Mittwoch, 24. Dezember 2014

Sind Pazifisten die neuen Kriegstreiber? - Eine Erwiderung

Zugegeben, das Ganze hat Charme. All die Hinweise auf eine zahnlose Außenpolitik, die zu sehr in moralischen Grabenkämpfen verhaftet ist und mit fehlenden militärischen Optionen gewalttätige Machthaber einfach agieren lässt, scheint gut in unsere Zeit zu passen. Sei es bei Putin, Assad oder ISIS. Wir fühlen uns zunehmend hilflos. So konstatiert Bernd Ulrich: "Unglücklicherweise ist der Westen nicht an allem Schuld, leider hat er nicht die Macht, allein durch Selbstverbesserung die Welt zu verbessern." Wahre, zurückhaltende Worte.

Unter der Überschrift "Glotzt nicht so moralisch" plädieren gerade Shimon Stein (von 2001 bis 2008 israelischer Botschafter in Deutschland) und Sylke Tempel (Chefredakteurin der Zeitschrift Internationale Politik) in ihrem ZEIT-Artikel für mehr Realismus in der Außen- und Sicherheitspolitik. Richard Herzinger schlägt in seinem Welt-Leitartikel "Hauptsache Frieden" in die selbe Kerbe.

Der Tenor: eine Verweigerung militärischen Eingreifens lähmt die Sicherung und Schaffung von Frieden. Moralische Argumente, gar Pazifistische, spielen Putin oder ISIS in die Hände. Stein und Tempel schreiben:
Ein größerer Realismus anstelle moralischer Überhöhung bedeutet eben nicht Zynismus, sondern eine ehrlichere Einschätzung dessen, wofür eine demokratische Gesellschaft steht, was sie kann, für welche Ziele sie zu streiten bereit ist und ob es gute Chancen gibt, diese mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln erreichen zu können. 
Ihr Plädoyer für mehr Stringenz und Realitätssinn hat eine große Berechtigung. Doch die Schlussfolgerungen all dieser Beiträge zielen (ungewollt?) vor allem auf eine Stärkung militärischer Ressourcen ab. Hier stellt sich die Frage: auch wenn es nicht ohne Armeen geht, krankt unsere Sicherheitsarchitektur wirklich an zu wenigen militärischen Optionen? Verhalten sich die Mitglieder der sog. westlichen Wertegemeinschaft zu defensiv? Sind die Krisenherde Ergebnis von zu viel Moral? Oder eher von Doppelmoral?


Kriege zerstören mehr als Gebäude und andere Besitztümer. Gesellschaften werden auf Jahrzehnte geprägt, kulturelle Errungenschaften verschwinden und die Umwelt dauerhaft geschädigt. Photo Credits: Malik_Braun, via flickr.com.

Die Argumente für mehr Realitätssinn erinnern an den Spruch: "Si vis pacem, para bellum." Wer Frieden will, muss sich für den Krieg rüsten. Sie suggerieren, als sei all das Wüten und Sterben eine Art Naturgesetzlichkeit, ein unauslöschbarer Zug des Menschen. Manch EineR würde sagen: es ist Ausdruck eines negativen Menschenbildes. Wirft man einen Blick in die Friedens- und Konfliktforschung zeigt sich, dass als eigentliche Kriegsursachen vor allem Faktoren wie die Zerrüttung sozialer Realitäten, Unterdrückung und der Zerfall staatlicher Strukturen genannt werden.

Natürlich, die Annahme von einer Monokausalität wäre zu einfach. Aber die Berücksichtigung solcher Ursachen führt zu gänzlich anderen Schlüssen, wie die Welt ein friedlicherer Ort werden kann. Frieden ist eben mehr als die Abwesenheit von Krieg. So platt dieser Spruch sein mag, kaum eine Gesellschaft kann für sich in Anspruch nehmen dieser Logik zu folgen. Betrachtet man das Verhältnis von Rüstungsausgaben und ziviler Konfliktbearbeitung (ca. 1000:1) wird dies schnell deutlich. Wenn im Grundsatzpapier der Stiftung Wissenschaft und Politik von "aktiver Mitgestaltung" die Rede ist, ist nur am Rande eine veränderte, zivilere Form der Konfliktbearbeitung gemeint. Im Juni schrieben Stein und Tempel, ebenfalls in der ZEIT:
Wir haben keine Antwort auf die Frage, wie wir mit Akteuren umzugehen haben, die die Verknüpfung der Globalisierung nutzen, aber sich nicht an Regeln halten, die weitgehend vom Westen aufgestellt wurden – oder die aus nationalistischen Motiven heraus sich mit Bedacht "entknüpfen". Es ist nicht ausgemacht, ob es nicht allein der Westen ist, der im 21. Jahrhundert lebt.
Es sind zunächst nur harmlose Fragen, doch die Schlussfolgerung, dass institutionelle Spielregeln nichts mehr gelten würden und mehr Realismus nötig sei, führt direkt zu einer Logik vom Recht des Stärkeren. Wenn keine "Verhandlungsoption zur Verfügung steht, bleiben nur noch militärische Optionen." Auch dieser Satz der beiden Autoren stimmt. Doch noch einmal: ist die Wahrnehmung es werde ständig (ernsthaft!) verhandelt und Diplomatie sei das dominierende und mächtigste Element in unserer Weltordnung wirklich richtig?

Es erscheint nach der Lektüre solcher Beiträge fast so, als ob Pazifismus die dominierende Doktrin wäre. Und die konfliktträchtige Welt Folge einer solchen Schwäche. Herzinger schreibt dann ganz Welt-gemäß von einer "rot-braune[n] Querfront aus alt- und postkommunistischen Linken sowie rechtsextremen Verschwörungstheoretikern", die "Putin als Friedenshelden" feiere und die Nato finsterer Kriegspläne bezichtige. Sicher, Schwäche kann auch ausgenutzt werden und viele Argumente in der Debatte sind übermäßig ideologisch geprägt bis wirr.

Doch die ganze Argumentation Herzingers ähnelt einer, die eine Islamisierung des Abendlandes für bare Münze nimmt. Sydney und Peshawar sind da plötzlich in direkter Nachbarschaft der Dresdner Innenstadt, Asylbewerber leben in Saus und Braus und die meisten Menschen verlassen ihre Heimat und ihre Familien nur, um sich einen Flachbildschirm zuzulegen.

Dies macht solche Argumente so bedenklich. Niemand, der an einem ernsthaften Austausch interessiert ist, will Aggressoren den roten Teppich ausrollen. Die Verantwortung für die Eskalation des Ukraine-Konflikts lässt sich nicht auf einer Seite suchen. Der Syrienkonflikt eskalierte nicht, weil der sog. "Westen" hilflos zuschaute. Im Gegenteil. Zahlreiche Gruppen wurden mit Waffen versorgt, Nachschubwege toleriert und gefördert. Natürlich ist es eine heikle Frage, wie man der Niederschlagung der ersten Demonstrationen durch die syrische Armee hätte begegnen sollen. Doch nun zu sagen, ein frühes militärisches Eingreifen hätte dies alles verhindert, lässt sich einfach nicht halten. Die Stärkung islamistischer Gruppen ist auch ein Ergebnis der gescheiterten Interventionen in Afghanistan und im Irak.

Diejenigen, welche der Bevölkerung Unentschlossenheit in Fragen von Krieg und Frieden vorwerfen, sollten es besser wissen. Konflikte sind komplex, deren Ursachen noch mehr. Da hilft nur Transparenz und Ehrlichkeit. Attribute, die in der Außen- und Sicherheitspolitik kaum zu finden sind. Skulptur aus Osnarbrück. Photo Credits: Hanna Alicé, via flickr.com.

Vor allem ist das fehlende Eingreifen nicht die Folge eines gelebten Pazifismus, sondern auf die dominierende Logik einer realistischen Außen- und Sicherheitspolitik zurückzuführen, die vor allem Machtstrukturen und nicht Demokratie, Zivilgesellschaft oder die Würde des Menschen im Blick hat. Und in diesem Rahmen Interventionen sehr selektiv und nach ganz eigenen Kriterien in Betracht gezogen werden. Mehr Realitätssinn wie ihn Stein und Tempel fordern, ist in dieser Debatte wichtig. Doch der bereitet, wenn er so unreflektiert gefordert wird, auch solchen Argumenten den Weg, wie sie Herzinger gebraucht. Der endet dann:
Doch wer vergisst, dass Frieden ohne die Bereitschaft zu seiner Verteidigung nicht zu haben ist, droht Gewaltideologen auf den Leim zu gehen, die ihn zum Zwecke der Täuschung im Munde führen. Und im Blick auf die Ukraine und andere Staaten, die der Herrschaft des Sowjetimperiums entkommen sind, gilt es sich darauf zu besinnen, dass die Etablierung von demokratischer Rechtsstaatlichkeit in ganz Europa die beste Friedenssicherung für den Kontinent ist.
Auch hier: seine historischen Beispiele haben ihre Berechtigung. Sie blenden dennoch die eigentlichen Ursachen für Aggression und Gewalt aus. Sie suggerieren, dass Krieg Frieden bringt. Krieg als ultima ratio, bitteschön. Niemand, der sicherheitspolitisch interessiert ist, wird diese Logik verneinen. Dies zu suggerieren ist das eigentliche Problem an solchen Debattenbeiträgen.

Noch einmal: Pazifistische Argumente dominieren keine Debatte. Der Bruch des Völkerrechts wird nur in ausgewählten Fällen beklagt. Tieferliegende Konfliktursachen werden ignoriert, wenn wirtschaftliche Interessen die Armut ganzer Regionen zementieren. Der Friedensaktivist Reiner Braun schreibt
Richtig ist, dass die internationale Friedensbewegung zu schwach blieb, sich dem entscheidend in den Weg zu stellen. Das ist Teil einer menschlichen Tragödie und resultiert aus der Desillusionierung vieler politisch aktiver Menschen.
Die Flüchtlingsströme und unzähligen Krisenherde deuten darauf hin, dass es einer neuen Geisteshaltung bedarf. Sie mag idealistisch sein und moralischer Argumente bedürfen, um sie zu rechtfertigen. Sie mag sich sicherheitspolitischer Instrumente bedienen müssen, die direkt dem eigentlichen Anspruch zuwiderlaufen. Doch sie könnte in dieser akzeptierten Widersprüchlichkeit den Grundstein legen,  wie gefordert Moral und Realitätssinn zu kombinieren, ohne sich den Vorwurf der Scheinheiligkeit gefallen zu müssen. Georg Sesslen beklagt in einem Artikel, dass eine vernünftige Debatte jedoch kaum mehr möglich ist:
Wirklichen politischen Erfolg haben daher derzeit nur zwei Kräfte: jene, die Methoden, Rhetoriken und Instrumente anbieten, das Apokalyptische in der Welt einfach und konsequent zu verdrängen. Sich in immer kleinere „positive“ Areale zurückziehen, während sie nach Kräften der Welt noch ihre Ressourcen entreißen. Und andere, die direkt oder indirekt auf Transformationen des Weltuntergangs und seiner Bilder entweder in Richtung auf „letzte Chance“ oder, vor allem, in Richtung auf „Endzeitkrieg“ setzen.
So müsste die Forderung nach mehr Realitätssinn mit einer Abkehr der Doppelmoral und Pauschalisierungen einhergehen. Den schwarzen Peter für Politikversagen nicht mehr einfach an Akteure weiterzureichen, die noch an die Möglichkeit eines dauerhaften und nachhaltigen globalen Friedens glauben, gehört ebenfalls dazu.

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