Sonntag, 14. Dezember 2014

Anmerkungen zum Friedenswinter: Frieden ist, was Du draus machst

"Wir sind die neue Friedensbewegung" - dieser Satz hallt nach von der gestrigen Friedenswinter-Demonstration. Denn es ist nicht einfach, dieses "Wir" wirklich zu greifen. In manchen Artikeln, wie in einem des Tagesspiegels, da heißt es schlicht: "Verschwörungstheoretiker, Linke und Neonazis gegen Gauck" (Dass dort von 2000 Demonstranten die Rede ist, statt von 4000, welche die Polizei zählte ist verwunderlich, aber nebensächlich). Etwas differenzierter schreibt Steven Geyer in der Berliner Zeitung: "Das heißt, dass die Friedensbewegung entweder nicht gemerkt hat, dass ihr Anliegen gekapert wurde – oder dass es ihr egal ist." Auch der Blog Ruhrbarone äußert sich ähnlich.


 Verschwörungstheoretiker und Truther haben sich ebenfalls eingefunden. Photo Credits: Alexander Kitterer

Auch Geyer konzentriert sich in diesem Artikel darauf, dass tatsächlich obskure Montagsdemonstranten, 9/11-InsideJob-Anhänger und noch viel verschwurbeltere Gestalten unter den 4000 Menschen zu finden sind und der Veranstaltung offiziell einen Teil ihres Gesichts verleihen. Geyer betont die Rede des Verschwörungstheoretikers Ken Jebsen, dem tatsächlich ordentlich Raum geboten wird. Auf der Hauptbühne kommen auch andere Stimmen zu Wort, wie z.B. die Süddeutsche Zeitung anführt: 
"Und so ist es vor allem ein Satz auf der Friedenswinter-Demo, der hängenbleibt: "Die Debatte um Krieg und Frieden ist zu wichtig, um sie den Eliten zu überlassen, sie gehört ins Parlament, in die Gesellschaft und in die Friedensbewegung", heißt es in einem Grußwort der Journalistin Daniela Dahn, das auf der Bühne verlesen wird. Das ist richtig. Ganz egal, wie groß das gegenseitige Unverständnis manchmal auch ist."
Nun ist es ein schmaler Grat bei solchen Kundgebungen. Manche Teilnehmer von HoGeSa oder PEGIDA werden sicher auch für sich in Anspruch nehmen, dass sie doch nur ein persönliches Anliegen vertreten und sich von der Politik nicht ernstgenommen fühlen, wenn es darum geht, Flüchtlinge in ihrer Nähe unterzubringen. Doch der entscheidende Unterschied ist eben doch, dass die diffuse Angst gegen Islamisierung und Überfremdung nicht nur jeglichen empirischen Belegen widerspricht, sondern schlicht menschenverachtende Züge trägt. Da täuscht auch kein skandiertes: "Wir sind das Volk" darüber hinweg (dazu auch schön die Heute Show).


Bundespräsident Joachim Gauck steht im Zentrum der Kritik, aufgrund einiger Äußerungen. Seiner tatsächlichen Bedeutung für die Frage von Krieg und Frieden auf globaler Ebene, wird dies kaum gerecht. Photo Credits: Alexander Kitterer

Der Grundkonsens des Friedenswinters (Unterzeichner) ist es zunächst, weltweiten Frieden zu fordern. Nicht mehr. Verschweigen darf man nicht, dass die massive Kritik an Joachim Gauck, die Forderungen nach einem Austritt aus der NATO, einer Auflösung der Bundeswehr, oder die Kritik am "Zinssystem" sich bei vielen Teilnehmern und Gruppen unmittelbar anschließen. Bedenklicher noch sind anti-semitische Äußerungen und Tendenzen von "Mahnwachen"-Anhängern (offiziell gibt es dazu jedoch auch eine klare Position). 

Auch eine Pauschalkritik an den Massenmedien fehlt nicht. Bei der Abschlusskundgebung skandieren dann auch einige Dutzend: "Ami go home". Wahrscheinlich könnten sie selbst kaum sagen, worauf sich das bezieht. Irak? Afghanistan? Deutschland? Und wenn, dann wahrscheinlich untermauert mit sog. "Fakten" zur fortgesetzten Besatzung und fehlenden Souveränität Deutschlands. Insofern hat die Kritik Michael Müllers teilweise ihre Berechtigung, der in der Berliner Zeitung schreibt:
Nicht in ihrer Friedenssehnsucht finden sie [Linke und Organisatoren] zusammen – mit ihr könnten sie vor der russischen Botschaft auch Wladimir Putin konfrontieren –, sondern in ihrem Bestehen auf einem autoritären Politik- und Lebensentwurf, auf einem Freund-Feind-Denken, das besonders in Deutschland nicht nur als inhuman, sondern als reaktionär erscheinen muss.
Problematisch ist es aber, die Heterogenität der Protestierenden entweder nicht zu beachten, oder als Argument für den Vorwurf "reaktionären" Denkens zu benutzen. Denn es sind doch zahlreiche "klassische" Friedensdemonstrations-Teilnehmer dabei. Nicht nur die offiziellen Bündnisse, wie GEW oder IPPNW zeigen ihre Banner. Auch Einzelpersonen, hier vor allem Ältere, aber auch junge Familien, die keine Äußerungen auf der Bühne beklatschen und skandieren, keine Schuhe in den Garten des Schlosses werfen, sondern schweigend ihren Protest gegen Krieg auf die Straße tragen. Dies kann natürlich nur ein absolut subjektiver Eindruck der Demonstration sein.

Nichtsdestotrotz handelt es sich offensichtlich um einen Protest gegen eine unübersichtliche und konfliktreiche internationale Ordnung, in der mehr als 50 Millionen Menschen in oder aus ihrer Heimat geflüchtet sind und das Gefühl vorherrscht, trotz all dieser Krisen gäbe es keine ernsthaften Versuche für eine zivile Konfliktbearbeitung (außer sie verbindet sich mit der militärischen Unterstützung einer Seite) und globaler Frieden sei eine Illusion.  

Natürlich ist das Argument "der beste Schutz gegen Gewalt und Krieg ist eine gerechte internationale Ordnung" eines der eher abstrakteren Sorte. Doch muss dies nicht heißen, dass es im Kern nicht tragfähig ist. Genau dieses Streben nach einer gerechten internationalen Ordnung vermissen offenbar viele Menschen in der aktuellen Außen- und Sicherheitspolitik. Oder zumindest die Anerkennung, dass das Fehlen einer solchen Konflikte mitverursacht oder befeuert. 

Die meisten Menschen, die so zurückhaltend und reflektiert denken (nämlich die Mehrheit der Bevölkerung), sind an diesem Samstag jedoch nicht auf die Straße gegangen. Ein Passant fragt einen vorüberziehenden Teilnehmer: "Wogegen demonstriert ihr denn?" "Für Frieden." "Schon wieder?"

Für manche Teilnehmer ist Bundespräsident Joachim Gauck die Symbolfigur für eine Abkehr von einer Friedenspolitik hin zu einer umfassenden Akzeptanz militärischer Mittel zur Durchsetzung sicherheitspolitischer und wirtschaftlicher Interessen. Photo Credits: Alexander Kitterer

Dies zeigt natürlich das Dilemma der Friedensbewegung: kaum Eine oder Einer geht heute noch auf die Straße. Zu weit weg erscheine das Meiste, wird oft als Argument benutzt. Dem steht entgegen, dass die gestiegenen Flüchtlingszahlen Krieg wieder "fühlbar" machen. Jedoch äußert sich dies dann offensichtlich eher in hohen Teilnehmerzahlen gegen eben solche Menschen, die vor Gewalt und Unterdrückung flüchten. Sicherlich mag es in den Ohren der meisten Menschen sehr dramatisch oder gar überdramatisch klingen, wenn der (ebenfalls nicht unumstrittene) Aktivist Eugen Drewermann auf der Hauptbühne Wolfgang Borchert zitiert:

„Mann an der Werkbank! Wenn sie wieder kommen und dir sagen, du sollst statt Kochgeschirren und Töpfen Handgranaten und Kanonenrohre ziehen - Mann an der Werkbank, sag NEIN!

Und Mutter in Deutschland! Mutter in der Ukraine! Wenn sie wieder kommen und dir sagen, du sollst Kinder gebären: Mädchen als Krankenschwestern für die Spitäler, Jungen als Soldaten in den Schützengräben - Mutter in Deutschland, Mutter in der Ukraine, sag NEIN!

Und Pfarrer auf der Kanzel! Wenn sie wieder kommen und dir sagen, du sollst die Waffen segnen und den Krieg rechtfertigen - Pfarrer auf der Kanzel, sag NEIN.

Denn wenn ihr nicht NEIN sagt, wird alles wieder kommen.“
Doch Deutschland ist zum drittgrößten Waffenexporteur der Welt geworden. Eine Entwicklung, die fast 80 Prozent der Bevölkerung ablehnt. Hier seitens der Politik Sicherheitsinteressen vorzuschieben genügt als Argument den Meisten nicht mehr.

Was heißt dies nun für die Friedensbewegung? Gibt es sie überhaupt noch? Hat sie sich neu formiert, wie die Veranstalter des Friedenswinters für sich in Anspruch nehmen? Oder ist einfach unterwandert worden? Singt bald Xavier Naidoo auf Kundgebungen "Ein bisschen Frieden"?

Es bleibt kompliziert. Denn, solange Ken Jebsen für unabhängigen Journalismus werben darf, oder weltnetz.tv Hauptquelle für Informationen über die Kundgebungen ist, ist Kritik berechtigt und notwendig. Angenehm ist es trotzdem, wenn eine Zeitung nicht nur kritisiert, sondern die Frage stellt, wie in Zukunft mit einer solchen Bewegung umgegangen werden könnte.

Wer besorgt ist über die Zusammensetzung solcher Kundgebungen, könnte selbst hingehen und so das Verhältnis zwischen friedensbewegten "normalen" Bürgern und Teilnehmern mit einer parallelen kritikwürdigen Agenda verändern. Oder eigene Veranstaltungen und Bündnisse ins Leben rufen (bzw. zu neuem Leben zu erwecken), um sich klarer abzugrenzen. Denn so berechtigt die Kritik von Beobachtern am Friedenswinter ist, sie sollte nicht als Ausrede dienen einfach ganz zuhause zu bleiben. Nur um dann zu seufzen, wenn wieder einmal über den Abwurf von Fassbomben, harte Winter im Flüchtlingslager, oder Kollateralschäden bei Drohnenangriffen berichtet wird. Denn es gilt: Frieden ist, was Du daraus machst.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen