das darf keine Ausrede sein. Kann, oder will dies nicht gewährleistet werden, sind auch Exporte nicht zu vertreten.

- Ebenso wurden 2007 Waffen nach Israel, Saudi-Arabien, Indonesien und den Philippinen geliefert. Auch hier ohne im auftretenden Konfliktfall vehement humanitäre Interessen zur Sprache zu bringen (zumeist sich einfach gar nicht zu äußern).

- Auch in den Jemen wurden 2007 Rüstungsgüter geliefert. Fallschirmsysteme und leichtgepanzerte Jeeps zwar. Doch auch hier dasselbe Bild. Sobald die Prüf-Kriterien scheinbar erfüllt sind, verschwindet das Thema von der Tagesordnung. 2006 wurden sogar Panzertransporter im Wert von knapp vier Millionen Euro geliefert. Damit wird nun schweres Gerät in die Krisenregion Sa'ada transportiert und unter Inkaufnahme hoher ziviler Opfer Krieg geführt. Wieder das Argument, dass hier eine souveräne (wenn auch nicht ganz lupenrein demokratische, um dies zurückhaltend zu formulieren) Regierung ihre und damit offiziell die Interessen der Bevölkerung wahrt. Doch dagegen steht, dass ohne Dialogversuche und ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung Krieg geführt wird. Die Reaktion hierzulande: Schweigen.

Weder die großen Medien, noch die Parteien erheben ihre kritische Stimme. Nun mag man sagen, DIE LINKE ist hier konsequent. Gewaltverbot, keine Rüstungsexporte, Stärkung der UNO. Doch bestehende Konflikte sind Realität, Menschen sterben täglich. Ob in Afghanistan und im Irak, oder im Jemen und im Sudan. Raus aus Afghanistan? Und damit die Zivilbevölkerung schutzlos zurücklassen? Abwälzen aller Probleme auf die UNO, ohne selbst militärische, robuste Mandate umsetzen zu wollen? Ziviler Aufbau in Regionen, in denen täglich gekämpft wird? Langfristig sind diese Ziele erstrebenswert, doch angesichts des täglichen Sterbens genauso weltfremd, wie die doppelzüngige Politik des Wegschauens der anderen etablierten Parteien zynisch ist.

In der Pressemitteilung des Bundeswirtschaftsministeriums vom 17.12.2008 heißt es:

"Genehmigungen wurden erst nach eingehender Prüfung im Einzelfall erteilt und nachdem insbesondere sichergestellt wurde, dass deutsche Rüstungsgüter nicht für Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden oder zur Verschärfung von Krisen beitragen."

Ein Artikel vom 16. April 2009 aus der Zeitung "Neues Deutschland" von Olaf Standke, zeigt dagegen die konkreten Auswirkungen von deutschem Rüstungsexport, hier am Beispiel Israel:

"Die Kampfpanzer Merkava etwa sind mit deutscher Stabilisierungselektronik ausgestattet, die es ermöglicht, selbst bei voller Fahrt auf unebenem Gelände präzise zu feuern. Ihre Kanonenrohre, Panzerung, Getriebe und Motoren stammen ebenfalls aus deutschen Direktlieferungen oder aus der Lizenzproduktion US-amerikanischer Unternehmen. F-16-Jagdbomber und AH-64 Apache Kampfhubschrauber verfügen über Infrarotmodule, die hierzulande entwickelt und über US-Firmen an Israel geliefert wurden.
Auf der Gegenseite kämpfen Hisbollah und Hamas mit dem für die Bundeswehr entwickelten und seit 1976 in Lizenzproduktion von Iran hergestellten G3-Sturmgewehr, dem Exportschlager von Heckler & Koch mit Sitz in Oberndorf. Die Hisbollah besitzt zudem Panzerabwehrraketen des Typs Milan, die in Kooperation zwischen deutschen und französischen Waffenfirmen hergestellt werden. Mit ihnen kann man selbst die äußerst stark gepanzerten Merkava-Panzer zerstören."

Wieder kollidiert hier das Recht auf Selbstverteidigung mit der Förderung kriegerischer Auseinandersetzungen. Und wer an den Gaza-Krieg Anfang des Jahres denkt und an den aktuellen Goldstone-Bericht:, der beiden Seiten Kriegsverbrechen vorwirft, kann auch hier nur zum Schluss kommen, dass ohne politische Begleitung von Rüstungsexporten und die Verknüpfung von klaren Forderungen zur Wahrung der Menschenrechte, sowie deutlichen Stellungnahmen im Falle des Missbrauchs, die Legitimität von diesen Exporten ins Bodenlose sinkt.


Also, so weit weg die aktuellen Konflikte toben, so sehr man vergisst, dass Krieg in vielen Teilen der Welt Normalität ist, deutsche Rüstungsgüter sind daran beteiligt. Doch weder die vollständig pazifistische Sichtweise scheint der blutigen Realität und der Forderung nach dem Schutz der Bevölkerung gerecht zu werden, noch das offizielle Fordern von Frieden in der Welt, das hinter wirtschaftliche Interessen zurückgestellt wird (das egal unter welcher Regierung zum Tagesgeschäft gehörte. Nur weil die Zahlen von 2001 bis 2007 sind, heißt das nicht, dass nicht auch, sondern gerade besonders die schwarz-gelbe Regierung unter Helmut Kohl dieses Muster pflegte).
Doch die neue Regierung hat ja in den Wahlprogrammen klargemacht, was sie will. Also dürfte die erste Stellungnahme zum Krieg im Jemen, oder zu den immer wieder aufflammenden Kämpfen auf den Philippinen nicht lange auf sich warten lassen. Oder etwa doch?

Und auch die Frage nach der Beteiligung an Friedenseinsätzen und das weltweite Engagement für Menschenrechte wird zum Prüfstein der neuen Regierung. Denn statt dem deutschen Sitz im Sicherheitsrat, oder der Diskussion zur Abschaffung der Wehrpflicht, sollten Themen in den Vordergrund rücken, die aktuell jede Diskussion über eine bessere und stabilere Welt negieren. Ja Abrüstung ist wichtig, wie alle Parteien finden, ja die EU muss eine gemeinsame Sicherheitspolitik formulieren und tragen und ja, die Vereinten Nationen müssen zum handlungsfähigen Zentrum der Friedenspolitik werden.

Aber nein, bis dahin ist die Politik nicht von ihrer Verantwortung entbunden.



Materialien

Einen grundsätzlichen Überblick über weltweite Rüstungsexporte liefert das schwedische sipri-Institut.


Die beiden aktuellen (2006 und 2007) Rüstungsexportberichte sind hier einzusehen:

Rüstungsexportbericht 2007

Rüstungsexportbericht 2006  

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